„Es ist nicht so, dass man sich vor Freude in die Hose macht“
Einen gewissen Hang zur Arroganz wird man ihm nicht absprechen können: Er brillierte als eiskalter Hochreiter in Arthur Schnitzlers „Das weite Land“. Und zusammen mit Regisseurin Andrea Breth sorgte Sven-Eric Bechtolf, viele Jahre ein Star des Burgtheaters, für Sternstunden. Am 9. und 12. August bestreitet der immerzu grüblerische, mitunter auch schwierige Schauspieler, Jahrgang 1957, im Stadttheater von Gmunden einen Franz-Kafka-Abend.
KURIER: Sie haben vor ein paar Jahren Wien verlassen – und sind nach Leipzig gezogen. Warum denn?
Sven-Eric Bechtolf: Ich habe noch einmal, spät im Leben, einen Jungen bekommen. Und seine einzige Großmutter lebt in Leipzig. Wir haben uns gesagt: Eine Großmutter ist nicht mit Gold aufzuwiegen. Hinzu kam: Martin Kušej und ich waren uns nicht grün. Ich hatte keine Angebote von der Burg, und wenn ich nicht in Wien spiele, muss ich nicht da leben. Daher haben wir uns für Leipzig entschieden.
Und daher spielen Sie mal hier, mal dort?
Anfang dieses Jahres hab’ ich am St. Pauli Theater in Hamburg mit Stefan Kurt als Clov „Endspiel“ von Samuel Beckett gespielt. Danach den Bassa Selim in der „Entführung aus dem Serail“ an der Scala. Und in Riga hab’ ich den „Liebestrank“ inszeniert. Ich mache eine Menge, aber nicht mehr in einem festen Engagement.
Nun treten Sie Karin Bergmann zuliebe in Gmunden auf? Die einstige Burgtheaterdirektorin ist ja bei den Salzkammergut Festwochen fürs Schauspiel zuständig.
Im Gegenteil, ich habe Karin gebeten. Im August 2022 gab es bei den Festwochen eine szenische Lesung von Thomas Bernhards „Der Schein trügt“ mit August Zirner in der Regie von Hermann Beil. Ich sagte danach: „Ach, ich möchte hier wieder was machen!“ Und dann schlug ich, aber ohne an das Todesjahr von Franz Kafka zu denken, die Erzählungen „Ein Bericht für eine Akademie“ und „Eine kleine Frau“ vor. Und Karin hat „ja“ gesagt, was mich wirklich sehr freut. Denn ich wollte das unbedingt machen. Schon seit den späten 1980ern.
Sie haben damals in Bochum „Der Bau“ dramatisiert.
Ja. Auf Claus Peymann, der 1986 die Burg übernommen hatte, war Frank-Patrick Steckel als Intendant gefolgt. Ein streitbarer Mann – und ich habe viel mit ihm gestritten –, aber auch ein wunderbarer Kerl. Ich hatte viel Kafka gelesen, mit Hingabe. Und so kam mir die Idee. Ich bat Steckel: „Ich komm’ als Schauspieler nicht voran, ich werd’ noch verrückt. Lass mich doch den ,Bau‘ machen!“ Er hat zugestimmt. Ich hab’ mich wochenlang richtiggehend im Werkstatt-Theater eingesperrt und autonom gearbeitet. Das hat mir sehr gutgetan, denn ich bekam eine andere Wahrnehmung von mir als Schauspieler.
In der Erzählung geht es um einen Dachs, abgeschottet in seinem kunstvoll angelegten Bau. Sie scheint mir ungeheuer aktuell, wenn ich an die Festung Europa denke.
Texte sind offen für Interpretation. Ich glaube aber nicht, dass Kafka die Absicht hatte, mit dem „Bau“ irgendein politisches Statement zu machen, ich lese seine Texte immer als persönliche Zeugnisse. Über den „Bau“ schreibt er: „Meine Gefängniszelle, meine Festung.“ Er beschreibt das In-sich-selbst-eingesperrt-Sein. Gleichzeitig thematisiert er seine Vorstellung davon, wie ein gelungenes Leben auszusehen hätte, das man kein Einzelgänger, sondern eigentlich eine Familie haben sollte. Er sieht sich in das Junggesellentum hineinverbannt. Und dann gibt es noch den herannahenden Tod in Form eines Pfeifgeräuschs. Es ist seine Lunge, die so bedrohlich pfeift und überall zu hören ist. „Der Bau“ ist ja einer seiner letzten Texte, 1924 entstanden – wie auch „Die kleine Frau“.
Warum kombinieren Sie gerade diesen Text mit dem „Bericht für eine Akademie“?
In der einen Erzählung geht es um einen Affen, der sich assimiliert, der es aus dem Käfig schafft und quasi ein Mensch wird. Und in der anderen Erzählung geht es um einen Menschen, der hoch zivilisiert, aber auch vollkommen neurotisch bis verrückt ist, der eigentlich in einen Käfig gehört. Dieser seltsame Kreislauf aus Natur, Denaturierung, Neurose und wiederkehrender Wildheit hat mich interessiert.
Gibt es nicht ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Erzähler und der kleinen Frau? Denn sie verlässt ihn nicht, obwohl er sie miserabel behandelt.
Es ist offensichtlich, dass er ihr irrsinnig auf die Nerven geht: „Diese kleine Frau nun ist mit mir sehr unzufrieden, immer hat sie etwas an mir auszusetzen, immer geschieht ihr Unrecht von mir, ich ärgere sie auf Schritt und Tritt; wenn man das Leben in allerkleinste Teile teilen und jedes Teilchen gesondert beurteilen könnte, wäre gewiss jedes Teilchen meines Lebens für sie ein Ärgernis.“ Der literarische Trick besteht darin, die Fremdheit, die ja zwischen Menschen besteht, auch wenn sie ein Paar sind, extrem zu machen. Leute, die sich mit dem Text psychoanalytisch auseinandergesetzt haben, behaupten, dass sich der Erzähler geradezu in die kleine Frau verwandelt. Da gibt es tausenderlei Spekulationen. Ich halte es mit Kafka, der nichts oder nicht viel von Psychologie und Sigmund Freud gehalten hat. Aber am liebsten würde ich gar nichts sagen. Die Texte von Kafka sind so reich und bieten so viel Assoziationsmaterial, dass alles, was man dazuquakt, stümperhaft klingt. Also: Ich lasse mich anstecken von dieser düsteren und manchmal auch wahnsinnig komischen Fantasie.
Sie haben gerade aus dem FF rezitiert. Sie machen also keine Lesung …
Lesen kann jeder! Nein, ich spiele in einem kargen, aber sinnvollen Bühnenbild.
Wie geht es mit Ihnen weiter? Gibt es vielleicht ein Projekt mit Andrea Breth, in deren Regie Sie an der Burg riesige Erfolge gefeiert haben?
Wir stehen in Kontakt, haben aber keine konkreten Pläne. Das nächste Projekt ist die erste Klasse meines Sohnes. Dann drehe ich ein bisschen, eine Serie, und dann spiele ich wieder ein bisschen. Aber mir geht es nicht darum, irgendwelche Trophäen zu gewinnen oder nach Düsseldorf engagiert zu werden, wie ich das einmal scherzhaft formuliert habe. Nein, es geht mir nur darum, einen Text zu ergründen und mich zu verbessern, ohne dabei auf Einkünfte, Engagements, Ruhm und Ehre zu schielen.
Martin Kušej ist als Burgtheaterdirektor Geschichte, mit September folgt auf ihn Stefan Bachmann …
Ich kenne ihn ganz gut. Und könnte mir vorstellen, wieder etwas an der Burg zu machen, aber die Rollen für ältere Herren liegen halt nicht auf der Straße.
Was ich mich nicht zu fragen getraut habe: Warum Leipzig? Fühlen Sie sich wohl in der Hochburg der AfD?
Quälen Sie mich doch nicht! Es ist zum Haareraufen! Aber ich möchte mich in der Zeitung dazu eigentlich nicht äußern. Jeder generell formulierte Satz, der wie ein Selbstbestätigungsritual zwischen uns beiden wirkt, wird als links-intellektuelle Herablassung wahrgenommen, er bestärkt diese Parteien in der Ablehnung liberaler Positionen und ermuntert die Leute, rechts zu wählen. Man erweist der Sache also einen Bärendienst. Demokratie ist gelegentlich eine unbequeme Angelegenheit, trotzdem muss man sachlich und inhaltlich den Kampf führen. Meine stille Hoffnung ist, dass solche Parteien sich spätestens desavouieren, wenn sie in die Verantwortung genommen werden. Aber um den Ball zurückzugeben: Was ich über Herbert Kickl lese, ist auch nicht so, dass man sich vor Freude in die Hose macht.
Franz Kafka, am 3. Juli 1883 in Prag geboren, litt seine letzten Lebensjahre an Lungentuberkulose, die damals nicht heilbar war und schließlich auf den Kehlkopf überging: Kafka verlor sein Sprechvermögen, konnte kaum mehr essen. Im April 1924 ließ er sich im Sanatorium Wienerwald behandeln (in der NS-Zeit ein „Lebensbornheim“) und wechselte danach ins Sanatorium Hoffmann in Kierling bei Klosterneuburg. Dort starb er am 3. Juni 1924 mit nur 40 Jahren – offiziell an Herzversagen
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