Karin Bergmann erinnert sich: „Die Burg ist der Mount Everest“
Der Architekt Luigi Blau adaptierte vor Jahrzehnten ein biedermeierliches Stöcklgebäude in einer Innenhof-Oase an der Alser Straße zum lichtdurchfluteten Atelier. Seit seinem Tod im August 2023 lebt Karin Bergmann allein in diesem Refugium. Ihr Mann war wohl der Hauptgrund, warum die Kulturmanagerin, die 1986 mit Claus Peymann nach Wien gekommen war, die Stadt nicht verließ. Trotz der Anfeindungen gegenüber den „Piefkes“.
KURIER: Sie wurden 1953 im Ruhrpott, in Recklinghausen, geboren, kamen 1979 nach Bochum ans Schauspielhaus und waren begeistert, weil Sie dort als Direktionsassistentin alles machen konnten.
Karin Bergmann: Ich habe definitiv alles gemacht, bin als Beleuchtungskomparse eingesprungen oder als Regieassistentin. Und in der Nacht war ich die „Tippse“. Denn Claus Peymann wollte, wenn er am Abend bei den Proben Szenen umgestellt hat, am nächsten Morgen die neue Spielfassung haben. Und die Pressearbeit hat man nebenbei gemacht. Das Schöne war: Weil Bochum so eine Puppenstube war, hatte man ständig mit Menschen wie Thomas Bernhard, Peter Handke, Rolf Hochhuth oder Martin Walser zu tun.
Sie kamen aus keiner kunstaffinen Familie. Direktor Peymann hat Sie gleich genommen?
Beim ersten Gespräch war er gar nicht dabei. Bis ich zu Herrn Peymann vorgedrungen bin, hat es ein paar Wochen gedauert. Er fragte, ob ich ungebunden sei, und malte mir für mein zukünftiges Theaterleben in den dunkelsten Farben aus, dass Beziehungen scheitern würden. Und dass man dem Alkoholismus verfallen werde.
Sie ließen sich aber nicht abschrecken. Aus dem Bernhard-Dramolett „Claus Peymann verlässt Bochum und geht als Burgtheaterdirektor nach Wien“ kennen wir das Fräulein Schneider. Ihre Kollegin?
Ich habe Christiane „angelernt“! Denn das „Fräulein“ wurde ein Jahr nach mir eingestellt. Aber ich fürchtete mich wahnsinnig vor ihr.
Tatsächlich?
Ich hatte das Abitur im Abendgymnasium nachgeholt, aber nicht studiert. Christiane hingegen ist Akademikerin. Ich dachte mir: Jetzt kommt jemand, der viel qualifizierter ist als ich. Aber meine Angst war unbegründet. Mit Kompetenz und Fleiß konnte man viel erreichen. Das bedeutete zwar, rund um die Uhr zu arbeiten. Aber man war jeden Tag mit tollen Menschen zusammen, angefangen von Kirsten Dene und Gert Voss bis zu Karl Ernst Herrmann und Achim Freyer. Ja, das war spannend.
Warum sind Sie dann nach drei Jahren nach Hamburg gegangen?
Ich bekam viele Angebote, hätte nach Frankfurt gehen können, nach Stuttgart oder Hamburg. Und ich hatte mir immer gewünscht, einmal in einer Stadt am Wasser zu leben.
1986 packte Peymann mit dem „Fräulein Schneider“ seine Lieblingsschauspieler und Dramaturgen ein. Sie jedoch waren nicht in der ominösen Kiste. Trotzdem gingen Sie mit Peymann nach Wien.
Es hieß: Wenn man Peymann verlässt, ist er einem so gram, dass er sich nicht mehr rührt. In meinem Fall war das offensichtlich anders. Er hat mich gefragt. Weil ich auch mal im Ausland arbeiten wollte, sagte ich zu. Damals wusste ich nicht, dass Österreich wirklich Ausland ist.
Wirklich?
Extrem! Zum einen hat Peymann den Fehler gemacht, zu viele „Piefkes“ mitzubringen, was dazu geführt hat, dass wir ungeheuer angefeindet wurden. Und ich war als Pressesprecherin in einer exponierten Position, wurde am Telefon oft beschimpft. Hinzu kam das österreichische Idiom. Die ersten Monate bin ich nur auf der Seife gestanden.
Ihr erster Termin war die große Pressekonferenz im Mai 1986 …
Am Todestag von Boy Gobert! Das war für die Theaterwelt ein schrecklicher Verlust. Aber unsere Sorge war natürlich, dass wegen des Nachrufs in den Zeitungen für unser Programm nicht genug Platz bleiben werde. Diese Pressekonferenz auf dem Lusterboden ist mir unvergesslich. Peymann drückt sich ja immer in martialischer Kriegsterminologie aus. Er herrschte mich an: „Wenn jemand die Unterlagen in der Hand hat, bevor ich komme, kill ich dich!“ Aber er ist viel zu spät gekommen – und ich bin an Karin Kathrein gescheitert. Sie hat mir ein Exemplar entrissen und gesagt: „Kindchen, das können Sie in Bochum machen, aber nicht in Wien.“ Und just in dem Moment tauchte Peymann auf …
Es war Liebe auf den ersten Blick?
Und sie hat 37 Jahre gehalten. Leider ist er letztes Jahr gestorben.
Sie haben Wien also nicht verlassen – aber Peymann ein zweites Mal.
Nach sieben Jahren! Ich wollte nicht mehr 60 Stunden in der Woche arbeiten, nicht jeden Sonntag angerufen werden wegen irgendwelcher Fragen, die man auch montags hätte besprechen können. Ja, ich wollte mich emanzipieren.
So gingen Sie ans Theater an der Wien – damals eine Musicalbühne.
Ich hätte zu Peter Stein gehen können und auch in die Josefstadt. Aber ich dachte mir, ich wechsle in ein anderes Genre, das wird dem Peymann am wenigsten wehtun. Er benahm sich trotzdem wie ein verlassener Liebhaber – und schrieb mir einen Brief: Ich wünsche dir alles erdenklich Schlechte dieser Welt.
Den haben Sie noch?
Natürlich! Damals ahnte er nicht, dass ich ihn eines Tages als Regisseur engagieren werde.
Ihr Triumph als Burgtheaterdirektorin! Aber zunächst holte Klaus Bachler Sie an die Volksoper.
Das Musical ist nicht meine Welt. Ich sehnte mich schon bald zurück an ein Repertoiretheater – mit regelmäßigen Premieren. Die drei Jahre in der Volksoper waren großartig. Hans Neuenfels machte „König Kandaules“, wir brachten „Die Bernauerin“ von Carl Orff mit Sunnyi Melles und Tobias Moretti, Karl Markovics war der Puck im „Sommernachtstraum“ von Benjamin Britten … Als man dann Bachler die Burg angeboten hat, war ich ganz verzweifelt. Denn sie ist der Mount Everest. Die Volksoper war für mich ein unglaublich schöner Spaziergang – und ich wollte nicht wieder dorthin, wo die Luft so dünn ist.
Dennoch reizten Sie die Strapazen: Sie folgten 1999 auf Peymann – als Vizedirektorin. Das kann ihm nicht geschmeckt haben.
Wahrscheinlich (Karin Bergmann druckst herum).
Nach neun Jahren ging Bachler nach München. Sie betreuten die letzte Saison allein und managten die Übergabe an Matthias Hartmann. Nach einem Jahr zogen Sie sich aber still zurück.
Ich habe sein Tun als problematisch angesehen. Diese Position aufzugeben, ist mir nicht leichtgefallen. Aber ich folgte meinem Instinkt – und bin ins Nichts gegangen. Ich war 58, bekam noch keine Pension.
Zwei Jahre später wurde Hartmann gefeuert, das Ensemble wünschte sich Sie als Troubleshooterin.
Ich kannte eben die Menschen in allen Abteilungen. Ich wusste, dass sie kompetent und mir gegenüber loyal sind. Sonst hätte ich das nicht gemacht.
Ihr Nachfolger Martin Kušej kündigte vor seinem Amtsantritt an, die halbe Suppe wegzuschütten, also das halbe Ensemble auszutauschen. Sie hingegen haben mit dem Team weitergearbeitet.
Auch ich habe Veränderungen vorgenommen, aber nicht zu Beginn, sondern sukzessive. Den von Ihnen zitierten Satz habe ich Martin angekreidet. Unser Metier hat derart viel mit Sprache zu tun. Da sollte man über Metaphern nachdenken, bevor man sie aus dem Mund sprudeln lässt.
Sie überantworteten Claus Peymann eine Peter-Handke-Uraufführung. Er grollte nicht mehr?
Er ist ja immer im Kampfmodus. Er kann ja gar nicht anders, das ist sein Lebenselixier. Das Haus war ja finanziell in einer extrem schwierigen Situation. Ich dachte mir: Peymann hat schon so viele Handke-Uraufführungen gemacht, es könnte ein Coup sein, wenn ich den alten Burgtheaterdirektor, der als Emeritus herumirrt, zurückhole. Das hat 2016 auch ganz gut funktioniert.
Eine fast logische Verlängerung Ihres Vertrags über 2019 hinaus ...
... konnte ich mir nicht vorstellen. Ich wäre damals 66 gewesen. Und in meinem letzten Jahr bin ich, wie Sie wissen, an Krebs erkrankt. Es war also – wieder einmal – eine gute Entscheidung.
Den Krebs haben Sie überwunden?
Man sagte mir, dass er bei 70 Prozent der Menschen wiederkommt. Jetzt bin ich schon sechs Jahre frei. Und wenn ich gut drauf bin, sage ich mir: „Bergmann, du gehörst vielleicht zu den 30 Prozent.“ Aber sich das zu sagen: Das schafft man nicht immer.
Sie haben überlegt, ein Literaturfestival in Bad Radkersburg zu veranstalten, wo Sie ein Anwesen mit Luigi Blau hatten.
Ein klitzekleines Häuschen!
Dann wurde es Gmunden. Warum?
Radkersburg ist so ein bisschen das Ende der Welt. Ich hatte die Sorge, dass niemand hinkommen würde. Und es gab auch keine Mittel. Aber über den Burgtheater-Sponsor VOEST war ich in Kontakt mit den Salzkammergut Festwochen gekommen. Ich lehnte zunächst ab, aber sie waren hartnäckig. Und so sagte ich schließlich: Wenn Ihr wirklich Theater wollt und nicht nur Lesungen, dann lasst es uns versuchen.
Sie kannten Gmunden aber nicht.
Als junge Frau auf dem Weg nach Wien habe ich einmal dort Station gemacht, mich ins Rathaus Café gesetzt und gehofft, Thomas Bernhard zu treffen. Vergeblich.
Ihr Ansatz ist, am Traunsee junge Talente zu präsentieren.
Weil ich mein Lebtag lang mit den Zwölfendern gearbeitet habe. Das tut auch mir gut, fordert mich.
In den letzten beiden Sommern inszenierten Franz-Xaver Mayr und Moritz Franz Beichl. Und heuer …
… endlich eine Frau! Anna Stiepani war Regieassistentin am Burgtheater, ging dann mit Johan Simons nach Bochum. Ich habe mich dafür eingesetzt, dass sie auch in Österreich inszeniert, zum Beispiel die „Antigone“ in Klagenfurt. Und in Koproduktion mit dem Landestheater Linz macht sie bei den Festwochen Arthur Schnitzlers „Liebelei“. Ich konnte zudem Samuel Finzi für die Hauptrolle gewinnen. Er ist, das kann man sagen, ein Theaterstar.
Aber Lesungen machen Sie, wie ich gelesen habe, schon auch.
Ja, hochkarätige und ganz besondere wie die „Briefgeheimnisse“. Das ist ein Projekt für die Kulturhauptstadt Bad Ischl und das Salzkammergut in zwei Teilen. Zusammen mit Claudia Fressner, einer früheren Kollegin vom Burgtheater, habe ich die Menschen der Region eingeladen, uns Briefe, Postkarten und Telegramme aus den vergangenen 100 Jahren zu schicken. Der erste Abend fand im April statt und behandelte den Zeitraum von 1905 bis 1945: Zwei Weltkriege, die Wirtschaftskrise, der Holocaust – und all das schlägt sich in persönlichen Dokumenten nieder. Die Leute waren arm wie die Kirchenmäuse, aus den Briefen wird spürbar, was sie sich an wirtschaftlichem Aufschwung durch den Faschismus versprochen haben. Das ist schon beängstigend, weil man so viele Parallelen zu heute feststellt. Deswegen hoffe ich sehr, dass wir diesen Leseabend im Herbst noch einmal zeigen können.
Der Auftakt findet am 28. Juni im Stadttheater statt: Sona MacDonald, Markus Meyer und Petra Morzé lesen Texte von Schnitzler, Kafka und Bernhard. Eröffnet werden zudem der Parallel Skulpturengarten im Toscana Park (bis 31. 8.) und am 29. Juni im Stadtgarten die Schau Gmunden.Photo zum Thema Landschaft (bis 28.7).
Am 6. und 7. Juli gibt es Open-Air-Konzerte des Bruckner Orchesters Linz mit Erwin Schrott.
Im Stadttheater hat am 11. Juli Arthur Schnitzlers „Liebelei“ mit Samuel Finzi Premiere (auch am 12. und 13. 7.). Weitere Highlights: (szenische) Lesungen mit Martin Schwab, Michael Maertens, Sven-Eric Bechtolf, Tamara Metelka & Nicholas Ofczarek.
Der zweite Teil von „Briefgeheimnisse“ folgt am 19. Oktober.
Infos: festwochen-gmunden.at
Kommentare