Bechtolf: „Übergriffigkeit liegt im Wesen des Berufs“

Bechtolf: „Übergriffigkeit liegt im Wesen des Berufs“
Sven Eric Bechtolf über seine Rückkehr an die Burg – in „Eines langen Tages Reise in die Nacht“. Premiere heute, 14. April.

KURIER: 2016, in Ihrem letzten Sommer als Intendant der Salzburger Festspiele, schienen Sie sehr angespannt. Sie spielten den Doktor in Bernhards „Der Ignorant und der Wahnsinnige“ – und brachten alle drei Da-Ponte-Opern von Mozart als Wiederaufnahme bzw. Neuinszenierung. Wollten Sie zu viel?

Sven-Eric Bechtolf: Das kann ich nicht beurteilen, es hat sich so ergeben. Aber ja: Ich habe mir Mühe gegeben. Das war schon eine große Aufgabe.

Danach wurde Ihnen u. a. das Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst I. Klasse verliehen. War das Genugtuung? Oder Labsal?

Eine neue Erfahrung. Spaßeshalber sagte ich in einer Dankesrede, ich würde mich etwas „weihnachtsbäumisch“ fühlen, also überdekoriert. Ich hatte aber davor genügend Schläge eingesteckt, insofern war das schon eine besonders nette Geste. Aber ich laufe nicht mit den Orden rum – oder gucke mich mit ihnen im Spiegel an. Es ist schön, dass in Österreich Künstler und Künstlerinnen so geehrt werden.

Haben Sie wirklich so viele Schläge bekommen?

Ich bin deutlich mehr geschlagen als gestreichelt worden. Das ist eben so, wenn man den Kopf beim Fenster raushält: Dann kriegt man von Vorbeigehenden eine gewischt. Mir ist nicht immer Gerechtigkeit widerfahren, jedenfalls in meinen Augen nicht. Aber darüber brauchen wir nicht reden. Es ist nicht so, dass ich verbiestert zu Hause sitze.

Sie verteidigten die Kunst. Fühlten Sie sich von Ihren Kritikern missverstanden?

Ich glaube, dass Theater auch etwas anderes sein kann, darf und soll als eine Meinungsschleuder und Teil der politischen Aufregung. Wir beschäftigen uns auch mit Literatur und Kunst – und mit Dingen, die unmittelbar menschlich sind. Für mich ist das Theater eine Wirklichkeitswahrnehmungsuntersuchungsanstalt. Und da ist das sogenannte „kritische Bewusstsein“ manchmal geradezu flachköpfig – im Vergleich zu dem, was geleistet werden könnte. Ich sage nicht, dass es nicht politisches Theater geben sollte. Das soll es! Aber daneben soll es auch Dinge geben, die nicht immer dem Zeitgeist entsprechen, tagesaktuell und auf unsere Befindlichkeiten runtergebrochen sein müssen, sondern uns vielleicht übersteigen. Diese Dinge kommen, finde ich, zu kurz. Aber mir wurde das Wort in Munde umgedreht. Schwamm drüber.

Auszeit gab es dann keine?

Eigentlich nicht. Bald danach habe ich in Berlin mit René Jacobs, einem wirklich begnadeten Musiker, „King Arthur“ von Henry Purcell gemacht. Das wurde ein schöner Erfolg. Im Herbst 2017 folgte in der Staatsoper Unter den Linden ein „Faust“-Projekt (Bechtolf spielte den Mephisto, Anm.). Und dann hab ich zum Spaßvergnügen ein Buch geschrieben, einen Fortsetzungsroman – natürlich über einen älteren Künstler. Er ist aber nicht zur Veröffentlichung gedacht.

Und nun spielen Sie wieder am Burgtheater. Vielleicht täuscht der Eindruck, aber vermittelten Sie nicht vor zwei, drei Jahren den Eindruck, lieber Regie führen denn als Schauspieler arbeiten zu wollen?

Es sind zwei sehr unterschiedliche Welten. Deshalb habe ich mich immer davor gescheut, dem Einen den Vorzug vor dem Anderen zu geben. Aber es gab eine gewisse Müdigkeit vom Spielen. Das Spielen ist, wenn man es ernst meint, schrecklich anstrengend. Es gab eine Phase, da dachte ich: Genug jetzt! Ich muss zurück ins Leben! Denn die Figuren, die man spielt, sind manchmal auch sehr belastend. Man gibt sie ja nach der Probe nicht in der Garderobe ab, man trägt die Kerle mit sich herum.

Wie kam es dazu, dass Sie in „Eines langen Tages Reise in die Nacht“ mitspielen? Hat Andrea Breth Sie überredet?

Es gab eine Verabredung mit Direktorin Karin Bergmann, dass ich etwas mache. Und dann hat mir Andrea die Rolle des James Tyrone angeboten. Ich habe sie gerne angenommen. Ich kenne Andrea doch schon sehr lange.

Sie brillierten unter ihrer Regie als Major Tellheim in „Minna von Barnhelm“, als Hofreiter in „Das weite Land“ und als Philipp II. in Schillers „Don Carlos“.

Ja, mit Andrea geht man, so formulierte ich es in einer Laudatio, auf Expeditionen in irgendwelche merkwürdigen Tiefseegebiete.

Sie sagten in einem Interview, dass Sie einem Regisseur gestatten, während der Proben zwei Monate in Ihren Eingeweiden zu wühlen. Das trifft wohl besonders auf Andrea Breth zu?

Es ist mit ihr immer eine sehr intensive Auseinandersetzung. In diesem Interview ging es aber generell um Machtmissbrauch am Theater. Übergriffigkeit liegt im Wesen des Berufs. Ich kann nicht zum Psychotherapeuten gehen – und ihm dann vorwerfen, indiskrete Fragen zu stellen. So ähnlich ist es im Theater. Bei den Probenarbeiten geht man tatsächlich in einen nicht gerade intimen, aber doch neuralgischen Bereich. Man liefert sich aus, ist verletzbar. Und man stellt immer wieder fest, dass man nichts kann. Denn man kann nur ganz wenig an Erfahrung mitnehmen. Wir sind ja keine Handwerker, sondern haben jedes Mal eine andere Figur zum Leben zu erwecken. Ich kann aber eine Figur wie den James Tyrone nicht aus der leeren Tasche spielen. Man sitzt also bei den Proben zunächst nackt da – und versucht, die jeweilige Figur kennenzulernen. Man stellt Spekulationen über ihre Beschädigungen, Stärken, Schwächen an. Eugene O’Neill hat die Figuren ungemein plastisch beschrieben.

Seine Angaben sind äußerst exakt: James Tyrone ist 65, wirkt aber zehn Jahre jünger, er hat hellbraune Augen, das graue Haar ist gelichtet, seine Haltung hat etwas Soldatisches, sein Gesicht „zeigt erste Anzeichen der Zerstörung“...

Ja, das kann man sagen! (Er lacht.) Das Soldatische und die hellbraunen Augen hab’ ich allerdings ausgelassen.

Das Stück ist ungemein realistisch. Wie geht Breth damit um?

Es war 1956, posthum uraufgeführt, sogar revolutionär in seinem Realismus. Heute würde dieser Hyperrealismus vielleicht pittoresk erscheinen. Wir treten daher nicht in Konkurrenz zur Verfilmung. Andrea spielt deutlich mit diesen Realitätsforderungen, indem sie dem Theater bestimmte konventionelle Dinge entzieht – und durch andere ersetzt.

Was machen Sie danach?

Die Bekanntgabe muss ich den Häusern überlassen. Denn ich habe mich immer geärgert, wenn ich irgendwo lesen musste, was bei den Festspielen passieren wird.

Was würden Sie gerne machen?

Ich habe nie Lieblingsrollen oder -projekte gehabt.

Der Da-Ponte-Zyklus war kein Lieblingsprojekt?

Nein, nicht einmal der „Figaro“, obwohl ich ihn mein ganzes Leben lang immer anders neu inszenieren könnte. Die Sachen sind tatsächlich alle auf mich zugekommen. Und ich habe alles gemacht, wenn es die Zeit erlaubte. Ich bin nicht um ein Buffet herumgegangen – und habe mir dann vom Trüffelschinken genommen. Nein, ich habe meistens das gegessen, was ich vorgelegt bekam.

Sie leben noch in Wien?

Ja, noch.

Was ist das Burgtheater für Sie?

Ich liebe es. Da werde ich sentimental. Es ist so, als wenn Sie in Ihr Elternhaus zurückkehren: Ich gucke nicht auf die Veränderungen, sondern auf die Konstanten.

Auf Karin Bergmann wird 2019 Martin Kušej folgen. Gut?

Ich kenne ihn persönlich und seine sehr guten Aufführungen, aber nicht als Intendanten oder Regisseur. Ich kann das also nicht beurteilen. Er hat gesagt, dass es politischer werden soll... Na denn! Ich wünsche ihm und dem Burgtheater jedenfalls Glück und Erfolg.

 

„Eines langen Tages Reise in die Nacht“

Die Reise durch das weite Land der Seele endet fatal: Eugen O’Neill verarbeitete in seinem 1941 vollendeten Drama, „geschrieben mit Tränen und Blut“, das Schicksal seiner Familie. James Tyrone, einst ein erfolgreicher Schauspieler, ist verbittert, seine Frau  Mary morphiumsüchtig, sein Sohn Jamie arbeitsunfähig – und Edmund, das Alter ego des Nobelpreisträgers, leidet an Tuberkulose. In der Burgtheaterproduktion (Premiere am 14.4. um 18 Uhr) spielen – neben Sven-Eric Bechtolf als Vater –  Corinna Kirchhoff, Alexander Fehling und August Diehl. Diehl begeisterte u.a. in „Diese Geschichte von Ihnen“ – ebenfalls in der Regie von Andrea Breth.

 

Kommentare