Eröffnung des Filmfestivals in Cannes: Zwischen Krieg und Glamour
Das Filmfestival von Cannes kehrt nach über zwei Jahren Pandemie (fast) wieder in seiner gewohnten Form zurück – und mit ihm eine Menge alter und neuer Probleme.Der Überraschungsgast der feierlichen Eröffnungsgala hieß – wenig überraschend – Wolodymyr Selenskij und wurde live zugeschaltet.
Er hielt eine bewegende Rede über die Rolle des Kinos in Zeiten des Krieges: „Wird das Kino schweigen oder darüber reden?“, lautete seine dringliche Frage an das sichtlich bewegte Premierenpublikum.
Der Kontrast zwischen dem ukrainischen Präsidenten im militärgrünen T-Shirt und dem glitzernden Galapublikum, zwischen Krieg und Glamour, hätte kaum größer sein können; er verdeutlichte einmal mehr den Irrsinn unserer politischen Gegenwart.
Die Festival-Preisjury unter dem Vorsitz des französischen Schauspielers Vincent Landon und die Premierengäste quittierten Selenskijs Rede mit Standing Ovations. Sowohl der afroamerikanische Schauspieler Forest Whitaker, der eine goldene Ehrenpalme erhalten hatte, als auch seiner Kollegin Julianne Moore griffen gerührt Selenskijs Plädoyer für ein engagiertes Kino auf.
Und damit waren die 75. Filmfestspiele auch schon wieder eröffnet – und der Tonfall wechselte radikal: Ausgerechnet mit einer Zombie-Komödie des französischen Regisseurs Michel Hazanavicius ging es laut kreischend weiter.
Das Remake des japanischen Kassenhits von 2017 hätte ursprünglich „Z (comme Z)“ heißen sollen. Nachdem aber „Z“ zu einem Symbol für die Unterstützung des russischen Angriffskrieges geworden war, taufte Hazanavicius nach Beschwerden aus der Ukraine seinen Film in „Coupez!“ (was so viel heißt wie: „Schneidet!“ oder „Schneiden Sie!“) um.
Top-Gun-Star Tom Cruise beim Festival in Cannes
Tatsächlich spielt der Schnitt eine zentrale Rolle in Hazanavicius’ trashigem B-Movie, in dem das Kunstblut literweise über die Leinwand spritzt. Es beginnt damit, dass ein Regisseur, der gerade einen Horror-Film dreht, seine Hauptdarstellerin niederbrüllt – weil sie sich nicht genug fürchtet. Ein Zombie beißt sie in den Hals, aber ihr Angstgeschrei klingt wenig überzeugend.
Ungeliebt
Michel Hazanavicius ist ein ungeliebter Regisseur innerhalb der cinephilen Fangemeinde. Sein Oscar-Gewinn für „The Artist“, eine Schwarz-weiß-Hommage an die Stummfilmzeit Hollywoods, gilt vielen als krasse Fehlentscheidung. Auch „Coupez!“, das nach knapp einer halben Stunde eine unerwartete Wendung nimmt und sich in eine Meta-Komödie über die Lust am Filmemachen verwandelt, wurde von einem Großteil der internationalen Kritik wutschäumend aufgenommen.
Ein bisschen spaßig ist er allerdings doch.
Die Leiden eines französischen Regisseurs, der für eine japanische Produzentin an dem billigen Remake eines japanischen Horrorfilms werkelt, nehmen teilweise grotesk komische Formen an: Einer der Darsteller betrinkt sich mit Sake und wird halb ohnmächtig durch seine Szenen geschleppt. Sein einziger Beitrag zum Horrorfilm: Wiederholtes Erbrechen. Ein anderer Hauptdarsteller hat gerade mit „Lars“ (von Trier) gedreht und geht dem gequälten Regisseur mit seiner ständigen Fragerei („Wie oft kann ein Zombie sterben?“) auf die Nerven. Und der Schauspieler, der den Regisseur spielt, verreißt sich das Kreuz und muss vom „echten“ Regisseur ersetzt werden.
Die Dreharbeiten laufen schließlich komplett aus dem Ruder und produzieren in ihrem Chaos eine anarchische Energie, die dann doch immer wieder Witze zündet.
Das Publikum bedankte sich bei „Coupez!“ mit einem vierminütigen Applaus, was für Cannes-Premieren relativ kurz ist. Die Latte für weitere Premieren liegt niedrig.
Für Festivalchef Thierry Frémaux wiederum liegt sie hoch: Zusätzlich zu der Frage, wie Cannes mit dem Ukraine-Krieg umgeht, kommen auch „alte“ Probleme aufs Tapet. Auch heuer muss sich Frémaux wieder einmal den Mangel an Diversität (zu wenige Frauen und praktisch keine schwarzen Filmemacher) in seinem Programm gefallen lassen.
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