Eine "Odyssa" als Gegenpol zu männlichen Großerzählungen

Eine Gruppe von Tänzern interagiert auf einer Bühne mit einer Treppenkonstruktion im blauen Licht.
Kritik: Im kleinen Theater Arche wird mit Herzblut ein beeindruckendes Großprojekt geboten: "Odyssee 2021"

Homers „Odyssee“, Joyces „Ulysses“, Dostojewskis „Verbrechen und Strafe“ und Dantes „Inferno“ und „Göttliche Komödie“ zu einem Theaterabend zu verbrämen: Es ist eine Herkulesaufgabe, die sich Theatermacher Jakub Kavin im von großen Fördersummen nicht gerade liebkosten Theater Arche in Wien Mariahilf gestellt hat.

Die dreistündige Theater-Odyssee beginnt im öffentlichen Raum mit einem antiken Chor. Dann begeben sich die 15 Akteurinnen und Akteure ins Theater. Dort teilt sich das Publikum in drei Gruppen und bekommt in unterschiedlicher Reihenfolge Szenen aus den erwähnten großen Epen zu sehen, dann treffen sich alle wieder im Theatersaal, wo auch die finale Textperformance abläuft.

Als verbindendes Element zwischen den Stationen läuft ein energiegeladener Odysseus (Claudio Györgyfalvay) durch die Szenerie, dessen heiliger Ernst sorgt mitunter für Schmunzeln.

Von Ithaka bis Dublin und Fukushima

Da Kavin aber einen Gegenpol zur männlich dominierten Literaturgeschichte setzen wollte, lässt er mehrere weibliche „Odyssas“ auftreten. Auch die Penelope wird ihrer reinen Warteposition enthoben. Eine vielversprechende Erscheinung schon in jungen Jahren: Amélie Persché als Penny, die des Wartens überdrüssig ist.

Gegenwartsautorinnen (u. a. Marlene Streeruwitz, Kathrin Röggla, Lydia Mischkulnig, Theodora Bauer) schrieben eigens für diese Produktion Texte zu einer Odyssee des Jahres 2021, darunter auch ein Text zur Atomkatastrophe in Fukushima, mit Hingabe gespielt von Manami Okazaki.

Molly Blooms Monolog aus dem "Ulysses" wird von Elisabeth Halikiopoulos eindrucksvoll mit Leben erfüllt. Aber auch James Joyces vergessene Tochter Lucia Joyce, die ein Fall für die Psychiatrie wurde, kommt hier in einem Text von Margret Kreidl zu Wort (gespielt von Pia Nives Welser).

Eine Gruppe von Menschen tanzt und gestikuliert auf einem Platz im Freien.

Ein Mann steht auf einer Bühne, während andere Darsteller im Hintergrund zu sehen sind.

Zwei Frauen stehen Rücken an Rücken, die eine mit blonden, die andere mit braunen Haaren.

Eine Gruppe von Schauspielern tritt auf einer Bühne mit blauer Beleuchtung auf.

Zwei Menschen stehen Stirn an Stirn und lächeln sich an.

Eine junge Frau mit einer Geige in der Hand sitzt in einer Nische und schaut nach oben.

Zwei Männer sitzen an einem Tisch und unterhalten sich.

Eine Frau im Morgenmantel hält ein rotes Kissen vor einem Spiegel.

Eine Gruppe von Tänzern interagiert auf einer Bühne mit einer Treppenkonstruktion im blauen Licht.

Eine junge Frau mit Schutzbrille bearbeitet einen Stein mit Hammer und Meißel.

Eine junge Frau und ein junger Mann halten sich an den Händen.

Ein besseres Land?

Wir alle irren auf der Welt umher. Literatur kann dieses Herumirren beschreiben, aber auch Orientierung geben. Als zeitgenössischer, kämpferischer Odysseus deklamiert Eike N.A. Onyambu jenen Text, mit dem US-Lyrikerin Amanda Gorman bei der Inauguration Joe Bidens Berühmtheit erlangte. In "The Hill We Climb" heißt es: "So let us leave behind a country better than the one we were left with."

Die Materialfülle ist immens, die Musik (Ruei-Ran Wu) betörend. Den roten Faden muss man zwar selbst spinnen, doch aus den auf hohem Niveau dargebotenen Textflächen ergeben sich zahlreiche inspirierende Querverweise.

Ob 2022 in der Arche Theater stattfinden wird, steht in den Sternen. Es wäre schade drum.

 

INFO: „Odyssee 2021“ ist die zentrale Produktion des Odyssee-Festivals im Wiener Theater Arche mit weiteren szenischen Lesungen wie dem "Dostojevski Experiment" (bis 11. November 2021) - Weitere Termine: 4., 5., 6., 8., 9., 10. und 11. November 

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