Gerhard Richter sagte am Ende freundlich ab: Danke, sehr schön alles, aber er wolle sich nur mehr aufs Malen konzentrieren. Dabei, sagt Admir Jahic, habe der wohl bedeutendste lebende Künstler einen sehr extravaganten Musikgeschmack. Und so zögerte Jahic mit seinem Partner Comenius Roethlisberger nicht, den Maler für das Projekt „Music – a Conversation through Song Titles“ zu kontaktieren: Er solle doch künstlerisch – in welcher Weise auch immer – auf einen Songtitel reagieren, den ihm das Duo vorschlug.
Bei mehr als 80 Künstlerinnen und Künstlern hatten Jahic und Roethlisberger Erfolg. Das Unterfangen, dessen Resultat nun als Künstlerbuch vorliegt und bis 14. 11. auch als Ausstellung in der Kulturstiftung KBH.G in Basel/CH* präsentiert wird, hat ein wenig Guerilla-Flair, erzählt aber auch viel über die Netzwerke und Beziehungen, auf deren Basis die Kunstwelt funktioniert.
Den Richtigen finden
Schon einmal hatte das Basler Duo ein vergleichbares Projekt ausgeführt – und Kunstschaffende nach Kochrezepten gefragt. Das mehrfach ausgezeichnete Buch ebnete nun teilweise den Weg in die Ateliers von klingenden Namen wie Albert Oehlen, Antony Gormley oder Erwin Wurm. „Jeder große Künstler hat 30, 40, 100 Leute um sich – aber es gibt immer nur die eine richtige Person, die du erwischen musst“, sagt Roethlisberger.
Selbst sehen sich Jahic und Roethlisberger als unabhängige Akteure – auf die Vertretung durch eine Galerie verzichten sie bewusst. Just die österreichische Band Bilderbuch – selbst quer über die Sparten Pop, Design und bildende Kunst gut vernetzt – sei für sie dabei ein Vorbild, sagt Jahic: „Sie haben uns als bildenden Künstlern gezeigt, dass man auch andere Wege beschreiten kann.“
Wobei wir wieder bei der Musik wären: Sie hat die Eigenschaft, Bilder im Kopf zu erschaffen oder solche aus der Erinnerung hervorzuholen. „Unser Experiment lautet: Schaffen wir es, das auch nur mit Geschriebenem auszulösen?“ erklärt Roethlisberger. Und so schickten die Künstler Songtitel oder -zitate an Kolleginnen und Kollegen in aller Welt – nicht ohne vorher recherchiert zu haben, was passen könnte. „Gut geplanter Zufall“ nennen die beiden ihr Prinzip.
Manche Resultate gerieten optisch anspruchsvoll – so gruppierte etwa VALIE EXPORT rund um den Schriftzug „More“ (Songtitel der Kanadierin Peaches, 2009) Yoko Onos „Hell In Paradise“ (1985) nach Art der konkreten Poesie. Oft bleiben die Konversationen am Papier auch unspektakulär, machen aber gedanklich Räume auf.
Ein künstlerischer Vorläufer dafür ist Konzeptkünstler Lawrence Weiner, der ebenfalls seinen Beitrag lieferte: Zum Schriftzug „Is It Love or Desire?“ (Betty Davis, 1976 – „Ist es Liebe oder Begehren?“) fügte er den Satz „Until The Real Thing Comes Along“ (Billie Holiday, etwa „Bis das Wahre daherkommt“) hinzu. Alfredo Jaar reagierte auf den „Immigrant Song“ (Led Zeppelin, 1970) mit dem Titel „I’m Afraid of Americans“ (David Bowie, 1997): Eine interessante Wahl, wenn man weiß, dass Jaar Anfang der 1980er vor dem Pinochet-Regime aus Chile in die USA flüchtete.
Konfliktpotenzial
Die Frage, wessen Werk die Blätter nun sind – Originalgrafiken von Wurm, Export, Jaar oder doch von Jahic/Roethlisberger? – hat tendenziell Konfliktpotenzial – im Kunstbetrieb wird heute schließlich mit Adleraugen über Urheber- und Verwertungsrechte gewacht, je höher der Marktwert der Akteure, desto strenger. Mit ihrem „artist-to-artist“-Ansatz konnten Jahic/Roethlisberger aber auch diese Klippe umschiffen: Sie schlossen keine Verträge, sondern vereinbarten, dass die Originalblätter gesammelt zugunsten der NGO „Viva con Agua“ versteigert werden, die Wasser- und Hygieneprojekte in aller Welt unterstützt.
* Die Reise des KURIER nach Basel wurde zum Teil von der Stiftung KBH.G finanziert.
Das Buch "Music - A Conversation through Song Titles" ist bei Bolo Publishing, dem eigenen Verlag der Künstler Jahic & Roethlisberger, erschienen. Bis zum 14. 11. ist es direkt von diesem zu beziehen (mia@bolo-publishing.ch). Danach kommt das Buch zum Preis von 45 Euro in den regulären Handel (ISBN: 978-3-9525343-11)
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