Ein Aufruf zum Widerstand der Kultur

ImPulsTanz-Mitbegründer Ismael Ivo zeigt noch heute, Samstag, mit seiner Biblioteca do Corpo im Arsenal (Beginn: 19 Uhr) seine neue Arbeit „Black/Out“
Karl Regensburger, Intendant des ImPulsTanz-Festivals, ärgert sich über Mutlosigkeit.

33-mal hat er ImPulsTanz nun schon geleitet. Heuer wieder mit großem künstlerischen Erfolg. Genug hat Karl Regensburger noch lange nicht: "Das ist ein notwendiges Lebenselixier", sagt er im KURIER-Interview vor dem letzten Festival-Wochenende.

Offenbar nicht nur für ihn, sondern auch für viele Besucher, die ImPulsTanz zum weltgrößten Festival für zeitgenössischen Tanz gemacht haben. Heuer kamen 80.000 zahlende Besucher, weiters 46.500 bei freiem Eintritt, und es gab 7200 Workshop-Buchungen. Die Gesamt-Auslastung lag bei 98,1 Prozent. Besondere Highlights aus seiner Sicht waren die Arbeiten von Wim Vandekeybus, Anne Teresa De Keersmaeker, Chris Haring oder Simone Aughterlony. "Da war auch viel Opernhaftes dabei", sagt Regensburger.

KURIER: Stichwort Oper: ImPulsTanz ist ja viel mehr als ein Tanzfestival. Da geht es um neue theatralische Formen, um Experimente. Wie dringend nötig hat das gerade eine als konservativ geltende Stadt wie Wien?

Ein Aufruf zum Widerstand der Kultur
ImPulsTanz
Karl Regensburger:Wien ist nicht so konservativ, wie es oft dargestellt wird. Man muss sich nur bemühen, auch die Neugierde des Abo-Publikums zu schüren. Dass dieses sich nicht nur fragt: Was machen die schon wieder im meinem Theater?

Gibt es das nicht viel zu selten, gerade in Wien: Mut zu Neuem? Ist der Repertoirebetrieb an den meisten Theatern nicht viel zu statisch?

Ja, viele Bühnen versuchen, die Saison einigermaßen zu bewältigen, ohne große Experimente, ohne Freiräume. Das ist wohl auch ein Kotau vor dem konservativem Publikum. Aber vor allem sorgen die eingeredeten ökonomischen Zwänge für Mutlosigkeit.

Warum eingeredet? Es leiden doch tatsächlich alle unter großem finanziellen Druck.

Das ist ja das Problem. Das man sich heutzutage als Theatermacher schon zufrieden gibt mit jahrelang gleichbleibenden Subventionen und sich nicht einmal mehr traut, mehr zu verlangen. Wir akzeptieren, dass immer mehr Geld in Sicherheit fließt oder in das Bundesheer. Pfeffersprays sind wichtiger als Theaterkarten. Das darf doch nicht sein. In der Kulturszene fehlt der Widerstand. Es wird nicht einmal mehr gegen diese Situation argumentiert. Man wagt es gar nicht mehr, bei den Subventionsgebern die Realkosten einzureichen.

Wie kann Widerstand aussehen?

Die Kulturpolitik muss gemeinsam mit den Kulturschaffenden Einspruch erheben und an einem neuen Selbstverständnis arbeiten. Das geht nicht von heute auf morgen, das wird Zeit und Geld kosten. Das braucht Strukturen und nicht nur kurzfristige Erfolgsmeldungen oder das händeringend wiederholte Mantra, dass man eh immer alles richtig gemacht habe und es nur besser vermitteln müsse. Wir können uns vorstellen, wie diese Vermittlungsarbeit aussieht: Noch mehr Geld an Werbeagenturen und Kampagnen statt in die künstlerische Produktion.

Kann Kunst wirklich etwas beitragen zur Verbesserung der gesellschaftspolitischen Situation?

Und ob. Es geht um Debatten und Angebote. Wie wir zusammenleben wollen, in welcher Gesellschaft, in welcher Welt. Offene Gesellschaft versus verwaltete Welt, die um uns herum in totalitären Autoritarismus umzuschlagen droht. Die Budgets, die wir bekommen, sind nur Peanuts, sind Nüsse im Vergleich zu den Ausgaben für Sicherheit. Wir sollten unsere Forderungen nach Budgets wieder verstärkt mit Inhalten verbinden. Es geht um eine Wertedebatte, gegenüber der alltäglichen Angstmache, der Verrohung, nicht nur gegenüber dem Schreckgespenst eines Islam oder Erdogan oder Putin.

Von vielen wird Theater immer noch primär als Repräsentation gesehen ...

Unser Geschäft ist die Repräsentation, aber im Sinn von Bildermachen, Beziehungen stiften, Formen von Zusammensein ausprobieren. Dazu gehört auch das Böse, das Ekelhafte, das Sinnliche, der Exzess. Wir brauchen Kunst als Schutzraum – nicht als Eskapismus oder Weltflucht ins Schöne, sondern als Schutzraum unserer Gesellschaft. Noch tanzen nicht alle gern zum Beat eines Andreas Gabalier.

Und Sie fühlen sich von der Stadt Wien ökonomisch dafür nicht ausreichend unterstützt?

Absolut nicht. Wir bekommen von der Stadt 2,15 Millionen und vom Bund 550.000. Wir bräuchten jedoch 3,5 Millionen pro Jahr. Im Moment müssen wir 96 Prozent Auslastung für ein Nullsummenspiel erreichen. Das ist absurd. Die Haltung, "seid’s froh, dass es nicht weniger wird", ist unerträglich.

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