Dorothee Hartinger: „Jeder scheitert an der Ballung der Macht“

Dorothee Hartinger ist in vier Produktionen auf den Burgtheater-Bühnen zu sehen – und ab 24. Februar in „Am Ende Licht“
Dorothee Hartinger, 1971 in Regensburg geboren, ist eine zierliche Person – mit großen Anliegen: Die Schauspielerin, gegenwärtig in vier Rollen auf den Burgtheater-Bühnen zu sehen, gibt sich nicht zufrieden mit den herrschenden Verhältnissen.
KURIER: Sie sind schon 20 Jahre am Burgtheater. Der ehemalige Direktor Klaus Bachler hat Sie geholt?
Dorothee Hartinger: Er hatte mich Ende der 90er-Jahre gefragt, als ich in Frankfurt am Schauspiel war. Aber ich konnte damals nicht. Auch deshalb, weil ich das Angebot von Peter Stein hatte, in seinem „Faust“ das Gretchen zu spielen. 2001 gastierten wir in Wien. Danach rief ich Bachler an und fragte ihn, ob sein Angebot noch gelte. Und er sagte Ja. Ich bereue kein Jahr hier in Wien.
Sind Sie auch Wienerin geworden?
Ich bin Bayerin, da gibt es schon eine Nähe. Aber Wienerin? Nein. Auch wenn hier mein Lebensmittelpunkt ist. Ich bin alleinerziehende Mutter einer mittlerweile zwölfjährigen Tochter. Sie ist Wienerin.
Und Sie möchten bleiben?
Wenn eine neue Intendanz mit einer oder einem von uns nichts anfangen kann, kann sie einfach eine Nichtverlängerung des Vertrags aussprechen. Das ist dann letztlich einfach eine Geschmacksfrage – und das könnte auch mich treffen. Obwohl ich mich nach 20 Jahren dem Burgtheater so zugehörig fühle, wie es eine neue Intendantin oder ein neuer Intendant gar nicht sein kann.
Sie haben ja schon mehrere Direktoren erlebt, auch Matthias Hartmann, Karin Bergmann und Martin Kušej. Mit wem konnten Sie?
Ich finde die Position des Intendanten immer herausfordernd – in dieser steilen Hierarchie. Egal wer, jede Person scheitert an der Ballung der Macht. Denn jeder Mensch hat Fehler – und diese Fehler werden sich immer auf den Betrieb legen. Solange die Verantwortung nicht breiter gefächert ist und ich weiterhin in der direkten Abhängigkeit bin, werde ich eher kein entspanntes Verhältnis zu einem Intendanten oder einer Intendantin haben.
Wie spüren Sie die Abhängigkeit?
Es ist zum Beispiel heikel, sich kritisch über eine Intendanz zu äußern. Das kann letztlich sogar Einfluss auf eine Nichtverlängerungsentscheidung haben. Da stimmt etwas von der Struktur her nicht.
Es wird Mode, dass der neue Direktor das Ensemble kündigt – und sein eigenes Team mitbringt. Wird da nicht jeder Widerspruch schon im Vorhinein verunmöglicht?
Das gesamte Ensemble auszutauschen, ist ja auch hier am Volkstheater passiert. Das heißt: Das Ensemble ist kein Gegenpol zum Intendanten, es gibt eine direkte Abhängigkeit. Das Positive am Burgtheater ist, dass das Ensemble zusammengewachsen und sehr groß ist. Es hat sich über die Jahre hin eine gewisse Selbstständigkeit bewahrt.
In Deutschland gab es mehrere Versuche einer kollektiven Führung, nicht nur am Schauspiel Frankfurt, sondern auch an der Schaubühne in Berlin und am Theater am Turm. Aber funktioniert haben sie nie.
Auch wenn das Modell zwei- oder dreimal gescheitert ist, hat es, glaube ich, ein großes Potenzial. Die Welt verändert sich – und auch das Theater verändert sich. Es muss sich verändern. Die Inhalte, die wir auf der Bühne vertreten, sind humanistischer Natur. Insofern sollten wir ein Betrieb sein, der mit einer geteilten Verantwortung geführt wird. Die Frage ist auch, was Scheitern genau heißt. Das TAT, die Schaubühne, das Frankfurter Mitbestimmungsmodell haben Regisseure, Regisseurinnen, Schauspielerinnen und Schauspieler hervorgebracht, die das Theater in den letzten Jahrzehnten entscheidend geprägt haben.
Müssen Sie spielen, was Ihnen angeboten wird? Oder dürften Sie auch Vorschläge machen?
In der Regel bekommt man Rollen zugewiesen. Meine Erfahrung ist allerdings, dass sich sowieso nicht im Vorhinein sagen lässt, wie eine Produktion wird. Oft gibt es da ganz herrliche Überraschungen.
Das gilt etwa für „Der Fiskus“. Kaum jemand würde aufgrund des Titels einen derart turbulenten, amüsanten Abend vermuten…
Ich liebe die Inszenierung! Das gleiche gilt auch für das Kinderstück „Zoe“. Ich gehe daher immer davon aus, dass alle Rollen, die man mir anbietet, interessant werden könnten. Und ich bin eine Ensemble-Schauspielerin. Aber natürlich gibt es auch die Sehnsucht, große Rollen zu spielen. Das ist ja nicht zwingend ein Widerspruch, es sollte ausgeglichen sein im Ensemble.

Sehr unterhaltsam: "Der Fiskus" im Kasino

Höchst fantasievolle Inszenierung: "Zoes sonderbare Reise durch die Zeit"
Da haben Sie jetzt ein größeres Projekt vor sich: In „Am Ende Licht“ spielen Sie gleich vier Frauenrollen.
Nein, eigentlich eine Frau, die zu Beginn stirbt – und danach in drei anderen Figuren oder Funktionen bei ihren Familienmitgliedern auftaucht, um bestimmte Dinge zu klären. Das ist ein kluger Kniff von Autor Simon Stephens – für mich eine neue Herausforderung!
Wie funktioniert das Proben in Zeiten der Pandemie? Oder überhaupt der Theaterbetrieb?
Wegen Corona und der Schließungen fielen ein paar Vorstellungen von „Der Fiskus“ aus. Und nun sind die Besucherzahlen stark zurückgegangen. Das ist ein Drama, eben weil das Stück so toll ist. Ja, ich finde es schon traurig, wenn wir vor vielen leeren Plätzen spielen. Das ist sogar grauenvoll! Das rührt vielleicht von meiner Anfangszeit in Frankfurt her: Es gab damals so gut wie kein Abonnement, wir mussten jeden Abend die Relevanz von Theater beweisen. Diese Urangst, dass man uns vielleicht nicht mehr braucht, steckt wahrscheinlich in vielen Theaterschaffenden. Aber ich will nicht meckern. Ich bin – im Gegensatz zu vielen anderen in der freien Szene – angestellt. Und es ist wirklich großartig, dass in dieser Situation trotzdem Publikum kommt.
Das Programm ist ja nicht animierend: „Der Henker“, „Der Selbstmörder“, „Der Leichenverbrenner“.
Wir haben im Ensemble schon Witze darüber gemacht! Aber man kann den Spielplan nicht so leicht umwerfen, da stecken jahrelange Planungen dahinter. Und die Burg ist das Nationaltheater, unsere Aufgabe ist es nicht, die Menschen mit Komödien zum Abschalten zu bringen. Andererseits … Ich war vor Kurzem im TAG, in „Ödipus“ von Alexander Pschill. Eine wahnsinnig lustige Inszenierung. Eine wahnsinnig lustige Inszenierung. Ich dachte mir: Darauf hätte ich auch Lust! Aber tatsächlich hat auch „Der Leichenverbrenner“ mit dem Puppenspiel von Nikolaus Habjan viel Humor und „Monster“ ist an vielen Stellen urkomisch – das verraten nur leider die Titel nicht!
Aber die Stimmung ist im Keller?
Nicht generell, aber natürlich hat man die Angst, dass die Pandemie eine grundsätzliche Theaterkrise auslösen könnte.
Ein Einpersonenstück wie „Die Wand“ ist jetzt ideal. Denn Sie können immer einspringen …
Ja, erst letzte Woche ist „Bunbury“ ausgefallen. Ich springe sehr gern ein. „Die Wand“ ist ja auch mein eigenes Projekt.

Ihr eigenes Projekt: Dorothee Hartinger in der Dramatisierung „Die Wand“
Tatsächlich?
Ja. Ich hatte das Gefühl, dass ich wieder einmal einen Abend bestreiten muss. Das war ein großer Kampf – auch mit dem damaligen Intendanten Matthias Hartmann. Aber ich hab’ mich durchgesetzt.
Warum denn Kampf?
Mir fiel auf, dass noch niemand „Die Wand“ gemacht hatte. Immerhin ein Monolog – und ein bekannter Roman. Später wusste ich warum: Weil die Verhandlungen mit der Marlene-Haushofer-Erbin immer gescheitert sind. Ich brauchte ein Jahr, um die Rechte zu bekommen. Und ich habe das Projekt finanziert, wie schon davor bei Arthur Schnitzlers „Else“. Daher kann ich aber auch unabhängig vom Burgtheater Gastspiele bestreiten.
Gibt es schon ein neues Projekt?
Ich habe mir für mein Leben drei Projekte vorgenommen. Als junge Frau habe ich „Else“ gemacht, im mittleren Alter „Die Wand“ – und für das Projekt als alte Frau hab’ ich noch ein wenig Zeit!
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