"Der Leichenverbrenner“ im Akademietheater: Germanischer Herrenmenschenknödel
Wofür die Natur zumindest 20 Jahre braucht, schafft er in nur 75 Minuten: den Leichnam zu Staub werden zu lassen. Und das Reich braucht Männer wie ihn, diesen pflichtbewussten, von seiner Arbeit beseelten, strikt den „Todesfahrplan“ einhaltenden Leichenverbrenner, wenn die Endlösung der Judenfrage ansteht: Der von Karel zum Karl mutierte Herr Kopfrkingl darf als „stolzer Träger des Deutschtums“ neue Gasverbrennungsöfen testen.
Was für eine erstaunliche Karriere also, über die Ladislav Fuks in seinem 1967 veröffentlichten Roman „Der Leichenverbrenner“ berichtet. Gegen ihn, den Tschechen mit dem Tropfen deutschen Blutes und dem nicht ganz reinrassigen Nachnamen, ist sein österreichischer Verwandter, der Herr Karl des Helmut Qualtinger, ein echtes Weichei.
Doch der österreichische Herr Karl ist ein mieser Charakter, ein Mensch aus Fleisch und Blut – und daher ein Monster. Der tschechische Herr Karl hingegen bleibt, wiewohl in der nur 100-minütigen Dramatisierung von einem Menschen verkörpert, eine ziemlich abstrakte Figur. In der soliden Umsetzung durch den Puppenspieler Nikolaus Habjan, die am Donnerstag im Akademietheater ihre Uraufführung erlebte, ist fast jeder Satz von Franzobels Fassung mit einem Ausrufezeichen versehen.
Schreckliche Zärtlichkeit
Gleich zu Beginn sagt der Leichenverbrenner zu seiner Frau Marie, die er Lakmé ruft: „Ich habe eine schreckliche Zärtlichkeit für dich.“ Da denkt man unweigerlich an den Fleischhauer Oskar, der in den „Geschichten aus dem Wiener Wald“ zu seiner Marianne sagt, sie werde seiner Liebe nicht entkommen. Und so kommt es natürlich auch.
Zunächst erscheint der Leichenverbrenner, dem Michael Maertens im Zweireiher Stattlichkeit wie unendliche Güte verleiht, als Vorzeigetscheche. Er rühmt seine Heimat, er hört die Musik von Janáček, Smetana, Dvořák und liebt die Buchteln und Liwanzen, die Pofesen und Powidldatscherln, die Golatschen und Mohnnudeln. Er hat auch kein Problem mit den Juden, ganz im Gegenteil. Er will sogar dem Herrn Strauss helfen. Beim Gespräch in der Konditorei wird diesem aber statt der bestellten Liwanzen eine Schwarzwälderkirschtorte serviert. Ein Versehen, wie der Leichenverbrenner meint? Sicher nicht.
Diese andauernde Absichtlichkeit geht mit der Zeit furchtbar auf die Nerven. Alles kommt exakt so, wie es kommen muss: Der Tscheche verwandelt sich nach der Annexion des Sudetenlandes unter dem Einfluss seines ehemaligen Kriegskameraden Willi, der wie ein Diabolus ex machina auftaucht, in einen Kollaborateur. Er liefert seine Mitarbeiter Stanislav und Ladislaus (oder Ladislav und Stanislaus?) den Nazis aus – und ist ganz darauf erpicht, die Wohnung seines Arztes zu übernehmen, der zwar Bettelheim heißt, aber – eh, klar – Mercedes fährt.
Volksfeinde steinigen
Die Familie versucht gegenzuhalten. So gut es eben geht. Tochter Zina leitet die Annexion von „Anus“ ab: „Wir sind im Arsch.“ Sohn Mili will sogar offen Widerstand leisten. Und wenn der Willi vom Knödel schwärmt, der dem Knedlicky weit überlegen sei, gestattet sich selbst die ohnmächtige Ehefrau die Frage: „Ist das nicht dasselbe?“ Natürlich nicht: Der Knedlicky sei ein formloser Patzen, der germanische „Herrenmenschenknödel“ hingegen waffenscheinpflichtig. Mit ihm könne man sogar Volksfeinde steinigen.
Es gibt einiges zum Schmunzeln. Es gibt auch ein paar drastische Momente. Und das Feuer lodert im betonbunkerartigen Krematorium von Jakob Brossmann. Rund um die vierköpfige Familie kommen ausschließlich Klappmaulpuppen oder Schauspieler mit Masken zum Einsatz. Habjan selbst, als Tod geschminkt, führte bei der Premiere die Fratze des manipulativen Willi.
Versteinerte Gesichter
Immer wieder taucht als Parallelhandlung ein hinreißendes Ehepaar auf. Sie erweist sich mit schreckgeweiteten Augen als Kasandra-Ruferin, die den Zweiten Weltkrieg, die Bomben, den Hunger, die Deportationen etc. erahnt. Und er beschwichtigt immerzu.
Auch Dorothee Hartinger als Marie, Alexandra Henkel als Zina und Sabine Haupt mit Harry-Potter-Brille als verweichlichter bzw. verweiblichter Mili wirken wie Puppen: mit versteinerten Gesichtern, abgezirkelten, verzögerten Bewegungen. Michael Maertens gelingt dies mit seinem typischen Betulichkeitssingsang grandios. Leider aber hat Habjan, der sich am Brecht’schen Lehrtheater und der tschechischen Filmästhetik orientierte, viel zu viel illustriert und viel zu viel Aufwand betrieben. Geheimnis bleibt in diesem Politkabarett keines mehr.
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