Puppenspieler Habjan: "Die Menschen denken nur noch wie Twitter"
KURIER: "Nathan der Weise" ist offenbar das Stück zur Zeit? Fast 250 Jahre alt und immer noch aktuell.
Günter Franzmeier: Traurig, oder?
Nikolaus Habjan: Das Stück ist heiß. Da sind Sätze drinnen! Wenn man hört, dass die Pegida-Anhänger schreien: Wir sind das Volk … und dann hört man Nathan sagen: Welches Volk? Es ist interessant, dass das Christentum im Stück die Rolle einnimmt, die jetzt der Islam hat: die kriegerische Religion. Nathan und Saladin stehen für gemäßigte Zugänge, der christliche Patriarch verkörpert den Fundamentalismus.
"Nathan der Weise" gilt als Schlüssel-Drama der Aufklärung. Heute hat man den Eindruck: Dieses Projekt der Aufklärung ist gerade im Begriff zu scheitern.
Habjan: Das ist ein theoretisches Stück, welches die Aufklärung als Formel formuliert. Die Frage muss man sich stellen: Hat diese Formel funktioniert? Das zeigt sich auf den letzten vier Seiten des Stückes – auf fast abstruse Weise geht sich plötzlich alles aus, wie ein Knoten, der, plupp!, aufgeht. Alle sind verwandt und alle sind glücklich. Das ist für mich ein entscheidender Punk als Regisseur: Wie gehe ich mit diesem Ende um?
Franzmeier: Diese Utopie, dass alle Religionen verwandt sind und sich alles ausgeht, die ist zu hinterfragen. Denn wir wissen ja heute, dass das alles überhaupt nicht funktioniert. Es ist ein blauäugiger Gedanke.
Habjan: Ein theoretischer!
Warum ist die Idee der Aufklärung aus der Mode geraten? Früher dachten wir, der Mensch wird immer klüger und klüger.
Habjan: Genau das ist der Grund. Die Hybris. Weil wir dachten, es kann nicht wieder schlechter werden. Es gab Leute, die eine schlimme Vergangenheit erlebt hatten und gesagt haben: Da dürfen wir nicht mehr hin. Jetzt sind die meisten Zeitzeugen nicht mehr da. Jetzt zeigt sich die mangelnde Geschichtsaufarbeitung. Auf der anderen Seite ist es so, dass den Menschen unsere Zeit viel schlimmer verkauft wird, als sie ist – es wird mit Angst gearbeitet.
Franzmeier: O ja!
Habjan: Irgendwann kennt sich niemand mehr aus, und die Gefahr, dass man dann einer starken Stimme folgt, ist leider groß.
Franzmeier: Ich habe das Gefühl, dass die heutigen Menschen vielleicht auch nicht so klug sind, wie sie sein sollten. Es gibt die globale Verblödung… es ist doch unglaublich, dass z. B. der Trump machen darf, was er tut!
Habjan: Die Menschen denken nur noch wie Twitter, in kleinen Schlagzeilen. Es ist doch ein Grundsatz der Aufklärung, zu zweifeln! Darum geht es auch in diesem Stück: Um den Appell, alles zu hinterfragen.
Franzmeier: Und jetzt kriegt man aber dauernd so viele Informationen, und du kannst ja nicht jede hinterfragen! Deshalb haben auch die fake news so viel Erfolg.
Sie haben das positive Ende des Stücks erwähnt. Aber immer hat man das Gefühl: Da lauert die Katastrophe, der Hass, der Abgrund.
Habjan: Absolut. Das Damokles-Schwert, das über allem Figuren hängt, muss man spüren. Dann ist die Ring-Parabel auch kein nettes Märchen mehr, sondern da wird um Kopf und Kragen erzählt! Und was mich als Schüler genervt hat: Das wird oft als langweiliges Abnick-Stück gespielt. Man denkt sich nach einer Viertelstunde: Ja eh, alles Toleranz und wunderbar, warum sitze ich da jetzt stundenlang drinnen?
Wie geht man damit um, dass jeder im Publikum dazu schon einen Aufsatz schreiben musste?
Habjan: Wir gingen mit der Schule 2002 in Graz ins Schauspielhaus, und mich hat das Stück gepackt, weil ich durch meine Eltern vorbereitet war. Ich denke beim Inszenieren sehr wohl an die Jugendlichen, die da rein müssen. Ich wünsche mir, dass sie dann denken: Das war gar nicht so schlimm, eigentlich will ich so etwas wieder sehen.
Franzmeier: Wenn ich es schaffe, die Figur plausibel zu machen, dann sollte der Zuschauer nicht mehr darüber nachdenken, was er in der Schule gelernt hat.
Wie gehen Sie mit Lessings doch sehr "hoher" Sprache um?
Habjan: Wir haben sprachtechnisch kaum etwas verändert. "Jetzt" bleibt "itzt".
Franzmeier: "Kommt" bleibt "kömmt".
Habjan: Mich nervt der Trend, im Theater die Stücke in so eine aufgesetzte Alltagssprache zu übersetzen. Da habe ich viel zu viel Ehrfurcht vor dem Text und dem Autor.
Franzmeier: Wenn man sich dem Autor stellt, muss man konsequent sein. Und es ist für einen Schauspieler doch ein Riesenspaß, sowas sprechen zu dürfen und auch daran zu scheitern!
Wie bauen Sie die Puppen ein?
Habjan: Ich wollte immer einmal sehen, wie sich Nathan beim Denken mit sich selbst unterhält. Deshalb habe ich zum ersten Mal fotorealistische Puppen im Einsatz, wo man im Zwielicht im ersten Moment gar nicht erkennt, wer ist die Puppe, wer ist der Mensch? Es wird auch nur zwei Puppen geben – das Alter ego von Nathan und das des Patriarchen. Diese beiden Gegenpole.
Wie ist das, mit sich als Puppe zu spielen?
Franzmeier: Es ist unglaublich, welche Präsenz diese Puppen auf der Bühne entwickeln! Man denkt sich auf einmal: Der hat ja mehr Ausstrahlung als ich! Man muss ich etwas abschauen von der Puppe!
Unter den Nazis war das Stück verboten, sie hatten also Angst vor den Gedanken darin. Hat das Stück immer noch das Potenzial, diese Gedanken zu übertragen?
Habjan: Ja, sie sind zeitlos. Das Stück ist voll von Gedanken, die wirken wie Antikörper!
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