Wenn großes Theater Lust aufs Lesen macht

Ein homogenes Ensemble erweist Doderer in Reichenau seine Reverenz: André Pohl, Thomas Kamper, Rainer Frieb und Joseph Lorenz (v. li.)
Die Festspiele Reichenau zeigen Nicolaus Haggs Bühnenfassung von Doderers "Dämonen".

Kann man einen 1345 Seiten starken Roman wie Heimito von Doderers Opus Magnum "Die Dämonen" wirklich auf einen knapp dreistündigen (inklusive Pause) Theaterabend reduzieren? Ja, man kann! Denn Nicolaus Hagg hat für die Festspiele Reichenau unter dem Titel "Doderers Dämonen" eine sehr kluge, natürlich extrem gestraffte Spielfassung gefunden, die dem Roman gerecht wird, die auch große Lust aufs (Wieder-)Lesen des großartigen Buches macht.

Natürlich muss Hagg viele Figuren und Handlungsstränge des Originals opfern. Wer "Die Dämonen" kennt, wird aber immer wieder kurze Anspielungen auf Entfallenes finden. Das szenische Ergebnis im Neuen Spielraum ist somit ein von Hermann Beil mit Gefühl umgesetztes, von den Schauspielern getragenes Konversationstheater.

Versunkene Welt

In Rückblicken (wir schreiben das Jahr 1945) werden sie lebendig, die Dämonen des Chronisten Georg von Geyrenhoff und die politischen Ereignisse der Jahre 1926 und 1927, die in den Brand des Justizpalastes münden. Die Clique der "Unsrigen" trifft in losen Begegnungen wieder aufeinander, Amouren entstehen, zerbrechen, neue Paare finden sich. Und natürlich bewahrt Geyrenhoff Charlotte Schlaggenberg, genannt Quapp, vor dem Betrüger Levielle.

Eine versunkene Welt, die im atmosphärischen Bühnenbild von Peter Loidolt zielgerichtet in die Tragödie des Zweiten Weltkriegs taumelt.

Gespielt wird in Reichenau meist auf gewohnt hohem Niveau. So verleiht etwa Joseph Lorenz – er war schon 2009 im Südbahnhotel bei der Adaption von Doderers "Strudlhofstiege" als Melzer im Einsatz – seinem Geyrenhoff viel Grandezza und eine tiefe, anrührende Traurigkeit. Als von einer Beinprothese abhängige Mary K. erkämpft sich Julia Stemberger ein neues Leben und ein neues Liebesglück. Johanna Arrouas wiederum gibt eine entzückend-naive Quapp; als Witwe Ruthmayr glänzt Fanny Stavjanik mit Hintersinn.

René Stangler und Kajetan Schlaggenberg sind bei David Oberkogler und Sascha Oskar Weis gut aufgehoben; als Ferry Siebenschein setzt der große Peter Matić auch humoristische Glanzlichter. Als seine Tochter Grete agiert Karin Kofler souverän. André Pohl als Levielle, Rainer Frieb, Thomas Kamper, Christoph Zadra, David Jakob und vor allem Philipp Stix als Latein lernender Arbeiter Kakabsa führen das übrige Ensemble an.

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