Diskriminierung, wohin man blickt

Diskriminierung, wohin man blickt
Die Journalistin Pauline Voss seziert brillant das woke Paradigma.

„Viele der Tränen, die meine Generation öffentlich weint, sind Krokodilstränen“, schreibt Pauline Voss (geb. 1993) im Vorwort zu ihrem Buch. Also keine echten Tränen, sondern solche, die „einem simulierten Schmerz“ entspringen, wie die Autorin in einem Welt-Interview erklärte – „um Diskurse zu beeinflussen“. In welche Richtung, das macht der Untertitel des Buches deutlich: „Über die Machttechniken der Wokeness“.

Um es vorwegzunehmen: Es ist ein brillantes, noch dazu gut lesbares Buch geworden, welches die ehemalige NZZ- und heutige freie Journalistin da vorgelegt hat. Schonungslos, aber nicht polemisch, mit intellektueller Schärfe legt sie den Finger auf den Aberwitz zeitgeistiger Diskurse.

Bezugspunkt ist dabei der Philosoph Michel Foucault (1926–1984), den sie gewissermaßen vor seinen eigenen Anhängern schützen will: Foucault ist für Voss nicht der Ahnherr des „neuen woken Spießertums“, sondern mithilfe seiner Theorien will sie „die Machttechniken der Wokeness auseinandernehmen“.

Unter anderem nimmt Voss dabei eine angeblich fortschrittliche Sexualpädagogik ins Visier. So beschreibt sie, wie sie als Schülerin mit der Klasse eine einschlägige Beratungsstelle besuchte („Kondome mit Obstgeschmack“ zur Begrüßung): „Hinterher weiß jeder von jedem, ob er schon Sex oder Oralsex hatte.“ Lakonisches Fazit: „Ich bin vierzehn Jahre alt und frage mich, ob ich zu verklemmt bin.“

„Block des ‚Guten‘“

Aber das ist nur eine Facette des von ihr als herrschendes Paradigma diagnostizierten Phänomens: „Was wir erleben, ist die Ausweitung der Diskriminierungshypothese auf alle gesellschaftlichen und politischen Bereiche.“ Was einen „Wettbewerb des Klagens, der sich auch ökonomisch auszahlt“ befeuere. Wo allerorten Diskriminierung und Unterdrückung geortet wird, entsteht im Zeichen der Befreiung, Enttabuisierung etc. ein neues repressives Regime politischer Korrektheit. So ließe sich vielleicht Voss’ zeitdiagnostischer Befund zusammenfassen.

Kennzeichen der woken Machttechnik ist die Moralisierung des öffentlichen Diskurses: Wer abweichende Meinungen vertritt, wird nicht widerlegt, sondern sanktioniert. Nach wie vor gerne unter Rückgriff auf die NS-Zeit. So sei es, meint Voss, kein Zufall, dass die Begriffe „Corona-“ oder „Klimaleugner“ – die ihrerseits bewusst unscharf verwendet werden – an den Holocaustleugner anklingen.

So werde ein „Block des moralisch ‚Guten‘, der im gemeinsamen Widerstand gegen Rechte vereint ist“, geformt. – Balsam!

Diskriminierung, wohin man blickt

Pauline Voss: „Generation Krokodilstränen“, Europaverlag, 200 Seiten, 22,70 Euro

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