Diese Leben: 90er-Stars Tricky und Flea mit Autobiografien
Die 1990er hatten Techno und Boybands, Roxette und Nirvana, sie hatten kühle, dunkle Musik und Gummipop. Sie hatten aber eines gerade noch nicht: Die sozialmediengegebene Chance für die Fans, ihre Idole Tag für Tag, Schritt für Schritt, Foto für Foto zu begleiten.
Der seither aufgekommene willige (und profitable) Instagram-Exhibitionismus der Stars hat zwar etwas von Demokratisierung: Die Fans müssen nicht mehr in Demutshaltung auf die nächste Veröffentlichung, das nächste glattgebügelte Interview warten. Und der Follower-Zähler auf Instagram erinnert den Star wiederum daran, wie abhängig er von seinen Fans ist.
Doch man erkauft diese Entgrenzung auch mit einem Verlust. Allem Abstand wohnt ein Zauber inne: Das Unerreichbare wird, ohne Chance auf Entlastung, mit Emotion aufgeladen – bis hin zum Gefühlsüberschuss. Nicht umsonst fielen die einstigen Beatles-Fans reihenweise in Ohnmacht, wenn sie ihren Idolen nahe kamen.
Derartige Gefühlsstaus in Richtung zeitgenössischer Stars nun kann man mit dem Öffnen einer App tagtäglich abbauen: Man sieht Billie Eilish beim Bootfahren zu, Anna Netrebko in interessanter Montur.
Man sieht die etablierten Stars und die hoffnungsfrohen Newcomer bei den Verrichtungen des Alltags. Und wer hier den Verdacht hegt, dass man diesen Stars dabei nur scheinnahe kommt, der macht die App dann halt wieder zu. Es hat etwas einer Entzauberung.
Es scheint diese Scheinnähe auch für die Stars nicht ganz ungetrübt zu sein. Denn in den Buchhandlungen bieten einige der berühmtesten Popmusiker nun die Gelegenheit an, ihnen auf nachhaltigere Weise nahe zu kommen.
Denn die Musikszene hat die Autobiografie für sich entdeckt. Und zwar nicht nur jene Stars – Elton John, Pete Townsend, Francis Rossi, Phil Collins oder Bruce Springsteen –, bei denen man das altersmäßig erwartbar findet.
Sondern auch stilprägende Musiker der 90er Jahre, die noch keine Retro-, sondern ganz beiwortfreie Relevanz haben. Zwei davon haben nun – vorerst nur auf Englisch – ihre Autobiografien vorgelegt. Sowohl Tricky (51) – der mit und ohne Massive Attack den TripHop prägte – als auch Flea (57), Bassist der Red Hot Chili Peppers, holen versunkene, vordigitale Welten hervor.
Zusammenhalt
Musikerkarrieren haben oft eine von rückwärts aufgedröselte Schein-Notwendigkeit: Der konnte nur ein Star werden, denkt man sich, wenn man einen Star anschaut.
Beide Bücher zeigen, dass dem überhaupt nicht so ist.
„Hell is Round the Corner“, heißt jenes von Tricky, und ja, hier ist die Hölle wirklich ums Eck. Adrian Thaws alias Tricky wuchs in Bristol auf, in einer Armenkultur, die im Guten wie im Schlechten historisch anmutet.Er – der einen jamaikanischen Vater hatte – war zwar viele Jahre der einzige Farbige weit und breit, schreibt Thaws, Rassismus aber hat er nicht erlebt.
An den Ecken in Bristol, an den Tricky den Leser vorbeiführt, trifft man stattdessen einen – gemessen an heute wohlgepflegten Bruchlinien zwischen Arm und ganz Arm – wundersamen Zusammenhalt der Mittellosen, der Versager und der Hochtalentierten, für die es aber keine Durchlässigkeit nach oben gab.
Mit seinen Onkeln fuhr Tricky auf heimliche Hasenjagd, um an Fleisch heranzukommen. Mit seinen Kumpanen durchzechte er Nächte just in jener Bar, in der sein Lieblingsonkel abgestochen wurde. Und das Buch beginnt und endet – die Hölle ist ums Eck – mit dem Tod seiner Mutter und seiner Tochter.
Der Weg zur internationalen Karriere – mit dem Album „Maxinquaye“ 1995 – könnte nicht unvermuteter gewesen sein. Trickys flüsternder Gesangsstil war der Schüchternheit eines Außenseiters geschuldet (später spielte er Shows im Dunklen).
Seine eklektische Musik, die Hip-Hop, jamaikanische und britische Einflüsse vermengt, erfand er wiederum mit einfachsten Mitteln, eigentlich aus diesen einfachsten Mitteln heraus.
Bereit zu gehen
Wer auf Adabei-Haftes über Massive Attack hofft, wird enttäuscht: Tricky streift die gemeinsame Zeit auf wenigen Seiten. Stattdessen gibt es das lesenswerte Selbstporträt eines Ruhelosen, dem die Herkunft Zeit seines Lebens in den Knochen steckt. Der im millionenteuren Appartment, allzeit zum Gehen bereit, möbelfrei aus dem Koffer lebt, dafür in Taxidienste hunderttausende Dollar steckt – und, dem Geld fremd gegenüberstehend, Pleite geht.
In dieser Ruhelosigkeit findet sich die Brücke zu Michael Balzary, heute bekannt als Flea, wild hüpfender und ebenso wild dreinschauender Bassist der Red Hot Chili Peppers.Mit seinem Haberer Anthony Kiedis brach er als Jugendlicher in Apartmentkomplexe ein, um dort dann vom Dach aus in den Pool zu springen.
Ohne Plan, ohne Auto, ohne Geld, dafür aber mit Drogen in der Tasche reisten die beiden einmal von Los Angeles nach San Francisco, und als sie zurückkamen, fand Balzary seine damalige Freundin im Bett mit einem zukünftigen Bandkollegen.
Jazz, mit Zorn
Balzary beschreibt in „Acid For The Children“ ein Leben zwischen Australien, wo er geboren wurde, und Los Angeles, wo er letztlich aufwuchs.
Sein Stiefvater: Ein erfolgloser Jazzbassist, dessen Beschreibung stark an Flea erinnert. Mit urtümlicher Wucht umklammerte er seinen Bass, das Gesamtgebilde – Musiker, Bass, Umgebung – begann zu beben.Balzary selbst beschreibt sich aber anders, als man sich denken sollte, als Viellesenden, als Esoteriker mit Kiffermoral (niemandem wehtun!), als Erfolgloser in Liebesdingen, als Trompeter.
Es ist eine wilde Jugend, weniger arm, aber ebenso elternaufsichtsfrei wie jene von Tricky, und der Moment des Erfolgs ist ebenso unerwartet.
Nach dem ersten gemeinsamen Auftritt gibt’s einen brutalen Schnitt. Das Buch endet, und man weiß: Nichts davon hätte man auf Instagram erfahren.
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