"Die unglaubliche Entführung des Charlie Chaplin": Lösegeld für eine Leiche

Witzige Komödie: Roschdy Zem als Osman (Mitte) und Benoît Poelvoorde als sein Freund Eddy (re.) fassen den genialen Plan, den toten Charlie Chaplin zu entführen 
Warmherzige Komödie um einen makaberen Sargraub.

Als Charlie Chaplin, der größte Komiker der amerikanischen Stummfilmzeit, 1977 in seinem Schweizer Wohnsitz am Genfer See starb, herrschte große Betroffenheit. Erschütterte Menschen besuchten sein Grab und hinterließen massenhaft Blumen. Doch nicht nur wohlmeinende Trauergäste kamen: Auch zwei Kleinkriminelle betraten den Plan, raubten den Sarg und erpressten von der Familie Lösegeld. Jahre später erinnerte sich Chaplins Tochter Geraldine an dieses Ereignis als einen bizarren Zwischenfall, der auch seine komischen Seiten gehabt habe: "Es war wie ein letzter Chaplin-Film."

Denselben Gedanken hatte wohl auch der französischen Regisseur Xavier Beauvois. Nach dem glasklaren Mönchsdrama "Von Menschen und Göttern", stieß Beauvois nun erstmals ins Komödienfach vor; und verzahnte gekonnt den utopistischen Unterhaltungsanspruch des großen Hollywood-Kinos mit dem Sozialrealismus des europäischen Autorenfilms.

Der belgische Genialkomiker Benoît Poelvoorde und der stoische, französisch-marokkanische Schauspieler-Regisseur Roschdy Zem spielen ein ausgebufftes Freundespaar namens Eddy und Osman, das in der reichen Schweiz sein Leben entlang der Armutsgrenze balanciert. Eddy hat gerade einen Fernseher geklaut. Gebannt schaut er Chaplin-Filme und Chaplin-Begräbnisfeierlichkeiten, als ihm plötzlich die zündende Idee kommt, den Sarg zu entführen. Was für ein wunderbarer Gedanke! Was für ein großartiger Einfall!

Verzückung

Eddy im vergammelten Wohnwagen kann sein eigenes Genie gar nicht fassen. Sein Gesicht verzieht sich in ungläubiger Verzückung. Genau in diesem Augenblick setzt auf der Tonspur Grandeur-Musik ein, würdig eines römischen Feldherren: Verheißungsvolle Geigenklänge taumeln erwartungsvoll dem Höhepunkt entgegen, ehe die Bläser das jubilierende Finale ankündigen.

Beauvois engagierte die französische Filmkomponistenlegende Michel Legrand, der einen satten Großkino-Score mit Geigen und Trompeten komponierte und mit Musik aus Chaplin-Filmen mischte. Dank ihm vollführen die beiden wenig talentierten Sargräuber ihren einfältigen Streich nicht nur vor der erhabenen Kulisse des Genfer Sees und den verschneiten Bergen; sondern auch zur Filmmusik des klassischen Hollywoodkinos und dessen Glücksversprechen vom Happy End.

Während also auf dem Soundtrack die Geigen in triumphierendem Tremolo schwelgen und von großen Heldentaten erzählen, gurken Eddy und Osman in ihrer klapprigen Karre über die Landstraße. Beauvois entzündet effektvoll seine sanfte Komik anhand jener Kontraste, in denen sich normale Menschen von Kinohelden unterscheiden. So ist es beispielsweise schwieriger als erwartet, einen telefonischen Drohanruf zu absolvieren: Eddy brüllt seine Lösegeldforderungen in gebrochenem Englisch Chaplins Witwe Oona ins Ohr und hält sich dabei die Nase zu, um seine Stimme zu verstellen.

Schließlich übernimmt ein furchterregender Peter Coyote als ergebener Chaplin-Butler den Hörer – und ab dann herrscht eine andere Klarheit. Kein Wunder, nicht umsonst ist er ein Routinier aus Hollywood.

INFO: F/CH/B 2014. Von Xavier Beauvois. Mit Benoît Poelvoorde, Roschdy Zem, Chiara Mastroianni.

KURIER-Wertung:

Fett eingeseift mit Gefühlsschmalz, glänzt Oscarpreisträger Russell Crowe in dieser hochkarätig besetzten Soapopera als alleinerziehender Vater. Hochkarätig gilt allerdings nur in sofern, als versierte Schauspieler ihren Dienst im großen Kitschkino verrichten. Unter der fahrigen Hand von "Sieben Leben"-Regisseur Gabriele Muccino kämpft Crowe als New Yorker Bestseller-Autor nach dem Unfalltod seiner Frau mit psychotischen Traumata. Seine Hände zittern wie im Delirium Tremens, was vor allem das Rasieren schwierig macht. Während eines Psychiatrie-Aufenthaltes muss er seine kleine Tochter bei den steinreichen Verwandten unterbringen. Vor allem die Tante – eine herrlich trashige Diane Kruger – entwickelte eine böse Fixation auf das Kind. Damit der dramatischen Handlung aber nicht genug, springt die Geschichte immer wieder 25 Jahre in die Zukunft: Das kleine Mädchen ist mittlerweile erwachsen, wird von Amanda Seyfried gespielt und kämpft mit schweren Bindungsproblemen (soll heißen: hat Sex ohne Liebe).

Muccino hat ein Händchen für größtmögliche Plattitüden zum unsäglichsten Zeitpunkt und kennt Emotion nur in Form von Gesülze. Die Schauspieler – darunter Aaron Paul aus " Breaking Bad" und Jane Fonda – spielen mit hingebungsvoller Ernsthaftigkeit, als wären sie mitten im Oscar-Drama. Das macht beim Zusehen manchmal richtig Spaß.

INFO: USA/I 2015. Von Gabriele Mucchino. Mit Russell Crowe, Amanda Seyfried, Diane Kruger.

KURIER-Wertung:

"Die unglaubliche Entführung des Charlie Chaplin": Lösegeld für eine Leiche
Russell Crowe als alleinerziehender Vater

Schwertkampf statt Sticken, Keilerei statt Konversation: Wo sich bei Jane Austen die höheren Töchter in Handarbeit und Klavierspiel einübten, erfordert die Fusionierung mit dem Zombie-Genre andere Disziplinen. Die fünf unverheirateten Töchter der Adelsfamilie Bennet können auf Bällen gekonnt das Tanzbein schwingen; ebenso gut jedoch können sie beim Anblick von Untoten das Schwert in chinesischer Shaolin-Tradition schwingen und geifernden Zombies das Haupt abschlagen. Immer wieder verdient sich das beschwingte Mash-up von Spitzenhäubchen und Splatter-Blut Szenenapplaus, versickert als Gesamtfilm aber in CGI-Schleissigkeit. Auch Sam Reily als Mr. Darcy bleibt blass.

INFO: USA/UK 2016. 107 Min. Von Burr Steers. Mit Lily James, Sam Reily.

KURIER-Wertung:

"Die unglaubliche Entführung des Charlie Chaplin": Lösegeld für eine Leiche
Die Bennet-Schwestern können nicht nur sticken, sondern auch mit dem Schwert kämpfen

Kann so etwas gut gehen? Diese Frage stellt sich, wenn man die Doku unter dem Titel "Wer hat Angst vor Sibylle Berg?" vorgesetzt bekommt. Die erfolgreiche Buch- und Theater-Autorin Sibylle Berg provoziert gerne, trägt ihr Herz auf der Zunge und scheut sich nicht – mitten ins Erzählen über sich selbst – ihren Hohn über die Schlechtigkeit der Menschen auszuschütten. Auf die Anfrage des deutschen Doku-Regisseurinnen-Duos "Böller & Brot" (Sigrun Köhler und Wiltrud Baier), ob sie über sie diese Doku drehen dürften, war Sibylle Berg zuerst zögerlich – bis sie erkannte, dass so ein Film ihr womöglich auch Türen öffnen könnte. Es kam ein Anruf: "Ich bin gerade in L.A. und würde gerne das berühmte Lautner-House besichtigen. Bringt ihr Doku-Schlampen mich da rein?". Diese Mission war erfolgreich und damit beginnt der Film. Als Zuschauer fühlt man sich gut unterhalten, man ist sich aber nie ganz sicher, ob ihre Anekdoten und ihre Geschichte vom DDR-Flüchtling zur Bestsellerautorin wahr oder ihrer Fantasie entsprungen sind – und das ist stellenweise nervig.

Text: Gabriele Flossmann

INFO: D 2016. 84 Min. Von Wiltrud Baier und Sigrun Köhler. Mit Sybille Berg.

KURIER-Wertung:

"Die unglaubliche Entführung des Charlie Chaplin": Lösegeld für eine Leiche
Provoziert gerne: Sybille Berg

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