Elli, der Androide, ist mit den Erinnerungen ihres Besitzers gefüttert. Sie wiederholt Sätze, die dessen echte Tochter zu ihm gesagt hat oder gesagt haben könnte.
„The Trouble with Being Born“ nannte Regisseurin Sandra Wollner ihr Langfilmdebüt, mit dem sie auf der Berlinale den Spezialpreis der Regie in der Wettbewerbsschiene „Encounters“ gewann und der nun von der ROMY Akademie zum besten Kinofilm gewählt wurde.
Den englischen Filmtitel habe sie mit Absicht belassen, sagt die 37-jährige Steirerin mit Wohnsitz in Berlin im KURIER-Interview. Mit „Trouble“ sei so etwas wie „Unannehmlichkeit“ oder, auf gut wienerisch, „Schererei“gemeint: „Es geht um das Bewusstsein und das Wissen, das der Mensch – im Gegensatz zur Maschine – von seiner eigenen Existenz hat.“
Klingt kompliziert und ist es auch. „The Trouble with Being Born“ lotet nichts weniger aus als die Beziehung zwischen Mensch und Maschine, und knüpft daran die Frage nach einer moralischen Dimension. Denn der „Papa“ (Dominik Warta) hat zu seiner „Tochter“ Elli (gespielt von „Lena Watson“, ein Pseudonym) nicht nur ein rein väterliches Verhältnis.
„Die Mama hätte das nicht erlaubt“, erzählt uns der Roboter mit unschuldiger Kinderstimme aus dem Off. Tatsächlich entpuppt sich die Beziehung zwischen dem Mann, der um seine verlorene Tochter trauert, und seinem „Roboterkind“ als inzestuös.
Hier vermischen sich Trauer und Tabubruch: „Mich interessiert diese Ambiguität“, erklärt Wollner das Set-up ihrer Geschichte, die sie mit Roderick Warich geschrieben hat: „Das eine ist eine zumutbare Sehnsucht, die durch den Verlust und die Trauer bestimmt ist. Das andere ist eine unzumutbare Dynamik. Es vermischen sich hier zwei eigentlich unvermischbare Gefühlszustände, die für einen Menschen nicht nachvollziehbar sind. Aus gutem Grund, natürlich. Nichtsdestotrotz können diese beiden Gefühle ja nebeneinander existieren. Auslebbar sind sie in einem virtuellen Raum. Diese Tatsache stellt unser ganzes moralisches System auf die Probe: Kann man einer Maschine Gewalt antun, wenn sie es nicht als das empfindet? Das ist eine existenzielle Frage.“
Denn die Maschine Elli hat mit der (sexuellen) Beziehung zu ihrem Besitzer kein Problem. Sie lässt sich programmieren, egal, von wem: „Das hat mich interessiert: Hier kann eine unmögliche Beziehung abgebildet werden, weil durch einen Roboter alles möglich erscheint“, so Wollner.
Als Inspirationsquelle nennt sie unter anderem Sci-Fi-Filme wie Jonathan Glazers „Under the Skin“, in dem Scarlett Johansson als wunderschöner, aber empathieloser Roboter durch die Welt marschiert. Für ihre Recherche hat sich die Regisseurin auch mit Formen von künstlicher Intelligenz – inklusive „Sexroboter“ – beschäftigt; für sie ist Elli eher eine Paarung aus einem „motorisch komplexen Androiden mit einer heutigen Siri“.
Das Verhältnis zu seiner Maschine macht den Menschen jedoch nicht weniger einsam, findet Wollner: „Jeder Dialog mit dieser Maschine ist im Grunde ein Monolog. Die Besitzer programmieren dem Roboter ein, was sie hören wollen. Und das verstärkt ihre Isolation.“
Irgendwann geht Elli im Wald verloren und landet schließlich bei einer alten Frau. Auch die alte Frau trauert: Vor über sechzig Jahren hat sie ihren kleinen Bruder Emil – damals noch ein Kind – bei einem Unfall verloren.
Der Androide bekommt eine Perücke aufgesetzt und verwandelt sich von Elli in Emil.
Die große Wiener Schauspielerin Ingrid Burkhard, unvergessen als Mundls geduldige Ehefrau Toni in „Ein echter Wiener geht nicht unter“, spielt die alte Dame: „Ich hatte sie schon beim Schreiben im Kopf“, erzählt Sandra Wollner: „Ihre Besetzung ist keine Referenz auf die Mundl-Saga. Aber auf einer Metaebene schwingt das kollektive Gedächtnis einer Generation mit, die Ingrid Burkhard als Toni kennt und dadurch eine fiktive Vergangenheit mit ihr hat. Das klingt natürlich nach, wenn sie bei uns eine Frau spielt, die allmählich vergisst.“
Kommentare