Die Konkurrenz aus dem digitalen Untergrund
Der ORF ist auch im Jahr 2016 das reichweitenstärkste Medienunternehmen Österreichs. Er ist sogar die erfolgreichste öffentliche Rundfunkanstalt Europas.
Das war die gute Nachricht, die Alexander Wrabetz nach seiner Wiederwahl zum Generaldirektor des ORF zu verlauten hatte. Die schlechte Nachricht wusste er in einer groß angekündigten Social-Media-Offensive zu verstecken. In Facebook, Twitter und Ähnliches werde der ORF in Zukunft noch mehr Energien hineinstecken, versprach Wrabetz.
Social-Media-Defensive
Eine überfällige Ankündigung - das wichtigste Leitmedium des Landes ist in der Social-Media-Defensive. Mit dem hauseigenen Youtube-Kanal "FPÖ-TV" erreicht die FPÖ mehr User als alle Medienunternehmen Österreichs. 15.930 Abonnenten verzeichnet die Partei hier. DerStandard.at hält bei 2.631 Abonnenten, die Krone bei 2.196. Und der ORF? Der hat erst gar keinen Youtube-Kanal - ein entsprechender Antrag muss erst von der Medienbehörde geprüft werden.
Ein ähnliches Bild zeigt sich auch auf Facebook. HC Strache ist hier mit 389.069 Likes der mit Abstand erfolgreichste Politiker. Und der ORF? Der Hauptchannel selbst hat gerade mal so 64.000, die "Zeit im Bild" kommt auf 252.764 Likes. "ORF Meins", der neue Kanal, mit dem Alexander Wrabetz seine Offensive auf Facebook eingeläutet hat, hält aktuell bei 23.799 Likes. Dabei zeigen alle Mediennutzungs-Studien, wie wichtig es wäre, hier stark vertreten zu sein. In den USA ist Facebook für bereits 61 Prozent der Millennials (ca. 16 bis 33-Jährige) die Hauptinformationsquelle.
Querfront gegen "Lügenpresse"
Mit jeder Google-Suchanfrage verliert der Journalist als Schleusenwärter der Information an Bedeutung. Dass Politiker jetzt direkt mit ihren Wählern kommunizieren, ist dabei auch nicht das Problem. Problematisch wird es erst, wenn die politische Information von vermeintlich neutralen Medien verbreitet wird. Denn in die Lücke, die sich mit dem Internet aufgetan hat, stoßen vor allem rechte Medienangebote, die ihre ganz eigene Version der Wahrheit einhergehend mit den " Lügenpresse"-Rufen von den Pegida-Demos aus der Dresdner Innenstadt immer erfolgreicher an den Mann bringen.
In Österreich verzeichnete im vergangenen Jahr so insbesondere die Seite unzensuriert.at wachsende Reichweiten. Im Jänner kamen im Anschluss an die Kölner Silvesternacht zehn der 50 erfolgreichsten Artikel auf Facebook von der FPÖ-nahen Seite - das zeigen Daten des oberösterreichischen Start-up-Unternehmens Storyclash, das die Weiterverbreitung von Artikeln in Sozialen Medien auswertet. Laut Eigenangaben - offizielle Daten sind nicht verfügbar - kommt unzensuriert.at inzwischen auf bis zu 3,6 Millionen Zugriffe im Monat (Zum Vergleich: Letzt- und Höchstwert für September 2015; Kurier.at kam vergangenen Juli auf rund 11,1 Millionen Visits).
Der Unterschied: Ein unabhängiges Medium ist unzensuriert.at freilich nicht. Ursprünglich als Blog des ehemaligen Dritten Nationalratspräsidenten Martin Graf gestartet, ist unzensuriert.at seit 2009 so die "digitale Vorfeldorganisation der FPÖ", sagt Andreas Peham von Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands (DÖW). Neben zahlreichen personellen Überschneidungen zeuge davon auch die inhaltliche Ausrichtung. Unzensuriert.at erfüllt damit eine ganz bestimmte Funktion. "Stimmungsmache, nicht Objektivität ist somit das oberste Gebot dieser Seite."
Welche Wirkungsmacht die FPÖ mit diesem Online-Netzwerk inzwischen hat, zeigte sich zuletzt in einem Interview mit dem Chefredakteur von Krone.at. Dem Fleischmagazin gestand Richard Schmitt in Auseinandersetzung mit Medien zu sein "die der rechte Rand installiert hat". "Wir sind uns natürlich der Brisanz bewusst, aber nur so halten wir die Leser bei der Stange und bleiben für sie glaubwürdig." Sprich: Im Wettstreit mit unzensuriert.at muss ein Aufreger den nächsten jagen. "Die ganze Wahrheit" gehört auf den Tisch - egal wie klein das Vergehen.
Eigene Medienwelt
Dabei ist Unzensuriert.at Teil einer wachsenden Anzahl an Online-Medien, die eine betont andere Sicht auf das Zeitgeschehen geben - und es mit der "ganzen Wahrheit" nur vorgeblich so genau nehmen. Gerüchte werden selbst dann noch berichtet, wenn sie längst als solche aufgedeckt wurden. So geschehen etwa bei der Behauptung, Rewe hätte seinen Mitarbeitern Geld für die Weihnachtsfeier gestrichen, um es stattdessen an Flüchtlinge zu spenden.
Mit "Alles Roger" startete im Juni 2015 ein neues Monatsmagazin, das vom Mauthausen-Komitee als tendenziell antisemitsch bezeichnet wurde. Herausgeber ist Ronnie Seunig, Gründer der Excalibur City, der sich in der November-Ausgabe selbst interviewen ließ. Er sagte da, dass "die USA für die Flüchtlingswelle hauptverantwortlich" seien, denn die Amerikaner würden den Plan verfolgen, "die Europäer so zu vermischen, dass der IQ deutlich sinkt und die Identität verlorengeht. So hofft man in diversen Kreisen, Europa vom Antisemitismus zu säubern" (mehr dazu hier). Im aktuellen Heft ist neben einem Interview mit Susan Sarandon auch eine Abrechnung mit den "Hauptstrommedien", wie die Mainstreammedien genannt werden, zu finden. Die "Lügenpresse" ist da nicht mehr weit entfernt. "die USA für die Flüchtlingswelle hauptverantwortlich" seien. Seinen Erkenntnissen nach verfolgen die Amerikaner den Plan, "die Europäer so zu vermischen, dass der IQ deutlich sinkt und die Identität verlorengeht. So hofft man in diversen Kreisen, Europa vom Antisemitismus zu säubern". - derstandard.at/2000025028917/Alles-Roger-Antisemitische-Tendenzen-in-Heft-mit-Proell-Interview
Für Deutschland sind insbesondere der Online-Auftritt des Kopp Verlags und compact.online.de zu erwähnen. Wie unzensuriert.at trommeln beide Seiten die Angst vor der Flüchtlingswelle in Dauerrotation. Jürgen Elsässer, Chefredakteur des Compact-Magazins trat bei Pegida auf, wo er vor dem "Asylwahn" warnte. Bei Kopp Online gibt's dazu noch eine gehörige Portion Alu-Fetischismus: Chemtrails-Fantasten und Impfgegner sind Dauergäste. Der wachsende Zuspruch ist auch hier nicht zu übersehen. So besuchten laut eigenen Angaben im Jänner 2016 zwei Millionen Menschen das Portal des Compact Magazins, die monatlich erscheinende Print-Ausgabe soll sich nach Eigenangaben rund 100.000 Mal verkaufen. Kopp Online, der Internetauftritt des in Rottenburg an der Neckar ansässigen Kopp Verlages, verzeichnete 2015 zwischen drei und vier Millionen Besucher. Das mag im Vergleich zu den Medienangeboten der Öffentlich-Rechtlichen noch immer verschwindend gering sein. Durch die gegenseitigen Verlinkungen - oft Beweis genug für abstruse Gerüchte - schaffen rechte Seiten so geradewegs eine eigene Medienwelt. Der deutsche Publizist Andreas Storz spricht in seiner "Querfront-Studie" inzwischen von "leistungsstarken alternativen Medien der Gegenöffentlichkeit." Begünstigt durch das Internet ist die "Wahrheit" also immer nur eine Google-Suchanfrage entfernt.
Perversion der Medienkompetenz
Daniele Ganser, ein Schweizer Historiker und so etwas wie der Star der Szene, formulierte es in einem Vortrag im ausverkauften Berliner Babylon Kino so. "Einfach googeln - oder auf Youtube suchen und schon findet man im Internet neue Informationen, die man nicht in den ARD-Abendnachrichten hören kann." Das sei die neue Medienkompetenz. Das Publikum müsse sich einfach selbst informieren. "Lügenpresse"-Dilemma gelöst, oder? Was nach einem vernünftigen Aufruf zur Selbstermächtigung klingt, hat einen entscheidenden Haken: Von der Chemtrail-Verschwörung bis hin zu (oftmals widerlegten) Gerüchten über Asylwerber. "Im Internet lassen sich Belege für so ziemlich jeden Blödsinn finden", sagt Andreas Peham. Medienkompetenz sollte heute mehr denn je vor allem als Quellenkritik verstanden werden.
Objektive Informationen weggefiltert
Womit wir wieder bei Facebook wären. Denn der Erfolg von unzensuriert.at und Co. wird laut Medienwissenschaftler Matthias Karmasin von zwei Phänomenen noch begünstigt. Zum einen fragmentiere die Öffentlichkeit immer mehr. "Es gibt nicht mehr die eine Öffentlichkeit - je nach Lebensstil, Alter, Ausbildung und Medienkonsum gibt es inzwischen viele davon", sagt Karmasin zum KURIER. Dazu sei vor allem die sogenannte "Filterbubble" problematisch. Durch Suchalgorithmen würden bestimmte Realitäten im virtuellen Raum verstärkt werden. Bei Shoppingtrips mag die Amazon-Logik "wer das kaufte, hat sich auch für das interessiert" noch Sinn ergeben - bei politischer Information über Flüchtlinge ist das jedoch fatal. "Das ist immer wieder selbstbestätigend." Um es vorsichtig auszudrücken: Vorurteile lassen sich so nicht abbauen.
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