Die Ausstellung im Kunstforum, die sich auf das seit den 1960er-Jahren präsente Thema der Landschaft in Richters Werk konzentriert, ist mit ihrer Dichte an versammelten Werken zweifellos ein „Must-See“ im Wiener Kunstherbst. Ein Ort der Verehrung ist sie aber nicht – eher ein Platz, um höchst widersprüchliche ästhetische Erfahrungen zu machen.
Denn wie alle Motive, an denen Richter sich über die Jahre abarbeitete, ist die Landschaft nur ein Vorwand, um das Wesen von Bildern zu ergründen: Was kann man malen, wo muss der Pinsel schweigen? Mit seinen Verfahren des Verwischens und Verunklärens, des Übermalens und Täuschens hat Richter dazu ein elaboriertes Instrumentarium entwickelt. Bei der Landschaft prallt es auf jenes Bildgenre, das vielleicht am stärksten mit Sentimentalität behaftet ist.
So sind die Werke, welche die Betrachter im Eingangssaal der Schau zu sehen bekommen, allesamt „Landschaften aus zweiter Hand“, Bilder von Bildern: Eine abgemalte Buchseite mit Sehenswürdigkeiten Ägyptens, ein „Waldhaus“ nach Vorlage einer scheinbar zufällig angeschnittenen Fotografie. Im nächsten Saal ziehen die Bilder dann alle Register der sinnlichen Überwältigung: Ein monumentales Wolkenbild von 1976, drei Gemälde mit stillen Horizonten und weitem Himmel, Eisberge, Gipfel.
Aber auch wenn es kurz so scheint: Wir sind hier nicht in der Romantik. Wer künstlerisch erhöhte Naturerfahrung als quasireligiöses Erlebnis begreifen möchte, kann das in der Schau „Beethoven bewegt“ des KHM tun, wo hervorragende Bilder von Caspar David Friedrich hängen, der nebelige Meerespanoramen noch besser malen konnte als Richter.
Dieser beruft sich natürlich auf Friedrich, weiß aber auch, dass ungebrochene Schwelgerei nicht mehr funktioniert: Er male keine verlorenen Paradiese, sondern „verlogene Paradiese“, sagte er 1986 – der verklärte Blick auf eine im Kern „unmenschliche“ Natur sei ihm suspekt.
Die Landschaftsbilder sind das, was der englische Slang einen „cock teaser“ nennt – sie locken mit ihrer Sinnlichkeit, damit wir uns die Nase an der harten Wand des Konzeptualismus blutig schlagen. Überall findet sich eine Finte: Die imposanten „Seestücke“, denen ein Raum der Schau gewidmet ist, entpuppen sich als Fiktionen aus zusammengeklebten See- und Himmelsoberflächen, Trugbilder im Foto- und im Leinwandformat.
Die Malerei selbst – Gebirge aus Farbmassen, geologisch anmutende Spuren von Pinseln und Abziehwerkzeugen – tritt ihrerseits mit Landschaftssujets in Dialog, sei es auf übermalten Fotos, Schwarz-Weiß-Fotos von Gemäldeoberflächen oder dem monumentalen abstrakten Bild „St. Gallen“ (1989), das den Hauptraum beherrscht.
Das erhebende Gefühl, das sich bisweilen einstellt, rührt weniger aus der sinnlichen Überwältigung als eher aus der Befriedigung, Richters angewandter Bildwissenschaft ein Stück weit gefolgt zu sein. Doch die Schläue kann auch nerven, manchmal fühlt man sich von den Werken wie von einem Oberlehrer auf die Studierbank gesetzt.
Diese Bilder mit Geld aufzuwiegen, mag ein ultimativer Akt der Hilflosigkeit sein, wie überhaupt die Bändigung von Kunst als Spekulationsobjekt nicht unbedingt die nobelste Form der kulturellen Teilhabe darstellt.
Der Ausstellung ist hoch anzurechnen, dass sie den sonst bei Richter so präsenten monetären Faktor im Hintergrund hält: Auch wenn die 130 Exponate zusammen einen Versicherungswert von 400 Millionen Euro haben, steht der Dialog der Bilder im Zentrum.
Für die Idee, alles besitzen zu können, hat Richter ohnehin nur Spott übrig, wie ein Exponat am Ende der Schau nahelegt: Zusammen mit Sigmar Polke (1941 – 2010) imaginierte Richter 1968 die Umwandlung eines Bergmassivs in eine Kugel – als Zeichen, „dass Künstler eben keine Berge versetzen können“, wie Co-Kurator Hubertus Butin sagt. 1992 wurde die Kugel in Edelstahl gefertigt, in der Dimension erinnert das Ding an die Weltkugel, die Jesus in Leonardo da Vincis Gemälde „Salvator Mundi“ hält. Auch diesem Bild versuchte man, um 450 Millionen US-Dollar habhaft zu werden. Manches aber bleibt dann doch außerhalb der Sphäre der Käuflichkeit.
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