Die Auferstehungskirche in Wien: Ein verstecktes Juwel
"Das Schlichte ist in allen Künsten das Schönere“, soll Martin Luther einst gesagt haben. Der Theologieprofessor und Reformist hätte seine Freude mit dem Gotteshaus, welches sich hinter einer schmucklosen Fassade in der Lindengasse 44 verbirgt. Von außen betrachtet weißt hier nämlich nur wenig daraufhin, dass sich an dieser Adresse eine Auferstehungskirche befindet. Die Heimstätte der Evangelischen Gemeinde von Neubau/Fünfhaus ist ein Bau von Friedrich Rollwagen und Henry Lutz, der zwischen 1959 und 1962 errichtet wurde. Er ist eine Hallenkirche, die weder Turm noch Glocken hat und sich in die dortigen Wohnblöcke unauffällig einfügt. Das war auch das Ziel der Planung, die den Unterschied zwischen „sakral“ und „profan“ aufheben wollte.
Einfach
Der Eingang zur Kirche befindet sich hinter der Fassade eines Wohnhauses zwischen Säulen und besteht aus großen Holzflügeltüren. Bereits im Eingangsbereich fällt auf, dass hier vieles anders ist, anders als bei katholischen Kirchen – einfacher, funktionaler. Es ist eine Alltags- und keine Sonntagskirche.
Soll heißen: „Das soziale Miteinander, der Gemeindegedanke ist stärker ausgeprägt“, sagt die staatlich geprüfte Fremdenführerin Brigitte Roth und macht uns dann auf eine Broschüre aufmerksam, die im Eingangsbereich prominent aufliegt. „Kirche für LGBTIQ“ steht darauf geschrieben. Blättert man diese Information durch, erfährt man nicht nur, was die Abkürzung bedeutet, sondern auch, dass diese Personen in der evangelischen Kirche herzlich willkommen sind: Gleichgeschlechtliche Paare erhalten hier Gottes Segen und Homosexuelle sind völlig gleichgestellt.
Diese Gleichstellung spiegelt sich auch in der Architektur wieder. Die Kirchen suchen die Solidarität mit den gewöhnlichen Lebensvollzügen und verzichten daher auf jeglichen Triumphalismus. Die oft „spezielle“ Bauweise hat auch noch einen weiteren Grund, wie Brigitte Roth erklärt. Sie hat ihren Ursprung im 17. Jahrhundert: „Zu dieser Zeit war der Großteil der Wiener Bevölkerung zwar evangelisch, aber es hat in der Stadt so gut wie keine evangelischen Gottesdienste und Gotteshäuser gegeben.“
Das hatte Folgen: Die Protestanten mussten in die Vorstädte ausweichen. Geändert wurde diese Ausgrenzung erst durch das Toleranzpatent von Joseph II. aus dem Jahr 1781 – der Kaiser hat der evangelischen Kirche ein säkularisiertes Kloster in der Dorotheergasse, also im Zentrum Wiens, zur Verfügung gestellt. Doch die Toleranz des Kaisers hatte Grenzen: Die Kirchen hießen offiziell Gebetshäuser, durften äußerlich nicht wie Kirchen aussehen, sondern wie Bürgerhäuser – so waren zum Beispiel Rundfenster nicht gestattet.
Außerdem mussten sie zumindest 50 Meter von einer Hauptstraße entfernt liegen und einen von der Hauptstraße abgewandten Eingang haben. Und sie durften keinen Turm besitzen. Das prägte natürlich die Architektur. Es ist aber nicht der einzige Faktor, der Protestanten und Katholiken trennt. Sie beten zwar zum selben Gott, aber leben in verschiedenen Glaubenswelten: Keine Marien-, keine Heiligenverehrung, kaum Bilder an den Wänden, kein Prunk, keine Kreuzigung.
Begegnung
Zurück in die Lindengasse: Gleich nach dem Eingangsbereich kommt man in ein großes Foyer, das die Menschen zur Sammlung und Begegnung zusammenführen soll. Im Kircheninnenraum strahlt die holzverkleidete Decke Wärme aus und gibt dem Raum auch noch eine tolle Akustik. Zwischen zwei Holzbankblöcken zieht sich ein Weg zum Altarbereich, der von einer großen Christusfigur an der Altarwand dominiert wird, welche von Bildhauer Heinz Glawischnig gestaltet wurde und den Auferstandenen darstellen soll. Die Christusfigur wird durch natürliches Licht, das durch eine im Dach eingezogene Glaskonstruktion dringt, „erleuchtet“.
Buchrücken
Im Altarraum befindet sich nach drei Stufen ein breites Podest, auf dem die Kanzel links und der Taufstein rechts stehen. Um weitere zwei Stufen erhöht, steht in der Mitte der Altar, umgeben von Grünpflanzen. „Die Kanzel wurde wie ein Buchrücken gestaltet. Eine Anspielung auf das gesprochene Wort, das in der evangelischen Kirche eine wichtige Rolle einnimmt“, sagt die Fremdenführerin.
Der Taufstein hat einen zentralen Platz. Er ist kreisrund, einerseits eine Anspielung auf den Stein, der vom Grab Christus weggerollt wurde. Andererseits steht die geometrische Form für die Dynamik innerhalb der Evangelischen Kirche.
Das optische Highlight ist die „Courtain Wall“. Eine sich über die volle Länge ziehende Glasfensterwand mit Lebensbildern von Jesus – gestaltet von Maler Dietmar Tadler. Sie leuchtet in Grün, Blau und Gelbtönen. Die zwölf gezeigten Themen sind: Die Geburt, die Taufe, die Rettung des sinkenden Petrus, die Totenerweckung, der Einzug in Jerusalem, das Abendmahl, der Ölberg, der Verrat, vor Gericht, die Verleugnung, der Kreuzweg und die Kreuzigung.
Teilhabe
„Wenn die Sonne scheint, wird das Licht durch die zahlreichen Glasfenster unterschiedlich gebrochen. Es ist ein umwerfendes Farbenspiel“, schwärmt Roth, die hier lange Zeit Mitglied der Glaubensgemeinde war. „In einer Kirche für alle“, wie sie betont. Es gibt hier keinen Beichtstuhl, keine frontale Predigt von oben herab, sondern eine vertrauliche Zwiesprache.
„Das habe ich immer sehr geschätzt. Ich handhabe das bei meinen Führungen ähnlich. Es gibt keine Belehrung, keinen Monolog, die Teilnehmer werden stets in meine Führungen einbezogen“, sagt Roth. Es geht ihr um Partizipation und Teilhabe. Martin Luther hätte das gefallen.
INFO: Protestantische Auferstehungskirche: 1070 Wien, Lindengasse 44A.
Zur Person
Die in Wien geborene Brigitte Roth ist seit über 30 Jahren als staatlich geprüfte Fremdenführerin tätig: Sie hat Erfahrung mit Gästen aus aller Welt und führt mit viel Enthusiasmus und Humor in sechs Sprachen durch die Stadt. „In meinen Führungen biete ich ein breites Spektrum an klassischen, themenbe- zogenen Touren sowie auch an Geheimtipps an“, sagt sie.
Arbeit fehlt
Seit März 2020 – mit ein paar Wochen Ausnahme im Sommer – hat Roth (wie ihre KollegInnen auch) keine Aufträge: Es gibt keine Touristen, keine Erlaubnis für Führungen. „Ich hätte viel lieber Arbeit als die Unterstützung vom Staat“, sagt Roth, die den Austausch mit Menschen vermisst. „Wenn ich sehe, wie leer die Wiener Innenstadt ist, tut mir das Herz weh.“ Mehr Infos über Brigitte Roth und ihre Arbeit: www.viennaguide.info
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