Bei der Österreich-Premiere seines Films „Å Øve / Practice“ machte Regisseur Laurens Pérol mit seinem Publikum ein kleines Experiment: Alle Zuschauer und Zuschauerinnen sollten die Augen schließen und an einen Moment in ihrem Leben denken, an dem sie sich heftig um etwas bemüht hatten und dabei auf großen Widerstand gestoßen waren. Danach sollten alle auf sein Kommando gemeinsam einen Schrei ausstoßen.
Das Experiment klappte vorzüglich, und das Grazer Schubertkino erzitterte im kollektiven Gebrüll. Im Anschluss daran startete der Film und ging gleich mit dem Wutschrei einer Klimaaktivistin – einer jungen Norwegerin namens Trine – weiter.
Trine ist nicht nur eine engagierte Umweltschützerin, sondern auch talentierte Trompeterin. Sie lebt auf den Lofoten, einer Inselgruppe in Norwegen, und wird zu einem Probespiel in das Opernhaus in Oslo eingeladen. Der schnellste Weg dorthin wäre natürlich das Flugzeug, aber das widerspricht ihren Prinzipien. Stattdessen macht sie sich mit ihrer Trompete als Autostopperin auf den Weg.
Laurens Pérol erzählt sein lyrisches Roadmovie als einen Akt der konsequenten Selbstbehauptung. Unterwegs findet Trine offene Ohren für ihr Anliegen, aber so manch einer zeigt ihr auch den Vogel. Sie aber bleibt bei ihrem Nein, unterstützt von dem klaren Klang ihrer sehnsuchtsvollen Trompete.
Der Filmregisseur selbst versucht sein aktivistisches Anliegen auch ins eigene Leben zu übertragen und besteigt ebenfalls kein Flugzeug. Eine Einladung nach Südkorea , um dort „Å Øve / Practice“ persönlich vorzustellen, hat er selbstverständlich ausgeschlagen.
Aber natürlich ging die Diagonale nicht mit einem Schrei zu Ende, sondern mit einer Preisverleihung.
Den Großen Diagonale-Preis des Landes Steiermark für Besten Spielfilm erhielt die deutsche Regisseurin Martha Mechow für ihr verspieltes Schwesternporträt „Die ängstliche Verkehrsteilnehmerin“.
Martha Mechow ist die Hausregisseurin der Berliner Volksbühne und erzählt in ihrem experimentellen Debütlangfilm, einer deutsch-österreichischen Koproduktion, farbenfroh, einfallsreich und vergnüglich von der Reise einer jungen Frau namens Flippa. Flippas Mutter ist schon vor Jahren plötzlich im Sofa verschwunden („Ich wünschte, ich wäre ein Teppich und könnte liegen bleiben“), Schwester Furia nach Sardinien abgehauen. Dort kommt es auch nach Jahren wieder zu einer ersten Begegnung zwischen den beiden Schwestern.
Die Wahl von „Die ängstliche Verkehrsteilnehmerin“ zum besten Spielfilm der Diagonale verdeutlicht einmal mehr die Vielseitigkeit, aber auch die Internationalisierung, die das heimische Filmschaffen prägen.
Rickerl und Maria
Gleiches gilt für die poetische Doku „Anqua“, die den Großen Diagonale-Preis für besten Dokumentarfilm bekam. Die kurdische, in Wien lebende Regisseurin Helin Çelik erzählt darin zartfühlend und eindringlich von den Traumata dreier jordanischer Frauen, die sich mit häuslicher Gewalt auseinandersetzen mussten und vehement dagegen auflehnten.
Sehr „Wienerisch“ nimmt sich der Preisträger für bestes Schauspiel aus: Voodoo Jürgens, Liedermacher und Neo-Schauspieler, wurde für seine Rolle als „Rickerl“ ausgezeichnet. In Adrian Goigingers Liebeserklärung an Wien spielt der Liedermacher einen etwas zerzausten, aber überaus charmanten Musiker, der im Gemeindebau wohnt und seine geliebte Gitarre (fast) immer in Reichweite hat.
Ebenfalls höchst verdient erhielt Birgit Minichmayr den Preis als beste Schauspielerin für ihren furiosen Auftritt als Malerin Maria Lassnig in Anja Salomonowitz’ „Mit einem Tiger schlafen“ (Kinostart: Freitag).
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