Der Kulturkampf erfasst die Popcharts - und ein Sänger wehrt sich

Manche Fronten im Kulturkampf kennt man zur Genüge, wenn nicht zum Überdruss: Die von allen Seiten lustvoll angefachte Debatte ums Gendern und Geschlechtsidentitäten etwa, oder die Klimadebatte.
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Manche andere absurde Front kennt man hierzulande zum Glück noch kaum: In den USA greifen Verschwörungsanhänger keine Supermarktrechnungen mehr an, weil die der Regierung durch Chemikalien dazu dienen sollen, die Bevölkerung unfruchtbar zu machen.
Nun aber hat sich eine neue Front aufgetan: die US-Popcharts. Bereits zum zweiten Mal in diesem Sommer steht an deren Spitze ein Song, der eine gefühlte Monokultur durchbrechen soll, jene der „städtischen Eliten“ nämlich, die angeblich die Emotionen und Probleme der normalen (der Begriff hat in Österreich ganz eigene Nebentöne bekommen) Bevölkerung ignorieren.
Der erste Song war „Try That In A Small Town“ von Jason Aldean: Darin kollidiert das hier zur Allgemeingültigkeit überhöhte Wertesystem der Kleinstadt mit den Aufgewühltheiten der Gegenwart.
Nein, in der Kleinstadt sollte man sich besser nicht mit Cops, der US-Flagge oder der Oma anlegen – lauter Verbrechen, die gerne in die Großstädte hineinkontextualisiert werden –, sonst finde man heraus, dass man damit nicht weit kommt: „Hier kümmern wir uns um die Unsrigen“, lautet eine Textzeile.
Die passiv-aggressiven Untertöne, bei denen manche Anklänge an Lynch-Justiz heraushörten, fanden die Ohren, an die sie gerichtet waren: Der Song wurde zur Kontroverse.
Wer sind die reichen Männer?
Nun gibt es einen Nachfolger – und wie immer im zweiten Durchgang ist alles ein wenig komplizierter.
Steuern ohne Ende, die reichen Menschen wollen „totale Kontrolle“ über die Gedanken, und die Fettleibigen melken das Sozialsystem: „Rich Men North of Richmond“ von Oliver Anthony scheint sich an jenen Themen entlangzuhanteln, die die konservative Seite im Kulturkampf für sich reklamiert. Auch die „Leistung muss sich wieder lohnen“-Thematik durchzieht die Lyrics.
Beten vor der Show
Der Sänger trägt Wikingerbart und schwere Stiefel und betet vor jedem Auftritt.
Kein Wunder, dass die Republikaner im anlaufenden Präsidentschaftswahlkampf freudig (wenn auch wohl etwas übereifrig) zuschnappten. Man sah schon die zweite konservative Hymne des Sommers gekommen, auch wenn sich der Song explizit gegen Reiche und Arbeitnehmerausbeutung aussprach, was die Republikaner vielleicht stutzig hätte machen können.
Anthonys Song, derzeit Nummer eins der Singlecharts, wurde also von Fox News zu Beginn der Debatte zwischen den republikanischen Kandidaten eingespielt, im Kontext all dessen, was unter Joe Biden alles schieflaufe.
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Der eine oder andere Kandidat durfte sich in Liedinterpretation üben. Ron DeSantis etwa betrauerte den Niedergang der USA wegen dieser „reichen Männer nördlich von Richmond“.
Das Problem ist nur: Anthony ließ sich das nicht gefallen. Er habe sich „kaputtgelacht“, dass die republikanischen Kandidaten seinen Song anhören mussten – denn er singe über mächtige Männer genau wie diese.
Er habe die Armen nicht attackiert, sondern zu verteidigen versucht, und er wolle sich nicht von den Rechten vereinnahmen und von den Linken kritisieren lassen.
Und dann sagte er noch, ausgerechnet gegenüber Fox News, dass die Stärke der USA die Vielfalt und dass das Land ein Schmelztiegel sei.
Da war es dann schnell wieder vorbei mit der Liebesaffäre der Republikaner – Fronten sind, hat nun wohl mancher gelernt, auch im Kulturkampf oft unübersichtlich und kompliziert.
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