Es war der Aufstand der Underdogs, von denen sich einige selbst zerfleischten: In Abwesenheit von Umfragen-Leitwolf Donald Trump lieferten sich acht republikanische Konkurrenten um die Präsidentschaftsnominierung für 2024 am Mittwochabend in Milwaukee/Wisconsin bei der ersten TV-Debatte eine streckenweise von scharfen persönlichen Attacken geprägte Show - mit einer Besonderheit: Der laut Meinungsforschung inzwischen mit 45 Prozentpunkten Vorsprung auf den Zweitplatzierten, Florida-Gouverneur Ron DeSantis, führende Ex-Präsident wurde bis auf wenige Ausnahmen mit Samthandschuhen angefasst oder ignoriert.
Niemand auf der Bühne der Fiserv-Arena, wo die "Grand Old Party" im nächsten Sommer offiziell ihren Kandidaten gegen Amtsinhaber Joe Biden inthronisieren wird, nutzte die Chance, ohne Widerworte Trumps Regierungsbilanz zu kritisieren und sich klar von ihm abzusetzen.
Am deutlichsten wurde die Beißhemmung bei den erst nach über einer Stunde von den Moderatoren aufgebrachten strafrechtlichen Verwicklungen Trumps, der sich am Donnerstagabend (Ortszeit) in Atlanta/Georgia zum vierten Mal als Angeklagter erkennungsdienstlich behandelt lassen muss.
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Wer sich hinter Trump stellte und wer nicht
Auf die Frage, wer Trump auch im Falle einer Gefängnisstrafe unterstützten würde, gingen, wenn auch zögerlich, sechs Arme hoch. Die von Mike Pence, Ron DeSantis, Vivek Ramaswamy, Nikki Haley, Tim Scott und Doug Bugrum. Sie signalisierten auch unter verschärften Bedingungen Loyalität gegenüber dem inoffiziellen Parteichef, der es unter seiner Würde empfand, sich in Milwaukee mit ihnen auf eine Bühne zu stellen.
Allein die Ex-Gouverneure von Arkansas, Asa Hutchinson, und New Jersey, Chris Christie, versagten die Gefolgschaft. Trumps Verhalten in Sachen Wahlmanipulation 2020 sei unter der Würde des Amtes des Präsidenten der Vereinigten Staaten, sagte Christie, der dafür laute Buhrufe aus dem mit 4000 Zuschauern gefüllte Publikum erhielt: "Jemand muss der Normalisierung dieses Verhaltens ein Ende bereiten."
Von Null auf Platz 3: Vivek Ramaswamy
Den absoluten Gegenpol verkörperte der Mann des Abends, dessen Unbekanntheitsgrad landesweit ab heute rapide abnehmen dürfte: Biotech-Milliardär Vivek Ramaswamy, der es in Umfragen von Null auf den dritten Platz hinter Trump und DeSantis geschafft hat, erklärte frech: "Donald Trump war der beste Präsident des 21. Jahrhunderts." Der Unternehmer mit indischen Wurzeln, politisch völlig unbeleckt, erneuerte sein Versprechen, Trump zu begnadigen, sollte er Präsident werden.
Dem Außenseiter gelang es durch wie aus dem Maschinengewehr abgefeuerte Affronts immer wieder den Zorn von drei Etablierten zu wecken. Neben Chris Christie reagierten Mike Pence, Trumps früherer Vize, und Nikki Haley, Trumps ehemalige UN-Botschafterin, mehrfach höchst allergisch auf die nassforschen Einlassungen des wie alle Männer auf der Bühne mit einer an Trump erinnernden roten Krawatte bekleideten Familienvaters.
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Angriffe gegen Ramaswamy kamen nicht gut an
Ramaswamy erklärte zum Beispiel, er sei der einzige hier, "der nicht gekauft oder bezahlt ist". Er foppte Christie mit der Bemerkung, dieser strebe nach einem Vertrag bei dem linksliberalen TV-Sender MSNBC. Haley hielt er vor, in die Aufsichtsräte von Militärgüter-Riesen wie Lockheed und Raytheon zu streben. Aber das Publikum im Saal war mit ihm.
So löste Pence wahre Proteste aus, als er an die Adresse des Enddreißigers sagte: "Wir brauchen hier keine Anfänger." Ähnlich war die Reaktion, als Chris Christie zu einer Art Klassenkeile gegen den durch sein blendend weißes Zahnpastalächeln auffallenden Nachwuchs-Star aufrief: "Ich habe die Nase voll von einem, der klingt wie ChatGPT." Gemeint war das weltweit gefragte Künstliche-Intelligenz-Sprachprogramm.
Was den 38-Jährigen aber nicht davon abhielt, die nächsten Provokation zu setzen: "Klimawandel ist ein Schwindel", sagte er kalt lächelnd und blieb damit allein. Auch mit seinem kategorischen Eintreten für die Einstellung von Militärhilfen für die Ukraine (weil es Russland sonst in die Arme Chinas treiben würde) blieb er Solitär und musste sich von Haley vorhalten lassen, damit einen "Mörder" und "Verbrecher" wie Wladimir Putin zu belohnen.
Ron DeSantis als passiver Nutznießer bei TV-Debatte
Passiver Nutznießer war Ron DeSantis. Gegen die vorher überall verbreitete Erwartung, dass sich die Konkurrenz an ihm abarbeiten würde, kam der 44-Jährige fast ungeschoren davon, als er ein ums andere Mal eher hölzern Versatzstücke aus seinen Standard-Reden im Wahlkampf abließ - etwa, dass Amerika im "Niedergang" sei und Joe Biden "zurück in seinen Keller" in seinem Haus in Delaware geschickt werden müsse. Auch dass DeSantis wieder kniff, als er zur Ukraine-Hilfe und zur Trump-Begnadigung gefragt wurde, ließ man ihm durchgehen.
Analysten schlossen daraus, dass Ron DeSantis, dessen Stern seit Jahresbeginn rapide gefallen ist, nicht mehr als große Bedrohung betrachtet wird. Was man bei Ramaswamy, der immer wieder im Stile Obamas die Notwendigkeit eines Generationenwechsels bei den Republikanern betonte, so nicht sagen kann. Ob Ramaswamy auf dem Weg nach oben bleibt oder eine Eintagsfliege (flavor of the month) wird, wird sich bereits in vier Wochen zeigen. Dann findet in Kalifornien die zweite Bewerber-Runde statt, diesmal in der Bibliothek von Alt-Präsident Ronald Reagan.
Wo war Donald Trump?
P.S. Parallel zur TV-Debatte ließ sich Donald Trump auf Elon Musk X-Kanal (früher Twitter) von dem bei Fox News gefeuerten Moderator Tucker Carlson interviewen. Eine Frage im Kontext der laufenden Strafverfahren lautete, ob er fürchte "von ihnen" ermordet zu werden. Trump antwortete: "Das sind barbarische Tiere. Das sind Leute, die krank sind." Wer gemeint war? Die Regierung von Joe Biden.
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