Was also war passiert? Songs, die die Tugenden des rechtschaffenen Landlebens gegen die angeblich so erbarmungslose und gefährliche Stadtkultur ausspielen, haben in der Country Music (wie auch im Rechtspopulismus anderswo) eine lange Tradition. Aldean verpackt die Gegenüberstellung aber in eine Drohung: Dinge wie Raubüberfälle, das Bespucken von Polizisten, das Verbrennen von Flaggen mit dem Sternenbanner möge man in einer Kleinstadt lieber nicht versuchen, denn dort wisse man sich zu helfen: „Around here, we take care of our own.“ Notfalls mit dem vom Großvater ererbten Schießgewehr.
Doch es waren codierte Botschaften im Video, die das Fass zum Überlaufen brachten. Denn Aldean singt im Clip just vor dem Gerichtsgebäude von Maury County in der Kleinstadt Columbia, Tennessee, wo 1927 ein schwarzer Teenager von einem wütenden Mob erhängt wurde.
4.793 Lynchmorde
Derlei Lynchjustiz gehört zur dunkelsten Geschichte der USA – von 1882 bis 1968 sind laut der Bürgerrechtsorganisation NAACP 4.743 Fälle dokumentiert, und das Wissen darum schwingt mit, wenn Leute in einer Kleinstadt „auf sich selbst schauen“. Dass Aldeans Video dazu Bildschnipsel aus TV-Nachrichten auftauchen, in denen Szenen von „Black Lives Matter“-Protesten neben solchen von Überfällen oder anderen Unruhen auftauchen, streicht hervor, wer sich in der besagten „Kleinstadt“ besonders zu fürchten habe. In seinem Verteidigungs-Tweet insistiert Aldean freilich, dass an keiner Stelle des Songtexts auf Ethnizität oder Hautfarbe verwiesen werde. Einige Stellen des Videos mit Verweisen auf „Black Lives Matter“ wurden dennoch entschärft – offiziell aus Urheberrechtsgründen, wie es hieß.
Dass der Song und das Video (den Aldean nicht selbst geschrieben hat) einfach „passiert“ ist, glaubt kaum jemand der Kommentatoren, die das Video mittlerweile analysiert haben – ist der 46-Jährige doch auch sonst nie um konservative Statements verlegen.
Trotz Attentat pro Waffenbesitz
Dass die „Kleinstadt“, deren Werte Aldean romantisch beschwört, in der Realität kaum noch existiert und auch ein Gutteil des Country-Publikums in Ballungszentren lebt, gehört ebenso zu den von Kommentatoren aufgezeigten Widersprüchen wie der Umstand, dass Aldean den Waffenbesitz glorifiziert, obwohl er 2017 bei einem seiner Konzerte in Las Vegas miterleben musste, wie ein Mann in die Menge feuerte (es gab damals 60 Tote und Hunderte Verletzte).
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Doch derlei Ereignisse verstärken womöglich noch das Sentiment, wonach sich Amerika in einem Belagerungszustand befinde: In der Beschwörung dieser Idee, erklärt der Polit-Analyst Ronald Brownstein im Magazin "Atlantic", träfe sich Aldean mit Donald Trump. Der Erfolg des Songs sei damit auch ein Indikator für den Zugriff, den der Ex-Präsident weiterhin auf das konservative Amerika hat.
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