"Das verratene Meer" an der Staatsoper: "Echte Premiere" ohne Publikum

Eine Frau im roten Mantel steht in einem beleuchteten Wartehäuschen.
Wiener Staatsoper. Jossi Wieler und Sergio Morabito zeigen Hans Werner Henzes Oper für das TV.

Es wäre – nach einigen Übernahmen – die erste originäre Premiere unter Neo-Staatsoperndirektor Bogdan Roščić gewesen. Hans Werner Henzes (1926 – 2012) Oper „Das verratene Meer“, die auf dem Roman „Gogo no eiko“ des japanischen Avantgardeautors Mishima Yukio basiert, die der deutsche Komponist bereits unter dem Originaltitel vertont hat.

An der Wiener Staatsoper hätte nun dieser Tage die von Henze überarbeitete Fassung aus dem Jahr 1990 Premiere feiern sollen. Aufgrund der Corona-Pandemie natürlich ein Ding der Unmöglichkeit. Aber zumindest im Fernsehen (und später vor Publikum) soll dieses selten gespielte Werk gezeigt werden. Denn das erprobte Regie-Duo Jossi Wieler und Sergio Morabito hat im Haus am Ring unter sehr strengen Corona-Sicherheitsmaßnahmen „ganz normal“ geprobt, um dieses „Dreiecksdrama“ auf die Bühne zu bringen.

Streaming-Premiere

Der ORF zeichnet dieses Drama rund um die Boutiquenbesitzerin Fusako (Vera-Lotte Boecker), den Seemann Ryuji (Bo Skovhus) sowie Fusakos pubertierenden Sohn Noburo (Josh Lovell) auf. Radio Ö 1 bietet am 15. Dezember eine Übertragung an. Bereits am Montag, um 19 Uhr wird die Produktion unter dem Portal play.wiener-staatsoper.at. live und kostenlos gestreamt.

Doch wie gehen Wieler und Morabito mit dem Werk und der aktuellen Situation um? Wieler: „Es hat etwas Trauriges. Eine Oper, das kollektivste Kunstwerk schlechthin, sollte auch mit vielen Zuschauern geteilt werden. Das ist aber zur Zeit nicht möglich, wir haben dennoch alles getan, um eine echte Premiere entstehen zu lassen.“

Zwei Männer sitzen an einem Tisch mit Notenblättern und schreiben.

Morabito ergänzt: „Bei Henzes ,Das verratene Meer‘ befinden wir uns quasi im Innenraum der verlorenen Seelen. Da wäre die junge Witwe Fusako, die sich um ihren Sohn kümmert, sich aber sehr nach einem Mann sehnt, den sie in dem Seemann Ryuji auch findet. Doch dieser muss für eine gemeinsame Zukunft sein Meer aufgeben. Fusakos Sohn Noburo, der Mitglied einer Gang und zugleich Außenseiter ist, steht dieser Liebe im Weg. Er wird Ryuji letztlich töten. In Wahrheit haben wir es hier mit einer Tragödie von griechischen Ausmaßen zu tun. Henze wusste um die archaische Kraft dieses Stoffes bestens Bescheid.“

Doch wo verorten Wieler und Morabito die Geschichte? In Yokohama, wie in der Vorlage? Wieler: „Unsere Ausstatterin Anna Viebrock hat eine Art Seelenraum entworfen. Ein abstraktes Bühnenbild mit vielen wandelbaren Wänden, das konkrete Situationen ebenso herstellt wie auch rein assoziative Gedanken. Ich hoffe, das wird man auch im Streaming und später auf ORF III sehen.“

Eine Bühnenszene mit mehreren Schauspielern in einem stilisierten, düsteren Setting.

Körperlichkeit

Und wie haben sich die Proben dargestellt? Morabito: „Wir haben wie in einer Blase gelebt. Erst Tests, dann Proben, dann wieder Tests, dann wieder Proben. Denn wir wollten die Körperlichkeit der Oper bewahren. Eine Distanzoper kam für uns nicht infrage. Eine Liebesszene ist eine Liebesszene, eine Rangelei ist eine Rangelei. Und Dirigentin Simone Young und das hervorragende Orchester illustrieren all das exzellent.“

Wieler: „Natürlich haben wir auch auf das Fernsehen Rücksicht genommen. Aber im Grunde läuft alles so ab, als säßen an die 2.000 Menschen live im Haus.“ Morabito: „Immerhin hoffen wir, dass ,Das verratene Meer‘ in der kommenden Spielzeit wie geplant sein Publikum auch vor Ort finden kann. Ich habe mich für dieses Werk immer stark gemacht, und die Menschen sollten überprüfen können, warum dem so ist.“

Wird es in Wien weitere Regiearbeiten des Duos Wieler-Morabito geben? Morabito: „Wir planen das durchaus für die Zukunft. Nicht in jeder Saison, aber mit ziemlicher Regelmäßigkeit.“

Kommentare