Hurra, heissa, halleluja: Es wird wieder Oper gespielt. Dass so ein Satz im Dezember erscheint, wenn die Musiktheater normalerweise Hochbetrieb haben, wenn die Großpremieren von Mailand bis München, von New York bis Wien die Feuilleton- und Gesellschaftsseiten beherrschen, dass dieser Ausruf der Freude angesichts einer Wiederaufnahme nötig ist, hätte man vor einem Jahr – ebenso wie so vieles andere – für völlig unmöglich gehalten. Aber das Normalität sein Sollende ist leider nicht nur die Ausnahme, sondern der Solitär. Und es handelt sich geradezu um ein Christkindl-meets-Geburtstag-Erlebnis, wenn man in der Wiener Staatsoper bei Jules Massenets „Werther“ dabei sein kann.
Das Haus am Ring lebt – und es setzt darauf, was es am besten kann, nämlich Oper aufzuführen, nicht nur aus der Konserve zu streamen oder anderswie eine Stattfindung zu behaupten.
Donnerstag, 19 Uhr: Die erste Oper seit 2. November (dass die Terrornacht auf den letzten Aufführungstag vor der Zwangsschließung fiel, ist eine schreckliche Parallelität) wird gespielt. Sie wird auf fidelio übertragen, vor allem aber wird sie am 10. Jänner auf ORF III zu sehen sein. Da Publikum nicht zugelassen ist, sind die Ränge so gut wie leer.
Betriebstemperatur
Einige wenige aktuell rezensierende Journalisten sind im Haus, ein paar im Haus arbeitende Menschen, dazu ORFler, insgesamt vielleicht 30 Personen. So etwas kennt man nur von Proben und von Neuer Musik, es ermöglicht jedoch den Fokus aufs Wesentliche. Ehe man zu seinem zugewiesenen Sitzplatz darf (den während der Pause zu verlassen nicht erlaubt ist – gut möglich, dass das Anschober-Büro dazu eine Verordnung erlassen hat), muss man die einzig offene Tür ins Haus finden. Und danach die Hand zum Fiebermessen ausstrecken. „Sie sind unterkühlt“, sagte der Fiebermessende zum Autor dieser Zeilen, was er genau meinte, weiß man nicht. Auch Kritiker müssen erst wieder auf Betriebstemperatur kommen. An der Innenseite des Handgelenks schlug das Thermometer dann doch aus, aber nicht zu weit, Hürde überstanden. Somit darf man mit FFP2-Maske zum Platz, man bekommt sogar eine Flasche Wasser mit auf den Weg, weil ja die Buffets zu haben, Trinken ist in Hungerphasen umso wichtiger.
In den besten Logen sitzt jeweils eine Person, das wird kontrolliert, wenn auch nicht von der Polizei. Vorab wurde darauf hingewiesen, dass Applaus diesmal untersagt sei, würde im Fernsehen wohl komisch klingen, wenn nur ein paar klatschen.
Stille und Musik
Bertrand de Billy, der Dirigent, verbeugt sich nach Betreten des Pultes dennoch zum Publikum – Stille. Und am Ende kommen die Protagonisten vor den Vorhang – fast Stille, ein paar Musiker applaudieren schüchtern. Das ist gespenstisch, der Abend selbst aber ein enorm wichtiges Lebenszeichen eines Genres, das sich in Wien nicht unterkriegen lässt. Und angesichts solcher Sicherheitskonzepte fragt man sich erneut, wieso der Oper nicht zumindest limitiert Besucher erlaubt sind, Museen aber schon. Jedenfalls geht die Staatsoper bestmöglich mit der Situation um. Schon das Wissen, dass Oper zumindest gespielt wird, macht die Welt gleich ein bisschen besser.
Auch auf der Bühne sieht man etwas Licht am Ende des Tunnels – in der dunklen (fürs TV stärker als sonst beleuchteten) Inszenierung von Andrei Serban. Man hört das Rollendebüt von Piotr Beczala, der einen berührenden, leidenden, stimmlich präsenten, höhensicheren, manchmal leicht gepressten Werther gibt. Dazu Gaëlle Arquez als neue Charlotte mit schön timbriertem Mezzo und Daniela Fally als hörbar kleine Schwester Sophie. Fein, dass Clemens Unterreiner Zeit für die Rolle des Albert fand, grad nicht viel los im Moment da draußen.
Beeindruckendes ereignet sich im Graben: Bertrand de Billy führt das Orchester mitreißend durch das wunderbare Werk, dramatisch, dann zart lyrisch, höchst differenziert, klangvollendet. Zumindest an dieser Stelle sind Bravo-Rufe erlaubt.
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