Aus der Krise geboren: Die Erforschung des Heavy Metal
Es gab Zeiten, da wollten strenggläubige Christen „satanische“ Metal-Musik ins Höllenfeuer schicken. Viele denken bei Metalheads heute noch an einen Haufen langhaariger Wüstlinge, die Fledermäusen den Kopf abbeißen. Wenngleich mittlerweile sogar wissenschaftlich belegt ist, dass die Metal-Jünger nicht samt und sonders in Depressionen abrutschen und mitunter sogar recht glückliche Menschen sind.
Vor rund fünfzig Jahren erschütterten Glockenschläge, Gewitter und harte Riffs die Musikwelt, als die britische Band Black Sabbath ihr Debütalbum vorlegte. Es gilt als eine der Geburtsstunden für die schwer metallische Szene.
Mittlerweile ist die Musikrichtung etabliert und in unzählige Genres und Subgenres zersplittert: Thrash Metal, Death Metal, Viking Metal, Hairspray Metal, ja, sogar Christlicher Metal. So sehr zersplittert, dass sich die Band Manowar gezwungen sah, das Genre True Metal auszurufen.
Metallurgie
Peter Pichler hält es mit dem klassischen Heavy Metal der frühen 1980er-Jahre aus Großbritannien. Aber auch der Black Metal mit seinem extrem gutturalen Gesang fasziniert den Wissenschafter: „Weil man ähnlich wie im Free Jazz in Bereiche hineinkommt, wo man sich die Frage stellen kann: Ist das noch Musik oder was macht Musik aus?“
Der Kulturhistoriker von der Uni Graz hat vor rund sechs Jahren entdeckt, „dass da wissenschaftlich etwas passiert“. Seit ungefähr zehn Jahren gibt es eine eigene Forschungsrichtung namens Metal Music Studies mit regelmäßig abgehaltenen Konferenzen. Pichler selbst hat kürzlich einen mehrjährigen Forschungsauftrag an Land gezogen und widmet sich der Entstehung und den Besonderheiten der steirischen Szene. Mit Napalm Records befinde sich etwa das weltweit größte Independent-Label für Metal im steirischen – aufgepasst – Eisenerz.
Eine erste These lautet: So wie in der „New Wave of British Heavy Metal“ scheint der Regelbruch Anfang der 1980er-Jahre ein bestimmendes Narrativ der sich damals formierenden steirischen Szene gewesen zu sein. Im britischen Rechtssystem unter Margret Thatcher ortet Pichler den Gegenpol, den es etwa für klassische Songs wie „Breaking the Law“ von Judas Priest (1980) gebraucht hat. „Heavy Metal ist für Andersdenken gestanden, Rebellion, Biker-Image, Outlaw-Dasein. Das Spannende ist, dass diese Ethik, also der angebliche Gesetzesbruch, überall auf der Welt übernommen wurde.“
Andererseits wirke Metal auch integrativ. Nicht nur, dass Manowar ihre 1986er-Tour „Hail To Europe“ nannten – „das Spannende daran ist, dass das zu einem Zeitpunkt geschah, wo kurz zuvor die Einheitliche Europäische Akte unterzeichnet worden ist“, erzählt Pichler. „Die goldenen Sterne auf blauem Grund waren prominent in der Öffentlichkeit vertreten. Und Manowar haben für ihre Tour-Shirts genau diese Ästhetik übernommen.“
Wagner und Metal
Manowar sagten auch, dass Wagner der erste Heavy-Metal-Musiker war. Im Bombastischen, Orgiastischen, überhaupt im Virtuosentum der klassischen Musik sieht Pichler große Parallelen.
Die greifbaren Anfänge des Genres liegen aber in den späten 1960er-Jahren. Da gab es mit neuen Verstärker-Technologien einen Einschnitt: „Man konnte lauter spielen, aber auch verzerrt“, sagt Pichler. „Das spielte mit einem totalen Umbruch im Gesellschaftsbild zusammen. Bis dahin gab es den optimistischen Versuch, die Hippie-Utopie zu leben. Spätestens ab der Ölkrise 1973 sind aber fast drei Jahrzehnte an Zukunftsoptimismus nach dem Zweiten Weltkrieg in sich kollabiert. Es entstand ein gesellschaftliches Vakuum, in dem Dunkelheit wieder Platz hatte.“
Düstere Texte, harte Themen
Eine Dunkelheit, die sich auch in düsteren Texten wie dem der US-Thrash-Metal-Band Slayer in „Angel of Death“ (1986) äußerte. Darin wurden die abscheulichen Menschenversuche des KZ-Arztes Josef Mengele verarbeitet, was für heftige Kritik sorgte. „Die Schockwirkung entsteht dadurch, dass nicht kommentiert wird“, sagt Pichler. „In einer brutalen Art bekommt man das vor den Latz geknallt. Und steht vor der Frage: Ist Sänger Tom Araya ein Nazi? Nein, ist er nicht, genauso wenig wie Jeff Hanneman, der den Text schrieb. Das ist genau die Intention dahinter: Es geht um ein Unwohlsein, das ausgelöst werden soll.“
Es gebe als Randphänomen aber durchaus Metal-Bands, die sich tatsächlich einer Neonazi-Ideologie verschrieben haben, und sogar ein Genre namens National Socialist Black Metal. Dass dieses Problem "unter dem Banner der Freiheit" oft verdrängt werde, damit müsste sich die Szene und ihre Erforschung stärker beschäftigen, fordert Pichler.
Frauen im Kommen
In einem Punkt hat sich die Szene schon stark bewegt. Metal ist nicht mehr der Ort, wo die angeblich so harten Buben unter sich sind.
Pichler: "Seit den späten Neunziger Jahren und frühen Nuller Jahren ist zu beobachten, dass sich da ganz viel verschiebt. Es gibt immer mehr Gitarristinnen und immer mehr Sängerinnen, die diesen extremen Gesangsstil haben, den man zuerst nur Männern zugetraut hat. Mein Eindruck bei den Konzerten ist, dass heute viel mehr Frauen dort sind als vor fünf bis zehn Jahren. Und dadurch wird das einfach aufgebrochen."
Krisenmusik?
Metal-Texte thematisieren Folter, Mord, Horror, Terror, Zerstörung, Krankheit, Apokalypse. In Zeiten der Pandemie herrscht Hochkonjunktur für diese Themen. Welche Antworten kann Metal in solchen Krisenzeiten geben?
„Diese konkrete Krisenerfahrung ist noch zu frisch, als dass man schon einen Reflex erwarten könnte“, meint Pichler. Generell gebe es auch optimistische Formen, etwa den Power Metal mit seinen Fantasythemen, „da geht es mitunter um den Prinzen, der den Drachen besiegt und die Prinzessin rettet“, sagt er. „Wirklich um Heilung und Durcharbeiten von Krisen geht es erst, wenn ein Thema in einer gemeinsamen Erfahrung wie bei einem Konzert aufgelöst werden kann. Darin liegt, glaub ich, die Stärke.“
Coronakonform
Eine Erfahrung, die aufgrund der Einschränkungen derzeit kaum eingelöst werden kann. Nur im September hatte Pichler Gelegenheit, in Graz ein Metal-Konzert zu besuchen. Ein Erlebnis, das er mitunter als „schräg“ empfand, nicht nur wegen der Moshpit mit Abstand: „Die Bands waren bemüht, die beste Show ihres Lebens abzuliefern, weil sie wussten: Das ist die erste seit Langem und vielleicht die letzte für längere Zeit. Die Fans kamen geschlossen mit Maske, weil es einfach die Regel war. Der übliche Code bei einem Rockkonzert ist Lachen, um Begeisterung auszudrücken. Durch diese Anonymisierung hat sich der Charakter total verändert.“
Insgesamt habe die Szene kreativ auf die Krise reagiert, nicht nur durch das Einspielen neuer Musik und noch stärkerer Nutzung digitaler Kanäle: Die Webshops sind voll von Schutzmasken im jeweiligen Banddesign.
Einen höheren Anteil an Corona-Leugnern ortet Pichler unter den Metallern nicht. „Ich glaube wirklich, dass wir hier einen Querschnitt der Gesellschaft haben, es wird genauso viele geben wie in anderen Communities. Mein Anspruch ist: Bitte diese großen Mythen drum weg und einfach als Alltagsphänomen in der Welt sehen.“
Das Projekt
„Norikum“ ist die Kurzbezeichnung für Peter Pichlers Forschungsprojekt im Rahmen der Metal Music Studies. Der Langtitel des vom Wissenschaftsfonds FWF mit 250.000 Euro dotierten Projekts lautet: „Breaking the Law…?! Normenbezogenes klangliches Wissen in der Heavy Metal-Kultur“
Unterstützt wird Pichler dabei von dem Musikwissenschafter Charalampos Efthymiou. Laufzeit ist Februar 2020 bis Jänner 2023.
Forschungsziel
Ziel ist laut Projektbeschreibung, eine erste wissenschaftliche Geschichte der lokalen und regionalen Metal-Szene in Graz und der Steiermark, auch in ihren nationalen und internationalen Vernetzungen seit den 1980er-Jahren, zu schreiben.
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