Daniel Barenboim: "Wir sind immer noch im Exil"

Stardirigent und Friedensbotschafter Daniel Barenboim steht nach 2009 (Bild) zum zweiten Mal bei einem Neujahrskonzert am Pult der Wiener Philharmoniker.
Der Top-Dirigent über das Neujahrskonzert, Vorbilder und Vorstufen zum Weltfrieden.

Am 1. Jänner 2014 dirigiert Daniel Barenboim zum zweiten Mal (nach 2009) das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker. Und die ersten Proben verlaufen sehr, sehr gut. Barenboim im KURIER-Gespräch: „Die Musiker und ich – wir haben einander zum Fressen gern. Es ist das schönste Kompliment für einen Dirigenten, dieses Konzert leiten zu dürfen.“

Ja, Respekt hat der Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper Unter den Linden vor diesem Konzert. „Es gibt Kollegen, die sind mit der Musik der Strauß-Dynastie aufgewachsen. Wie Zubin Mehta oder Herbert von Karajan. Ich musste, ich durfte mir diese Musik im Laufe der Jahre erst aneignen.“ Zur Vorbereitung hat der langjährige Musikdirektor der Mailänder Scala vor allem ein Konzert sorgfältig studiert. „Karajans einziges Neujahrskonzert 1987 ist für mich der Maßstab aller Dinge. Wie natürlich, wie singulär das klingt!“

Singulärer Karajan

Dass Barenboim Karajan verehrt, hat auch persönliche Gründe. „Herbert von Karajan war damals fest an die Berliner Philharmoniker gebunden. Er konnte das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker nur dirigieren, weil ich für ihn als Dirigent des traditionellen Silvesterkonzerts der Berliner Philharmoniker eingesprungen bin. Ich verdanke Karajan sehr viel. Und ich schätze ihn als Musiker.“

Im Rahmen des Neujahrskonzerts wird auch des Beginns des Ersten Weltkriegs 1914 gedacht – für Daniel Barenboim „eine Urkatastrophe der Menschheit“.

„Mit dem West-Eastern Divan Orchestra versuche ich ja, für den Frieden im Nahen Osten zu werben. Ich werde oft gefragt: Was wünschst du dir für 2014? Frieden? Ja, nur so weit sind wir leider noch lange nicht. Was Israel und Palästina betrifft, so befinden wir uns höchstens in einer Vorstufe zu Gesprächen. Das wäre auch das konkrete Ziel. Alle Beteiligten sollten sich einmal an einen Tisch setzen. Gar nicht, um zu verhandeln, sondern nur, um miteinander zu essen und um zu versuchen, die Geschichte des jeweils anderen Staates zu verstehen.“

Barenboim weiter: „Das ist kein politischer Konflikt. Da geht es nicht um Öl, Waffen oder Rohstoffe. Das ist ein rein zwischenmenschlicher Konflikt zweier Weltanschauungen, die beide ihre Berechtigung haben.“

Daniel Barenboim: "Wir sind immer noch im Exil"
APA16229636 - 27122013 - WIEN - ÖSTERREICH: ZU APA-TEXT KI - Dirigent Daniel Barenboim (li) und Philharmoniker-Vorstand Clemens Hellsberg am Freitag, 27. Dezember 2013 im Rahmen einer PK der Wiener Philharmoniker zum "Neujahrskonzert 2014" in Wien. APA-FOTO: HANS PUNZ
Dass der Humanist Barenboim für seine Aktivitäten in Europa, Japan oder den USA sehr geschätzt wird, ist für ihn eine „schöne Sache“. Aber: „Wir haben in diesem Orchester Musiker aus Israel und aus den arabischen Ländern. Wir dürfen überall auftreten, nur nicht in jenen Ländern, aus denen die Musiker kommen. Wir sind somit immer noch im Exil.“

Eines freut Barenboim: „Ich werde in Israel und in den arabischen Ländern gleichermaßen geliebt oder gleichermaßen abgelehnt. Da habe ich etwas richtig gemacht. Schlimm wäre es, nur von einer Seite geliebt oder eben gehasst zu werden.“

Ja, die Musik ist für den Pianisten und Dirigenten universell. „Sie bedarf keiner Worte. Daran glaube ich fest.“ Doch wo fühlt sich Barenboim zu Hause? Lachend: „Immer dort, wo ich gerade bin. Im Moment also Wien. Diese Stadt, dieses Orchester, diese Menschen, diese Musik – 2014 kann nur gut werden.“

Wie klug das Programm des Neujahrskonzertes auch heuer wieder von Clemens Hellsberg, dem Vorstand der Wiener Philharmoniker, zusammengestellt wurde, erkennt man an vielen Stücken, an einem Detail aber besonders:

Im „Dynamiden-Walzer“ von Joseph Strauß, der offiziell den Titel „Geheime Anziehungskräfte“ trägt, erklingt nach einer etwa einminütigen Einleitung ein Walzer-Motiv, das Opernfreunden sofort bekannt vorkommen wird: Es ist exakt jenes, das Richard Strauss 46 Jahre später in seinem „Rosenkavalier“ für den Ochs-Walzer verwendete. Das ist ganz klar als Hommage des Jahresregenten 2014 (Richard Strauss wurde vor 150 Jahren geboren), an Joseph Strauß, eigentlich an die gesamte Strauß-Dynastie erkennbar. „Geheime Anziehungskräfte“ wurde 1865 uraufgeführt.

Strauss trifft Strauß

Richard Strauss selbst wird aber am 1. Jänner auch von den Wiener Philharmonikern gewürdigt: Mit seiner „Mondscheinmusik“ aus der Oper „Capriccio“. „Es war klar, dass wir bei diesem Neujahrskonzert erstmals Richard Strauss spielen“, sagt Clemens Hellsberg im KURIER-Interview. „Unser Orchester war mit ihm so verbunden.“ Es sollte aber ein quasi sinfonisches Stück sein, nicht zu lang, von großer Intensität und einer Besinnlichkeit, die auch der Strauß-Familie nicht fremd war.

Daniel Barenboim: "Wir sind immer noch im Exil"
"Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker 2014", "Neujahrsballett." Nach seinem großen Erfolg 2009 wurde Daniel Barenboim von den Wiener Philharmonikern eingeladen, das traditionelle Neujahrskonzert, die musikalische Grußbotschaft Österreichs zum zweiten Mal zu dirigieren. Sie würdigen damit sowohl das 25 Jahr-Jubiläum ihrer Zusammenarbeit mit dem Generalmusikdirektor der Staatsoper Unter den Linden in Berlin als auch Daniel Barenboims künstlerisches Wirken sowie sein weltweit beachtetes, von hohem persönlichen Mut getragenes Bemühen, Brücken zu bauen und scheinbar Unversöhnliches zu versöhnen. Neben der Musik der Strauß-Familie werden u.a. auch Töne von zwei "Neujahrskonzert Debutanten" erklingen. Das Stadtpalais Liechtenstein, das nach umfassenden Renovierungsarbeiten wieder in all seiner Pracht erstrahlt, ist Schauplatz für die Balletteinlagen des Wiener Staatsballetts. Die Choreographie stammt wie im Vorjahr von Ashley Page. Die große Sensation des Neujahrskonzertes 2014 ist die Kostümbildnerin für die Wiener Tänzer. Keine Geringere als Vivienne Westwood konnte für die fantasievollen Kreationen gewonnen werden. Für eine Überraschung wird auch die traditionelle Zugabe "An der schönen blauen Donau" sorgen. Regie für Ballett und Konzert: Michael BeyerIm Bild: Maria Yakovleva, Irina Tsymbal. SENDUNG: ORF2 - MI - 01.01.2014 - 11:15 UHR. - Veroeffentlichung fuer Pressezwecke honorarfrei ausschliesslich im Zusammenhang mit oben genannter Sendung oder Veranstaltung des ORF bei Urhebernennung. Foto: ORF/Günther Pichlkostner. Anderweitige Verwendung honorarpflichtig und nur nach schriftlicher Genehmigung der ORF-Fotoredaktion. Copyright: ORF, Wuerzburggasse 30, A-1136 Wien, Tel. +43-(0)1-87878-13606
„Von Richard Strauss ist ja der Satz überliefert: ,Johann Strauß ist von allen Gottbegnadeten für mich der liebenswürdigste Freudenspender‘“, erzählt Hellsberg. Liszt, Tschaikowsky, Wagner und Verdi wurden zuletzt beim Neujahrskonzert musikalisch geehrt. Hellsberg: „Das Programm darf aber nie beliebig werden, sondern muss mit den Sträußen zu tun haben.“

Diesmal erklingt auch erstmals ein Pizzicato-Stück von Léo Delibes. Der Dirigent Daniel Barenboim wollte unbedingt die „Pizzicato-Polka“ im Programm haben. Jene von Johann Strauß ist aber das am häufigsten gespielte Stück überhaupt bei diesem Konzert, so kam man auf Delibes.

Die Wiener Philharmoniker erweisen mit der Programmauswahl auch Barenboim eine Reverenz. So wird das Konzert mit der „Helenen-Quadrille“ eröffnet. „Eine Quadrille zu Beginn hatten wir noch nie. Und Barenboims Frau heißt Elena.“

Urkatastrophe

Ein großes Kapitel im Programm wird der Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts gewidmet sein: Dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges vor 100 Jahren. „Wir haben Daniel Barenboim auch deshalb für dieses Mal eingeladen, weil er ein großer Friedensaktivist ist, unter anderem mit seinem West-Eastern Divan Orchestra“, sagt Hellsberg. „Das hat eine besondere Symbolkraft.“

Das Konzert wird in mehr als 90 Länder übertragen, vielleicht werden es sogar 100. Zwei kamen eben erst neu dazu: Barenboims Geburtsland Argentinien und Palästina. Das Orchester spendet aus den Einnahmen wieder 100.000 Euro an Licht ins Dunkel. Für vier Jahre wurde auch eine Kooperation mit Amnesty International vereinbart.

Der Geiger Hellsberg, der in sein 17. Jahr als Vorstand des Orchesters geht, kann zum zweiten Mal in dieser Amtszeit nicht selbst spielen. „Beim zweiten Konzert von Nikolaus Harnoncourt im Jahr 2003 war ich krank. Diesmal muss ich mit Gips im Saal sitzen.“ Er war auf der Straße gestürzt und hatte sich dabei einen Trümmerbruch im linken Ellbogen zugezogen. „Ich wurde im Lorenz-Böhler-Spital von Professor Hertz und seinem Team aber wunderbar behandelt.“ Vier Monate wird er pausieren müssen.

Gedenken

Bei einem weiteren Konzert-Höhepunkt 2014 wird Hellsberg auf alle Fälle dabei sein: Am 28. Juni in Sarajevo, wenn dort des Attentats an Franz Ferdinand vor genau 100 Jahren und des darauf folgenden Kriegsausbruches gedacht wird. Franz Welser-Möst wird Werke von Haydn, Schubert, Berg, Brahms und Ravel dirigieren.

Daniel Barenboim: "Wir sind immer noch im Exil"
"Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker 2014", "Neujahrsballett." Nach seinem großen Erfolg 2009 wurde Daniel Barenboim von den Wiener Philharmonikern eingeladen, das traditionelle Neujahrskonzert, die musikalische Grußbotschaft Österreichs zum zweiten Mal zu dirigieren. Sie würdigen damit sowohl das 25 Jahr-Jubiläum ihrer Zusammenarbeit mit dem Generalmusikdirektor der Staatsoper Unter den Linden in Berlin als auch Daniel Barenboims künstlerisches Wirken sowie sein weltweit beachtetes, von hohem persönlichen Mut getragenes Bemühen, Brücken zu bauen und scheinbar Unversöhnliches zu versöhnen. Neben der Musik der Strauß-Familie werden u.a. auch Töne von zwei "Neujahrskonzert Debutanten" erklingen. Das Stadtpalais Liechtenstein, das nach umfassenden Renovierungsarbeiten wieder in all seiner Pracht erstrahlt, ist Schauplatz für die Balletteinlagen des Wiener Staatsballetts. Die Choreographie stammt wie im Vorjahr von Ashley Page. Die große Sensation des Neujahrskonzertes 2014 ist die Kostümbildnerin für die Wiener Tänzer. Keine Geringere als Vivienne Westwood konnte für die fantasievollen Kreationen gewonnen werden. Für eine Überraschung wird auch die traditionelle Zugabe "An der schönen blauen Donau" sorgen. Regie für Ballett und Konzert: Michael BeyerIm Bild: Maria Yakovleva. SENDUNG: ORF2 - MI - 01.01.2014 - 11:15 UHR. - Veroeffentlichung fuer Pressezwecke honorarfrei ausschliesslich im Zusammenhang mit oben genannter Sendung oder Veranstaltung des ORF bei Urhebernennung. Foto: ORF/Günther Pichlkostner. Anderweitige Verwendung honorarpflichtig und nur nach schriftlicher Genehmigung der ORF-Fotoredaktion. Copyright: ORF, Wuerzburggasse 30, A-1136 Wien, Tel. +43-(0)1-87878-13606
Hellsberg hatte sich vor der Bestellung von Markus Hinterhäuser zum Intendanten der Salzburger Festspiele unüberhörbar zu Wort gemeldet und eingefordert, dass die Philharmoniker in den Entscheidungsprozess eingebunden werden müssten. Ist der Philharmoniker-Vorstand jetzt zufrieden?

„Das ist eine gute Wahl, Hinterhäuser genießt großes Ansehen im Orchester. Ich war nur verblüfft, mit wie viel polemischer und unqualifizierter Kritik das Festspiel-Kuratorium konfrontiert war. Es hat verantwortungsbewusst agiert.“

Die Übergangszeit von drei Jahren bis dahin sei aber herausfordernd. „Selbstverständlich unterstützen wir das Direktorium in jeder Hinsicht.“

www.wienerphilharmoniker.at

  • Eduard Strauß: „Helenen-Quadrille“ op.14
  • Joseph Strauß: „Friedenspalmen-Walzer“ op. 207
  • Johann Strauß Vater: „Carolinen-Galopp“ op. 21a
  • Johann Strauß Sohn: „Ägyptischer Marsch“ op. 335
  • Johann Strauß Sohn: „Seid umschlungen, Millionen“ (Walzer) op. 443
  • Johann Strauß Sohn: „Stürmisch in Lieb und Tanz“ (Polka) op. 393
  • Johann Strauß Sohn: Ouvertüre zu „Waldmeister“
  • Johann Strauß Sohn: „Klipp Klapp“ (Galopp) op. 466
  • Johann Strauß Sohn: „Geschichten aus dem Wiener Wald“ (Walzer) op. 325
  • Joseph Hellmesberger Jun. „Vielliebchen“ (Polka) op. 1
  • Joseph Strauß: „Bouquet“ (Polka) op.188
  • Richard Strauss: „Mondscheinmusik“ aus der Oper „Capriccio“
  • Joseph Lanner: „Die Romantiker“ (Walzer) op.167
  • Joseph Strauß: „Neckerei“ (Polka Mazur) op. 262
  • Joseph Strauß: „Schabernack“ (Polka) op. 98
  • Leo Delibes: Pizzicati aus dem Ballett „Sylvia“
  • Joseph Strauß: „Dynamiden“ (Walzer) op.173
  • Joseph Strauß: „Ohne Sorgen“ (Polka) op. 271

Die beiden letzten Zugaben sind traditionellerweise „An der schönen blauen Donau“ von Johann Strauß Sohn sowie der „Radetzky-Marsch“ von Johann Strauß Vater.

Kommentare