Christian Rainer: "Natürlich ist es auch immer wieder Kampf"
Ebensee ist das glatte Gegenteil des pittoresken Hallstatt. Dort gab es ein Außenlager des KZ Mauthausen, in dem Tausende Menschen starben. Und am 9. Mai 2009 marschierten Burschen aus der Gegend im Stechschritt bei der alljährlichen Gedenkfeier auf, sie schossen mit Softguns auf die Teilnehmer, sie schrien „Heil Hitler“ und „Sieg Heil, Ihr Schweine“. Einschlägige Bilddateien wurden gefunden, es gab Schuldsprüche wegen Wiederbetätigung.
Und nun ist wieder etwas passiert. Christian Rainer, bis Ende Februar profil-Herausgeber, wurde aus einem Wirtshaus geschmissen.
KURIER: Was genau ist passiert?
Christian Rainer: Wir sprachen über die Kulturhauptstadt 2024 – und daher auch über Erinnerungskultur. Der Wirt meinte, man solle die alten Gräben nicht aufreißen. Ich argumentierte, dass die Geschichte – neben vielen anderen Themen – sehr wohl Teil des Programms zu sein habe. Die Diskussion wurde hitziger. Auf meinen Vorschlag, über etwas anderes zu reden, ging der Wirt nicht ein.
Roland Heißl, so der Name des Wirts, soll Sie auch konkret als Journalisten angegriffen haben.
Er echauffierte sich zumindest über „die linken Schreiberlinge“. Denn einer der Ausgangspunkte unserer Diskussion war Kurt Waldheim. Ich bin in den 1980er-Jahren Journalist wegen und gegen Waldheim geworden. Aber ich möchte jetzt nicht noch Öl ins Feuer gießen, ich lebe ja gerne in Ebensee. Auch deshalb, weil man dort vorbildlich mit der Aufarbeitung der Vergangenheit umgeht. Es gibt ein Zeitgeschichtemuseum – und eine Städtepartnerschaft mit Prato, weil im KZ Ebensee viele Italiener umgekommen sind. Aber natürlich ist es auch immer wieder Kampf. Nicht jeder versteht die Notwendigkeit der Auseinandersetzung.
Der Wirt packte Sie, wie zu lesen war, „am Krawattl“ …
… also an der Gurgel und warf mich aus dem Wirtshaus. Er trat und schlug mich, was er allerdings bestreitet, und drohte: „Ich hau’ Dich die Stieg’n runter!“ Ich lief davon, er rannte mir nach. Eigentlich wollte ich die Sache auf sich beruhen lassen, aber der Vorfall sprach sich herum. Daher hat die Polizei Ermittlungen eingeleitet.
Sie wurden in Gmunden geboren, weil dort das Krankenhaus ist, aber wuchsen in Ebensee auf.
Ja. Ich bin mit 18 zum Studium nach Wien. 2011 durfte ich bei der Gedenkfeier auf dem Areal des ehemaligen KZ-Außenlagers eine Rede halten. Auch meine Eltern, die mich schon als Kind über die NS-Zeit aufgeklärt hatten, hörten mir zu. Das war der Beginn meiner Rückkehr. Ich habe mich wieder auf meine Heimat eingelassen. Meine Eltern sind mittlerweile gestorben, ihr Haus habe ich übernommen.
Ebensee ist aber wenig reizvoll.
Man muss in die Tiefen vorstoßen, in Richtung Offensee und Langbathseen zum Beispiel, um das Urwüchsige und Schöne zu entdecken. Ebensee hat kein Renaissance-Rathaus wie Gmunden und auch keine Kaiserherrlichkeit wie Ischl, es ist ein Arbeiterort. Die Ebenseer sind direkt. Und wenn man ehrlich wirkt, wird man sofort aufgenommen.
Ihr Vater war dort Direktor der Solvay-Werke.
Ja. Dieser belgische Konzern macht aus Salz und Kalk Soda. Heute wird Soda kaum mehr industriell erzeugt, in Ebensee stehen nur mehr die leeren Türme und Hallen. Man sagt immer, der Boden sei verseucht. Das Gelände wäre aber prädestiniert, um dort die Welt der Arbeit darzustellen. Doch all meine Bemühungen, daraus ein Museum für Arbeiterkultur zu machen, sind bisher gescheitert. Wenn man sich die Sozialdemokratie in Österreich vor Augen hält, wundert einen das nicht weiter. Die Tradition wird ja nur mehr von Teilen der SPÖ in Wien hochgehalten – und auch nur mehr an einem einzigen Tag im Jahr.
Mit Ebensee beginnt das Innere Salzkammergut.
Ja, hinter dem Sonnstein ist die Mentalität eine andere. In Ebensee, Ischl, Goisern kommt es immer wieder einmal vor, dass man sich in Wirtshäusern prügelt. Das erzählt man jedenfalls.
Und das ist historisch begründet: Aufgrund des wertvollen Salzes durften die Einwohner, die Bergleute und Flößer, das Gebiet nur mit Genehmigung verlassen.
Sie wurden gegängelt, das Salzamt und das Forstamt waren in Gmunden, die Verbindungsstraßen und Tunnels wurden erst im späten 19. Jahrhundert errichtet. Das heißt: Zu besonderen kirchlichen Feiertagen musste man nach Traunkirchen mit dem Schiff rudern. Daher wuchs Widerstand. Das heißt auch: anderer Dialekt, andere Tracht, andere Rituale – und eine andere politische Einstellung. Und ein hoher Anteil an Protestantismus, weil die Gegenaufklärung nicht mehr so Platz gegriffen hat.
Dieses Salzkammergut wird nun Kulturhauptstadt. Erstaunlich?
Erstaunlich fand ich nur, dass die Mitbewerber – St. Pölten und Dornbirn – es nicht geworden sind. Also dass sich die Macht der ÖVP nicht durchsetzen konnte. Sondern dass die roten Gemeinden, Bad Ischl und Umgebung, den Zuschlag erhalten haben.
Anfangs gab es daher keine Unterstützung durch den oberösterreichischen ÖVP-Landeshauptmann Thomas Stelzer. Und nun gibt es andauernd Querelen. Wie beurteilen Sie die Situation?
Angesichts der Unmöglichkeiten eines derartigen Projektes – erstmals ist eine ländliche Region mit insgesamt 24 selbstbewussten Gemeinden Kulturhauptstadt – läuft es nicht so schlecht. Die Idee eines Open Calls, der über 1.000 Einreichungen nach sich zog, war natürlich idiotisch. Denn es kann ja nur ein Bruchteil realisiert werden. Zudem gibt es individuelle Interessen. Manche Gemeinden bestehen auf Investitionen in die Infrastruktur, was aber nicht aus dem eng bemessenen Budget der Kulturhauptstadt geleistet werden kann und darf.
Und so wird das Lehár-Theater 2024 nicht revitalisiert sein. Kulturhauptstadtmacher Hannes Heide, der ehemalige Bürgermeister von Ischl, hat es zusammen mit anderen gekauft. Wirklich nur, um es vor dem Verfall zu retten?
Es gibt jetzt endlich den Beschluss der Stadt, die Immobilie zurückzukaufen. Ja, die Renovierung wird erst nach 2024 in Angriff genommen werden. Intendantin Elisabeth Schweeger will das Theater zwar bespielen, aber es wird keine Toiletten geben. Und keine Heizung. Das haben wir erst kürzlich erlebt – bei einer Lesung von Birgit Minichmayr mit Texten von Stefan Zweig. Es war wahnsinnig kalt.
Danach ging es zum Aufwärmen in die ehemalige Trinkhalle. Heide, nun EU-Parlamentarier, ließ dort ein SPÖ-Plakat aufhängen. Obwohl es eine Veranstaltung der Kulturhauptstadt war.
Er argumentierte, dass es seine Einladung gewesen sei. Aber ja, auch ich fand das unpassend.
Elisabeth Schweeger hat ein informelles Kulturkomitee zusammengestellt. Hätten Sie Interesse, sich einzubringen?
Ich wurde rezent nicht gefragt. Aber ich finde wahnsinnig spannend, was dort abgeht.
In diesem Komitee fliegen die Hackl tief: Hannes Androsch zog sich ob des „exotisch-globalen“ Programms zurück, das dem Salzkammergut nicht gerecht würde. Und Hubert von Goisern reagierte mit einem rotzigen Brief.
Androsch kommt aus Wien. Seine Lederhose wurde daher noch nicht in dritter Generation weitergegeben. Um die Geschichte des Salzkammerguts zu verstehen, braucht man eine Lebensspanne. Und eine zweite, um die Gegenwart zu verstehen. Aber auch Androsch hat nur ein Leben.
Auch Schweeger kommt nicht aus dem Salzkammergut. Was man ihr ankreidet.
Es stimmt schon: Wenn sie den Einheimischen zu erklären versucht, wie das Salzkammergut funktioniert, wird es schwierig. Aber ich möchte noch einen Satz zu Androsch sagen: Ich glaube nicht, dass die Inhalte, die er fordert, irgendjemanden unter 30 hinter dem Kachelofen hervorholen würden. Ein riesiges Museum der Volkskultur kann nicht die Lösung sein.
Die Kulturschaffenden fühlen sich aber stiefmütterlich behandelt. Eben weil Schweeger lieber große Namen verpflichtet.
Ich kann beide Seiten verstehen. Ja, es braucht eine Wechselwirkung zwischen großen Namen von außen und dem, was im Salzkammergut entstanden ist. Die Medien werden aber nicht so sehr über die Salinenkapellen berichten. Ich jedenfalls habe keine Angst, dass es zu einem Übermaß an Einfluss auf das arme Salzkammergut kommen könnte.
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