Burgtheater vor Hartmann: „Durchgehend angespannte Finanzlage“
Im Winter 2013/2014 krachte das Finanzgebäude des Burgtheaters zusammen. Zunächst, im November, wurde Vizedirektorin Silvia Stantejsky fristlos entlassen. Im Jänner erklärte Georg Springer, Chef der Bundestheater-Holding, dass es in der Vergangenheit zu „dolosen Handlungen“ gekommen war. Und schließlich, am 11. März, enthob der damalige SPÖ-Kulturminister Josef Ostermayer den Burg-Direktor, Matthias Hartmann, seines Amtes.
Stantejsky war schon seit der Zeit von Claus Peymann die „Mutter der Kompanie“ gewesen. Sie ermöglichte immer alles – auch als Stellvertreterin von Thomas Drozda, dem Geschäftsführer seit der Ausgliederung im Spätsommer 1999: Sie zahlte Akonti aus und drückte den Gastschauspielern die Gage bar in die Hand (was Steuerhinterziehungen leicht machte).
Im Juli 2008 – ein Jahr vor Vertragsende – wechselte Drozda als Generaldirektor zu den Vereinigten Bühnen Wien. Und Stantejsky folgte ihm als Geschäftsführerin nach. Im Zuge des Bestellungsverfahrens gab es zwar schwere Bedenken der beigezogenen Personalberaterin. Aber Drozda votierte für Stantejsky. Weil Direktor Klaus Bachler dem Abgang des Geschäftsführers nur zustimmen wollte, wenn er sich in der letzten Saison nicht an ein neues Gesicht gewöhnen musste. Zumal er ohnedies die meiste Zeit in München weilte – als neuer Intendant der Bayerischen Staatsoper.
Hartmann, der im Herbst 2009 mit einem Premierenfeuerwerk begonnen hatte, verteidigte sich nach dem Bekanntwerden des Skandals wortreich – und wies die Schuld von sich: Er habe die Probleme von seinem Vorgänger geerbt. Doch Bachler wollte nicht für „das Schlamassel von Hartmann“ verantwortlich gemacht werden. Er stellte in Abrede, ein verschuldetes Haus übergeben zu haben: „Es gab unter Drozda und mir ein klares Vier-Augen-Prinzip, eine funktionierende Geschäftsführung.“
„Größter Skandal“
Thomas Drozda behauptete das Gleiche. Er wehrte sich dagegen, in den seiner Meinung nach „größten Theaterskandal“ seit Jahrzehnten hineingezogen zu werden.
Um Klarheit über das Ausmaß der Katastrophe zu bekommen, ersuchte Josef Ostermayer den Rechnungshof um Überprüfung der Geschäftsgebarung vom Herbst 2008 bis zum Sommer 2013. Neun Punkten – von der Bilanzerstellung bis zur Darstellung der Liquidität – sollte der RH besonderes Augenmerk schenken.
Schon damals stand die Frage im Raum, warum sich Ostermayer nicht für die Zeit davor interessierte. Die Antwort ist wohl einfach: Bis zum Sommer 2008 war eben sein Parteikollege Thomas Drozda der Geschäftsführer.
Dass es zu keiner Prüfung der Drozda-Jahre kam, machte Hartmann wütend. Bekanntlich müssen Belege nur sieben Jahre lang aufgehoben werden. Hätte man Genaueres wissen wollen für die Zeit vor dem Sommer 2008: Es wäre höchste Zeit gewesen.
Im Mai 2016 erschien der RH-Bericht zum Burgtheater: Barauszahlungen im großen Stil, fehlendes Vier-Augen-Prinzip, mangelhafte Belege und so weiter. Aber hatte Silvia Stantejsky mit „dolosen Handlungen“ tatsächlich erst 2008 begonnen? Oder schon zuvor, als Stellvertreterin von Drozda? Doch diese und weitere Fragen blieben unbeantwortet. Denn Ende Mai, quasi zeitgleich mit dem Erscheinen des RH-Berichts, folgte Drozda auf Ostermayer als Kulturminister. Und er blieb es bis Mitte Dezember 2017.
Im Jänner 2019 bremsten Nationalratsabgeordnete der ÖVP und FPÖ die Opposition aus – und beauftragten den RH mit der Prüfung der Drozda-Jahre. Eigentlich hätte die Regierung dies mit ihrer Mehrheit beschließen können; es wurde aber ein Minderheitenrecht genutzt, das auf maximal drei gleichzeitige Prüfungen begrenzt ist. Mit diesem Schachzug nahm die ÖVP-FPÖ-Koalition der Opposition die Möglichkeit, den RH zu beauftragen.
Die Recherche über die Drozda-Jahre liegt nun als „Rohbericht“ vor. Zerknirscht müssen die Prüfer eingestehen, dass sie etliche Fragen nicht beantworten können. Eben weil die Belege vernichtet wurden.
„Keine Liquidität“
Doch der RH hat trotzdem viel Material zusammengetragen. Etwa, dass Bachler und Drozda, der im Kabinett von Bundeskanzler Viktor Klima gearbeitet hatte, ohne Ausschreibung bestellt wurden. Und dass bereits 2002 ihre Verträge um weitere fünf Jahre verlängert wurden. Ohne vorherige Ausschreibung, wie der RH kritisiert. Als Drozda dann im Sommer 2008 auf eigenen Wunsch zu den Vereinigten Bühnen ging, bekam er 12.000 Euro extra – für die so „umfangreichen Arbeiten“ im Zuge der Übergabe an seine Stellvertreterin.
Schon unter Drozda hatte das Burgtheater mit Schwierigkeiten zu kämpfen. Da es über „keine ausreichende Liquidität verfügte“, war es auf Kreditaufnahmen und Gesellschafterzuschüsse (sechs Millionen Euro zwischen 2003 und 2007) angewiesen. Der RH beurteilt daher „die als durchgehend angespannt zu bezeichnende Finanzlage der Burgtheater GmbH der Geschäftsjahre 1999/2000 bis 2007/08 kritisch“.
„Mangelhafte Berichte“
Und es gab auch unter Drozda die Barauszahlungen – in der Gesamthöhe von 22,51 Millionen Euro zwischen 1999 und 2008. Bereits im Oktober 2001 hatte der Abschlussprüfer empfohlen, diese aufgrund von Risiken und fehlender Kontrollmöglichkeiten auf ein Minimum zu reduzieren. Da man aber davon nicht abging, wiederholte der Abschlussprüfer 2003 seine Empfehlung.
Hinzu kamen 36,32 Millionen Euro, die über das bei der Hauptkasse eingerichtete Bankkonto ausbezahlt wurden. Der Abschlussprüfer kritisierte 2001 die Vorgangsweise, weil dabei das Vier-Augen-Prinzip nicht eingehalten werde. 2003 musste er erneut festhalten, dass die Einhaltung des Vier-Augen-Prinzips nicht gewährleistet ist.
Auch die Akonti-Zahlungen gab es in der Drozda-Zeit: Der RH zählte in den neun Jahren insgesamt 12.537 Fälle! Das Volumen stieg von 0,79 Millionen auf 3,47 Millionen Euro an – um 341 Prozent. Und: Laut RH gab es für solche Akonti-Zahlungen weder eine gesetzliche Verpflichtung noch eine kaufmännische Notwendigkeit.
Ein besonderes Highlight ist die mehrseitige Tabelle mit den Beschlüssen des Aufsichtsrats. Die Zwei- oder Dreijahrespläne wurden grosso modo zurückgewiesen oder abgelehnt – weil diese zum Teil erhebliche Fehlbeträge aufgewiesen haben. Die Überwachung der Budgeteinhaltung anhand der „mangelhaften“ Quartalsberichte war zudem nicht wirklich möglich. Und ein internes Kontrollsystem gab es nicht.
Da es sich hierbei um einen „Rohbericht“ handelt, fehlen die Gegenäußerungen der Institution, also des Burgtheaters bzw. der Holding. Auch wenn der RH aufgrund der vernichteten Belege manche Fragen nicht eindeutig beantworten kann, so dürfte sich Matthias Hartmann mehrfach bestätigt fühlen.
In der ursprünglichen Version wurde eine Steuernachforderung von 5 Millionen Euro angegeben. Diese Zahl ist fehlerhaft und wurde aus dem Artikel entfernt.
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