Kürzlich schrieb das Kulturstaatssekretariat den Posten von Christian Kircher aus, der seit April 2016 die Holding der Bundestheater (Staats- und Volksoper, Burg- mit Akademietheater) leitet. Der Kärntner, Jahrgang 1964, wird sich wieder bewerben – trotz der fatalen Situation infolge der Epidemie. Das Warum erklärt er im Interview.
KURIER:Mitte März wurden auch die Bundestheater geschlossen. Wie hoch sind die bisherigen Verluste?
Christian Kircher: Wir haben bis Saisonende einen Einnahmenentfall von knapp 19 Millionen Euro durch nichtverkaufte Tickets. Hinzu kommt der Entfall von Mieteinnahmen, weil es z. B. im Sommer kein Jazzfest in der Staatsoper gibt. Der Verlust wird aber deutlich geringer ausfallen – aufgrund der Kompensation durch das AMS für die Kurzarbeit. Sie wird zwischen 12 und 14 Millionen ausmachen. Zudem gibt es Kosteneinsparungen etwa bei der Reinigung und beim Publikumsdienst. Wir werden also im bis September laufenden Geschäftsjahr einen Nettoschaden in niedriger Millionenhöhe haben.
Eine konkrete Summe?
Rund zwei Millionen. Sie sind nicht das Problem, denn wir konnten in den letzten Jahren Rücklagen von 19 Millionen Euro aufbauen. Sorgen macht das nächste Geschäftsjahr. Denn es besteht nach wie vor große Unsicherheit, wie viele Karten wir verkaufen können oder dürfen.
Aufgrund der Abstandsregelungen?
Es geht nicht nur um die technischen und rechtlichen Einschränkungen. Früher waren 30 Prozent der Staatsopernbesucher Touristen. Sie fallen nun aus. In der Volksoper haben wir viele Abonnenten, die vom Alter her zur Risikogruppe zählen. Und wir können nicht einschätzen, wie das potenzielle Publikum reagieren wird. Die Regierung ringt um eine Liberalisierung, weil man sieht, dass die Menschen eine unglaubliche Sehnsucht nach einer Normalität haben. Man muss nur durch die Kärntner Straße oder am Donaukanal gehen: Das ist gar nicht zu stoppen. Andererseits: Ich war am Wochenende in der Albertina modern und muss sagen, ich habe mich aufgrund der Menschenmassen unwohl gefühlt. Es war tatsächlich ein Ansturm. Und diese subjektive Angst gibt es wahrscheinlich auch bei unserem Publikum.
Was bedeutet das jetzt für die Bundestheater?
Wir rechnen unterschiedliche Szenarien durch. Wenn der Meterabstand rundum eingehalten werden muss, können wir nur 25 Prozent des möglichen Umsatzes erzielen. Sollte es zu weiteren Lockerungen kommen, sind bis zu 60 oder 70 Prozent denkbar. Aber wenn der Betrieb hochgefahren ist, haben wir 100 Prozent der Kosten. Das nächste Jahr ist daher die wirklich große Herausforderung. Sie müssen bedenken, dass der Eigendeckungsgrad in der Staatsoper durch die Kartenerlöse bei 40 Prozent liegt.
Andererseits werden zum Beispiel im Burgtheater die Produktionskosten geringer sein. Denn es gibt ausfinanzierte, fixfertige Inszenierungen, die aufgrund des Lockdowns erst Premiere haben werden.
Ja, aber die Kosten werden über drei Jahre abgeschrieben. Und in der Staatsoper haben wir eine ganz andere Situation: Bogdan Roščić startet als Direktor – und möchte sich natürlich mit Neuinszenierungen vorstellen.
Braucht es immer große Bühnenbilder? Michael Heltau schlägt in Zeiten der Not „armes Theater“ vor.
Sicher, das ist eine Option. Aber so einfach ist das nicht. Denn es gibt ja längst abgeschlossene Verträge mit Künstlern, die eingehalten werden müssen.
Mit welchem Defizit rechnen Sie daher?
Wir gehen von zehn bis 14 Millionen Euro aus. Eigentlich wollten wir noch zwei Jahre ohne Erhöhung der Basisabgeltung durchkommen. Corona aber wischt alle Reserven mit einem Schlag weg. Denn auch das Sponsoring ist weggebrochen. Ich bin daher fast täglich mit Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer im Austausch.
Und was sagt sie? Deren Vorgängerin Ulrike Lunacek wurde von den Kulturmanagern und Kabarettisten abgeschossen; Sie lobten Mayer nach der Bestellung als „Kulturpolitikerin von Format und bestens vernetzte Kennerin des heimischen Kunst- und Kulturgeschehens“.
Ich habe nie Unmut über Lunacek geäußert! Das Verhalten der Branche ihr gegenüber ist ein eigenes Thema. Andrea Mayer kann nicht scheitern. Sie geht die Arbeit mit großem Engagement an. Ein weiterer Rücktritt wäre zudem aus politischen Gründen ein Ding der Unmöglichkeit. Man wird ihr wohl helfen, bestmöglich agieren zu können. Leicht ist das sicher nicht. Und dass es einen Kampf um die Verteilung des Geldes geben wird, ist klar.
Hat Mayer Ihnen Versprechungen gemacht?
Nein. Es gibt nur das Signal, einen Teil des Schadens zu ersetzen.
Kann die Eigentümerin, also die Republik Österreich, die Bundestheater überhaupt in Konkurs schicken?
Ich bin Zweckpessimist. Aber in diesem Falle sage ich: Die Staatsoper, die Volksoper, das Burgtheater wird es auch in drei oder fünf Jahren geben. Selbst wenn wir nicht wissen, wie lange die Durststrecke dauert und welche Einsparungen noch auf uns zukommen. An einen Konkurs glaube ich nicht. Aber die Bundestheater sind eine ausgegliederte Holding mit mehreren GmbHs. Und die Geschäftsführer haften persönlich. Nur ein Beispiel: Wir müssen bereits jetzt die Sänger verpflichten, die 2023 in der Staatsoper auftreten werden. Wir gehen also Rechtsgeschäfte ein, obwohl es eine große Finanzunsicherheit gibt.
Wie sieht das nun für die letzten vier Monate aus? Man berief sich auf höhere Gewalt – und weigerte sich, den engagierten Künstlern deren vereinbarte Gage zu zahlen. Die Künstler protestierten, es soll nun eine Einigung geben.
Es gibt - noch - keine Einigung, sondern ein, wie ich meine, faires Angebot unsererseits. Betroffen sind im Falle der Staats- und Volksoper 150 Gäste, die mit uns einen Einzelvertrag haben. Das Burgtheater engagiert immer sehr kurzfristig, daher gab es so gut wie keine abgeschlossenen Verträge. Ja, anfangs herrschte die Rechtsmeinung vor, dass wir aufgrund der höheren Gewalt keine Gage ausbezahlen dürften. Denn dies wäre Untreue. Aufgrund der Corona-Maßnahmen kam es aber zu einer Gesetzesänderung. Daher gibt es nun einen rechtlichen Spielraum. Etliche Solisten, vertreten vom Anwalt Streit, erwogen daher eine Klage. Umgekehrt möchten wir mit ihnen auch in Zukunft zusammenarbeiten. Wir haben daher um eine Lösung gerungen. Sie sieht eine soziale Staffelung vor.
Junge Solisten verlieren weniger als arrivierte?
Genau. Wir orientieren uns an der Ersatzzahlung des AMS, das maximal 80 Prozent der Höchstbeitragsgrundlage bezahlt, also maximal 4.296 von 5.370 Euro. Wir zahlen also den Solisten maximal 4.296 Euro pro Monat und eine geringe Abendgage. Ich hoffe, dass unser Angebot angenommen wird.
Es wird also ein bitteres Jahr – und trotzdem wollen Sie weitermachen. Warum?
Ich gebe nicht auf, nur weil es schwierig ist. Und ich habe, abseits von Corona, viele Schritte gesetzt oder begonnen. Es galt, die Bundestheater nach der Burgtheater-Krise im Rechnungswesen und Controlling neu aufzustellen. Die Prozesse wurden deutlich verbessert. Nun soll ein neues Ticketing-System folgen. Und jetzt realisieren wir in der Staatsoper ein Besucherzentrum. Das halte ich für wichtig.
Anstelle des Café Oper. Der Pächter protestiert …
Es ist allerdings kein „traditionelles Wiener Kaffeehaus“, wie es immer wieder heißt, es ist gerade einmal 15 Jahre alt! Und der Vertrag wurde nicht gekündigt, er läuft einfach aus. Ich glaube, dass ich im Interesse der Öffentlichkeit handle. Das Kartenbüro befindet sich derzeit sehr versteckt in der Operngasse. Viele Besucher und Touristen finden dort nicht hin. Das führt dazu, dass es rund um die Oper einen blühenden Schwarzhandel gibt. Den möchte ich unterbinden. Hinzu kommt, dass die Einnahmen aus dem Pachtvertrag geringer sind als die Mietkosten für das Kartenbüro in der Operngasse. Es ist also auch ökonomisch sinnvoll, die Tickets dort zu verkaufen, wo die höchste Frequenz herrscht. Und in einer zweiten Phase soll es auch ein neues gastronomisches Angebot in der Staatsoper geben. Im nächsten Interview verrate ich Ihnen mehr darüber!
Bundestheater
Die Saison 2018/’19 war eine der erfolgreichsten: Der Kartenerlös stieg um sechs Prozent auf 57,4 Millionen Euro (darunter die Staatsoper mit 38,1 Mio.), die Zahl der Besucher um drei Prozent auf 628.002. Die Sitzplatzauslastung betrug in der Staatsoper 98,4 Prozent, im Burgtheater 82,2 und in der Volksoper 80,4 Prozent. Die Basisabgeltung beträgt 162,9 Millionen Euro
Corona-Hilfe
Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer gab am 23. Juni bekannt, dass die Bundestheater in einer ersten Tranche für die Liquiditätssicherung fünf Millionen Euro bekommen; zehn Millionen gehen an die Bundesmuseen. Diese Mittel sollen dafür sorgen, dass die Häuser ihrem Kulturauftrag in angemessener Weise nachkommen können. Eine zweite Tranche (zu Jahresende) sei in ihrer endgültigen Höhe noch offen
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