Eine der Empörten ist die Gattin des Schriftstellers William Ainsworth. Ursprünglich das Dienstmädchen, Jahrzehnte jünger als er, weder des Lesens noch des Schreibens mächtig und Mutter seiner jüngsten Tochter (die anderen sind rund 30 Jahre älter). Natürlich ist sie vollbusig und bauernschlau, ganz anders als Eliza Touchet, die ewig schlanke, in jeder Hinsicht zugeknöpfte Protagonistin des Romans.
Die verarmte Schottin ist die Cousine des Schriftstellers Ainsworth, außerdem seine Haushälterin, Muse, Lektorin und teils erfunden. Ainsworth selbst nicht: Der Schriftsteller (1805–1882) verfasste mehr oder weniger erfolgreiche historische Romane, war Verleger und als solcher Bekannter illustrer Herren wie Charles Dickens und William Thackeray, ebenfalls bedeutende Schriftsteller des viktorianischen Zeitalters.
Aber um die geht’s im neuen Roman von Zadie Smith nicht vorrangig. Worum geht’s dann in „Betrug“?
Um Kolonialismus.
Bis man das weiß, muss man durch den halben Roman. Macht man gerne, er ist flüssig und spannend erzählt. Bildende Unterhaltungsliteratur, bei der man nebenbei erfährt, dass der ehrwürdige Schriftsteller nicht nur von der jungen Gattin, sondern auch von der nicht mehr ganz jungen Haushälterin feuchte Träume hat. Früher ließ er sich hin und wieder von ihr auspeitschen. Aber erst, nach dem sie eine leidenschaftliche Beziehung zu seiner blassen ersten Gattin beendet hatte, die wenig später jung verstarb. Folgen Sie noch?
Zadie Smith will viel. 400 Jahre Kolonial-Brutalität anhand des jamaikanischen Sklaven Andrew Bogle aufarbeiten, ebenso die haarsträubenden Gegensätze von Arm und Reich im London des 19. Jahrhunderts. Nebenbei englische Literaturgeschichte samt Gossip. (Dickens kommt nicht gut weg, er lacht am meisten über seine eigenen Scherze.) Und dann ist da die Geschichte einer bisexuellen, unangepassten Frau, die das Richtige tun will. Die disziplinierte Eliza muss längst nicht mehr aus finanziellen Gründen beim Cousin Haushälterin spielen. Das Erbe des verstorben Gatten erlaubte ein anderes Leben, sie schreckt davor zurück – womöglich, weil dieser als Zuckerfabrikant für Kolonialverbrechen zuständig war? Es wird auch hier eine Überraschung geben.
Konsumierbar bleibt diese Faktendichte, weil sie in Häppchen serviert wird. Kurze Kapitel, leicht und überraschend erzählt – nicht zuletzt von allerhand, das sich in der finsteren viktorianischen Zeit unter den Röcken abspielte.