„Wackelkontakt“ beginnt mit einem solchen. Ein Mann namens Franz Escher wartet auf den Elektriker, der den Wackelkontakt in der Küchensteckdose reparieren soll. Soeben ist Escher mit seinem jüngsten Puzzle fertig geworden. Er beschäftigt sich mit mehrere tausend Teile umfassenden Kunst-Puzzles, seit er als junger Mann ein Puzzle seines Namensvetters, des niederländischen Künstlers M.C. Escher, geschenkt bekommen hat. M.C. Escher war bekannt für perspektivische Unmöglichkeiten und optische Täuschungen. Berühmt ist etwa die Grafik „Treppauf Treppab“, die eine viereckig konstruierte endlose Treppe auf einer offenen Dachetage eines Hauses zeigt.
Ein unmögliches Bild
Nach einem ähnlichen Prinzip hat Wolf Haas seinen Roman konzipiert. Parallel begonnene Handlungsstränge führen auf verblüffende Weise zueinander. Das hat man spätestens ab der Hälfte des Buches kapiert, spannend aber bleibt die Frage, wie Haas dieses unmögliche Bild fertigstellt. Nur so viel: Auch am Ende gibt es eine spektakuläre Überraschung, insbesondere für Kunstaffine. Escher also, der auf den Elektriker wartet, liest, weil er mit seinem Puzzle fertig ist, ein Buch über die ’Ndrangheta. Das Wissen über einschlägige Organisationen ist, neben Puzzles, die zweite Leidenschaft des hauptberuflichen Trauerredners.
Es geht darin um einen jungen Häftling, einen Mafia-Kronzeugen, der aus einer italienischen Hochsicherheitszelle entlassen werden soll. Dieser Häftling ist nun ebenfalls in Besitz eines Buches, das ihm ein Mitgefangener geschenkt hat. Er liest, anstatt zu schlafen, denn er hat so viele Gangster verraten, dass er lieber kein Auge zu tun möchte. Das Buch handelt „von einem Typen, der Escher hieß wie irgendein anderer Typ, der ebenfalls Escher hieß. Escher wartete schon den halben Tag auf den Elektriker.“
Es liest also einer vom Leben des anderen. Stellenweise wirkt der Grund, warum der eine wieder zum Buch greift, um mit der Geschichte des anderen fortzufahren, etwas gekünstelt, aber die Sache funktioniert. „Trick 17“, wie der junge Häftling, der, inzwischen mit einer neuen Identität ausgestattet, in Deutschland lebt, gerne sagt.
Die Sorge um die Sicherheit der neuen Identität wird den nunmehrigen Familienvater weiter nach Wien führen – wo aus „Trick 17“ der „Einserschmäh“ wird. Dass in Wien die Leute unfreundlich und korrupt sind, ist ein etwas überstrapaziertes Klischee. Eigentlich eine Unaufmerksamkeit, die bei einem i-Tüpferl-Reiter wie Haas, der sich gerne mit sprachlichen Justament-Standpunkten aufhält, besonders auffällt.
Den Einserschmäh, wie und warum diese beiden Lebensgeschichten bald interagieren, hat man schnell durchschaut, trotzdem gelingt es Haas, seine Leser bei der Stange zu halten. Nicht zuletzt anhand schräger Details zu den Hobbys des auf den Elektriker wartenden Hauptdarstellers, der fast daran verzweifelt, dass bei seinem mehrere tausend Teile-Puzzle „Die Erschaffung Adams“ ein Stück fehlt – ausgerechnet der Teil, in dem die Finger einander treffen!
Ähnlich nerdig wirken auch manche sprachliche Justament-Standpunkte des Protagonisten (oder ist es doch Autor Haas selbst?), der seiner Freundin Nellie Wieselburger erklärt, die Redewendung „O mein Gott“ gäbe es im Deutschen so eigentlich nicht, der Ausdruck sei dem übermäßigen Konsum von Netflix-Serien geschuldet, wo permanent jemand „Oh my god!“ rufe.
Nellie wiederum prangert entrüstet an, Escher, der sich auch als Autor versucht hat, habe in einem mehr oder weniger autobiografischen Roman ihr Dissertationsthema „Die Enthauptung des Johannes“ gedankenlos durch „Die Madonna mit dem langen Hals“ ersetzt und an anderer Stelle die Worte „Hals“ und „umdrehen“ bedrohlich aneinandergereiht. „Du kannst Hals und umdrehen in einem Satz sagen und dir nichts dabei denken“ – „Irgendwie finde ich es richtig gut, dass du so ein unbewusster Typ bist.“
Wolf Haas ist natürlich alles andere als ein unbewusster Typ. Seine schlauen Sprach-Überlegungen, mögen sie da und dort auch Sperenzchen sein, machen diese Geschichte über die konstruierte Handlung hinaus interessant. Sprache ist bei ihm wie ein Puzzle. Man kann sie in Einzelteile zerlegen und immer wieder neu zusammensetzen. Manchmal gelingt das auch mit einem Leben.