„Ich war angefressen,“ bekennt der überrumpelte Sohn.
Wolf Haas schreibt in seinem neuen Roman „Eigentum“ vom Leben und Sterben seiner Mutter. Nebenbei findet er den Titel für seine Poetikvorlesung: „Kann man vom Leben schreiben?“ Man kann natürlich, vor allem Haas kann.
Auf knapp 160 Seiten gelingt ihm nämlich das Wunder, den eigenen Sound zu bewahren und trotzdem zu trauern. Lachen und weinen gleichzeitig. Da stirbt die Mutter – und es ist schon wieder was passiert. Die 95-Jährige, die nur mehr drei Tage zu leben hat, lässt ihren Sohn mit dem Handy da anrufen, wo ihre lang verstorbenen Eltern jetzt sind – das Wort Himmel fällt in diesem Zusammenhang nicht – und ihnen ausrichten, es ginge ihr gut. Der Sohn ist perplex. „Es musste ein Irrtum vorliegen! Wir waren die, denen es schlecht ging!“
So, wie die Mutter als Zehnjährige bei fremden Bauern arbeiten und die Stutzen der Bauernsöhne ausbessern musste, muss der Sohn nun ihr Leben „nachstricken“. Bis zum Begräbnis will er fertig sein. Den Dichter Ernst Jandl stets im Nacken („lass weg, Haas“, mahnt der ihn unnötigerweise regelmäßig zur sprachlichen Knappheit), zeichnet Haas den Weg seiner „verdämmernden“ Mutter nach, in dem er eigene Erinnerungen mit von ihr gesprochenen Lamenti verwebt.
Der Tonfall der sterbenden Mutter und wohl auch dessen, was sie ihren Söhnen während ihres langen Lebens erzählte, war stets der eines Sermons. Den ganzen Tag nur waschen putzen bügeln. Nichts als Arbeit Arbeit Arbeit. Dabei immer sparen sparen sparen. „Meine Mutter war zeitlebens eine glühende Anhängerin der rhetorischen Trias gewesen.“
Wer da zarte Ironie herausliest, dem bleibt auch nicht verborgen, dass die Mutter ihren Anteil am schreiberischen Talent des Sohnes hatte – ihre Tiraden sowie die Jammerei des früh verstorbenen Vaters („bist bes auf mi, Mutti?“) hören sich bei Haas wie Jandl-Gedichte an. Indem er ihr Leben mit ihren Worten, ihrem Ton wiedergibt, hat er eigentlich schon die halbe Poetikvorlesung, über die er sich Gedanken macht, in der Tasche.
Dämonen
Gewiss hatte diese Mutter ihre Dämonen. 1923 als älteste Tochter einer Zehn-Kinderfamilie geboren, hatte sie aber auch allen Grund zur Klage. Zwar gab’s für sie von Kindheit an nur Arbeit Arbeit Arbeit, zum ersehnten Eigenheim schaffte sie es aber nie. Sparte sparte sparte, dann kam die Inflation und fraß das Geld auf. Nie durfte sie sich in Sicherheit fühlen, noch als 90-Jährige wurde sie von der Hauseigentümerin, der Raika, aus ihrer Wohnung hinaus komplimentiert.
Weshalb der Sohn auf eine Erdbestattung besteht – statt einer „platzsparenden“ Feuerbestattung. „Unsere Mutter, die ihr Leben lang auf den ersten Quadratmeter hingespart hatte, sollte ihr schlussendlich auf 1,7 Quadratmeter angewachsenes Grundstück voll ausnützen.“ Die 1,7 m² in bester Friedhofslage stehen ihr zu. Beim Begräbnis geht dem Sohn dann das Wort Housewarmingparty durch den Kopf.