In diesen gebeutelten Tagen hätte es einen, der so liebevoll auf die Menschheit blickt wie Sempé, dringend gebraucht. Doch Jean-Jacques Sempé hat die Welt verlassen, vor bald einem Jahr, am 17. August 2022.
Nun sind seine Skizzenbücher erschienen. Sie geben Einblick in seine Arbeit und lassen erahnen, wie er diesen unnachahmlichen Schwebezustand seiner Figuren erreichte. Sempés Feder war zart, aber beharrlich. Hinter den oft sparsam wirkenden Zeichnungen steckte viel Arbeit. (Und sparsam wirkten in Wahrheit auch bloß die Protagonisten seiner Zeichnungen, das Rundherum war, wenn auch manchmal nur angedeutet, enorm detailliert, wie man etwa an Sempés mehr als hundert Titelblättern für den New Yorker sehen kann, die er ab 1978 zeichnete und die ebenfalls gesammelt als Buch erhältlich sind. Wie zauberhaft ist etwa die Zeichnung des lächelnden kleinen Mannes in Anzug und Krawatte – er wirkt wie der Prototyp eines Buchhalters – der aus dem Fenster in die tiefen Straßenfluchten der Stadt New York blickt, eine Kaffeetasse in der Hand, und freudig ruft: „Ready or not, here I come!“)
Zurück zur aktuellen Publikation. Zeichenhefte aus seiner Jugend, Studien und Ideen, etwa für Kurzgeschichten, sind hier enthalten. Hintergründig, subtil, melancholisch. Notizen, wie hingeworfen wirkende Gedanken: „Er schreibt Bücher vom Typ Nouveau Roman, aber im wahren Leben ist er wirklich ein lieber Junge.“
„Der Mann, der ich bin, blickt voller Melancholie auf den Mann, der ich sein sollte.“ Darunter: die Telefonnummer von Jacques Tati.
Sempé wurde bei uns vor allem durch seine Zusammenarbeit mit dem „Asterix“-Autor René Goscinny bekannt. Weniger bekannt ist, dass Sempé mit der Figur des „Kleinen Nick“ („Petit Nicolas“) Kindheitstraumata aufarbeitete: Gewalt in der Familie. Beim „Petit Nicolas“, bekannte er in einem späten Interview, sollte alles immer gut ausgehen.
Sempé arbeitete auch mit anderen Schriftstellern zusammen, etwa mit dem deutschen Autor Patrick Süßkind, der einige Werke Sempés ins Deutsche übersetzte. Mit dem französischen Literaturnobelpreisträger Patrick Modiano schuf Sempé die bezaubernde Figur „Catherine, die kleine Tänzerin“, die Modiano auch im Vorwort des vorliegenden Skizzenbuchs erwähnt. Die Lebendigkeit und die Musikalität von Sempés Zeichnungen erinnerten an Tanz und Ballett, „wirken, als entzögen sie sich den Gesetzen der Schwerkraft“.
Mit 19 Jahren war Sempé einst in Paris aus dem Zug aus Bordeaux gestiegen, im Gepäck, schreibt Modiano, den Dichter Verlaine zitierend, „nichts als seine stillen Augen.“