Robert Palfrader: "Soll doch ein jeder glauben, was er will!"
Unter Joseph II. wurden sie eingedeutscht. Familiennamen wie jene der Peraforadas, der Vorfahren des Schauspielers und Kabarettisten Robert Palfrader. Die Geschichte der Familie seines Vaters aus dem ladinischen Teil Südtirols hat er jetzt aufgeschrieben. „Ein paar Leben später“ erzählt, ausgehend vom späten 19. Jahrhundert, von vergrabenen Schätzen, schwer erziehbaren Hunden, ebensolchen Männern und Fehlentscheidungen, ohne die es den Neo-Autor Robert Palfrader wohl nicht gäbe.
KURIER: Gratuliere. Sie haben einen Familienroman über mehrere Generationen auf 160 Seiten untergebracht. Andere schreiben 300 Seiten darüber, dass sie sich rasiert haben.
Robert Palfrader: Ich wollte so kompakt und unprätentiös wie möglich erzählen. Die Personen, die hier vorkommen, sind natürlich meine Vorfahren. Aber dies ist kein Tatsachenroman. Das Leben, das ich ihnen auf den Leib geschrieben habe, ist meiner Fantasie entsprungen.
Dann stimmt also die schöne Episode mit den Hundezüchtern gar nicht? Es gibt Geschichten, die stimmen. Welche, überlasse ich der Fantasie der Leserinnen und Leser. Meist ist es so: Wenn einem Passagen so absurd vorkommen, dass sie unmöglich stimmen können, dann ist die Wahrscheinlichkeit relativ hoch, dass sie stimmen.
Das echte Leben ist ja oft absurder als alles, was man sich ausdenken kann.
Es gibt Stellen, in denen ich tatsächlich reduzieren musste, weil die Wahrheit so verrückt ist, dass die Leser geglaubt hätten, ich spinne. Auch, dass am Anfang ein allwissender Erzähler in der Ich-Form berichtet, ist völlig unglaubwürdig. Woher sollte ich denn das alles über meine Familie wissen? Was meine Vorfahren gedacht oder gefühlt haben?
Robert Palfrader beginnt die Geschichte der Familie seines Vaters aus dem ladinischen Teil Südtirols mit seiner Urgroßmutter. Angela Craffonara, im verregneten Sommer 1882 in St. Vigil südlich von Bruneck geboren. Außerordentlich hübsch und sehr katholisch soll sie gewesen sein. Was dazu führte, dass sie, zumindest vorübergehend, einen reichen Mann fand. Wie dieser Albert zu seinem Vermögen kam, ist abenteuerlich. Wie das meiste, was auch danach im Leben von Angela, Albert und ihren Nachfahren passiert. Aberglaube, boshafte Verwandte und finsteres Katholentum begleiten auch kommende Generationen. Ausschließlich trist ist diese Geschichte, die von Südtirol über Argentinien nach Österreich führt, deshalb aber mitnichten. Allerhand Exzentriker, schlagkräftige Pfarrer und Frauen, die sich nicht unterkriegen lassen, liefern gute Geschichten.
Aber dass Ihre Existenz „das Ergebnis einer Fehlentscheidung“ ist, nämlich der Entscheidung ihres Großvaters, in Österreichs zu bleiben – das ist unbestreitbar.
Ja, die Eckpunkte stimmen.
Wie lange hat die Idee, Ihre Familiengeschichte aufzuschreiben, in Ihnen gegärt?
Sehr lange. Als ich begonnen habe, für das Fernsehen zu arbeiten, war ich bei einer Castingfirma in Köln beschäftigt. Dort gab es eine Drehbuchautorin, mit der ich mich öfter unterhalten habe, ihr meine Geschichte erzählte, wo ich herkomme, wo meine Vorfahren daheim waren. Und sie hat damals schon gesagt: Das musst du aufschreiben. Das ist jetzt 30 Jahre her. Ich hab also lange darüber nachgedacht. Vor 15 Jahren, als der Kaiser gerade sehr erfolgreich war, gab es mehrere Verlage, die ein Buch von mir wollten. Ich hab mir das damals nicht zugetraut. Mir war allerdings klar, dass ich, wenn ich jemals ein Buch schreiben würde, über meine Familie berichten würde.
Trotzdem sagen Sie, vieles darin ist erfunden.
Neunzig Prozent.
Aber die Personen sind echt?
Ja, manche von ihnen hab’ ich noch kennenlernen dürfen. Meine Großonkel, meine Urgroßmutter. Sie ist gestorben, als ich 17 war. Sie wurde 101. Auch meine Großmutter hat mir viel aus ihrem Leben berichtet. Kurz vor ihrem Tod hat sie mir erzählt, dass sie und mein Großvater in Österreich unter den Nazis nur mehr im Schlafzimmer Ladinisch geredet haben.
Mussten Sie Rücksicht auf lebende Personen nehmen?
Nein, denn es steht ja Roman drauf. Dass ein paar Geschichten stimmen, kratzt die Leute, über die ich erzähle, nicht mehr, weil sie tot sind.
Ihre Quellen waren also Erzählungen und Ihre Fantasie. Gab’s weitere?
Ja, einen Innsbrucker Historiker, Karl Palfrader, ein entfernter Verwandter, der sich die Mühe gemacht hat, den Stammbaum der Palfraders aufzuzeichnen. Palfraders gibt es in Südtirol wie Sand am Meer, aber wir stammen alle von einem einzigen Hof.
Haben Sie vor Ort recherchiert?
Ja, ich bin immer wieder dort und wusste auch viel. Als ich begonnen habe, die Geschichte zu bauen, hab ich in Alta Badia einen Mann getroffen, sicher jenseits der 95, der behauptet hat, meinen Urgroßvater gekannt zu haben. Er hat mir Dinge erzählt, die ich nicht gewusst habe. Das war aufschlussreich. Einiges davon ist ins Buch eingeflossen.
Wie oft sind Sie in Südtirol?
Sicher drei, viermal im Jahr.
Und man kennt Sie dort?
Natürlich, ich hab ja auch viel Verwandtschaft dort. 48 Cousins und Cousinen.
Wie war der Schreibprozess? Mussten Sie viel verknappen?
Ja, ich hab viel weggestrichen.
Warum? Der sehr erfolgreiche norwegische Schriftsteller Karl Ove Knausgård schreibt Bücher über sein Leben, die selten weniger als 1.000 Seiten haben.
Ich bin kein Weltliterat. Ich wollte eine Geschichte erzählen. So interessant und so unaufgeregt wie möglich.
War’s das jetzt oder kommt da noch was?
Zu diesem Thema war’s das. Das ist auserzählt. Ich hab Ideen für andere Geschichten, die mit mir und meiner Familie nichts zu tun haben. Aber es wird lange dauern, bis ich mich wieder hinsetze. Denn die Arbeit an diesem Buch war intensiver, als ich es erwartet habe. Ich wollte mir nicht den Vorwurf machen müssen, dass ich es hätte besser machen können.
Ist Ihnen beim Schreiben Ihre Arbeit als Kabarettist in die Quere gekommen? Der Drang, Pointen setzen zu müssen?
Ja, es gibt ein paar Formulierungen, zu denen musste ich einen strengen inneren Diskurs mit mir führen. Ich wollte dieses Buch nicht verblödeln. Das wäre den Figuren gegenüber unfair gewesen. Ein paar Mal konnte ich mich aber nicht zurückhalten. Etwa, als ich über die Eltern meiner Großmutter schrieb, sie waren „verhaftet in katholischen Konventionen, mit frisch gewaschenen Gehirnen“.
Ein Lieblingsthema von Ihnen.
Ja, ein Thema, das ich immer wieder anspreche. Siehe Nahost-Konflikt. Die meisten Leute dort wollen ihre Ruhe haben, nur die Religion ist der Meinung, das muss alles im Chaos enden.
Beziehungsweise die politische Instrumentalisierung der Religion.
Natürlich. Aber bei allen abrahamitischen Religionen ist die tiefe Sehnsucht nach Armageddon da – als Erlösung vom Leid der Existenz. Vollkommen vertrottelt.
Was sind das jetzt eigentlich für Zeiten für politisches Kabarett? Geht einem irgendwann einmal der Schmäh aus?
Nein, wir sind ja jetzt wieder mit den Staatskünstlern auf Tournee. Bewirken kann man natürlich nichts als Kabarettist. Aber man hat schon gewonnen, wenn man den einen oder anderen zum Nachdenken bringt.
Die Geschichte hat gezeigt: Je härter die politischen Zeiten, desto erfolgreicher das Kabarett.
Das ist sicher eine Form von Eskapismus. Dinge, über die man lachen kann, vor denen braucht man keine Angst mehr zu haben.
Sind die Leute, die Sie als „Kaiser“ kennen, manchmal enttäuscht, wenn sie Sie als Kabarettist sehen? Mit einer anderen, expliziteren politischen Meinung als im Fernsehen?
Nein. Wer bin denn ich, dass ich jemandem eine Meinung oktroyiere? Soll doch ein jeder glauben, was er will! Ich bin keine intellektuelle Speerspitze, ich bin Unterhaltungshandwerker. Ich bin ein Trottel.
Und Sie schreiben auch keine Weltliteratur, wie Sie gesagt haben.
Nein, aber ich mach mir meine Gedanken. Ich habe Freunde, die großartige Literatur herstellen. Ich bin ein Verehrer ihrer Kunst, und ich weiß, wo meine Grenzen liegen. Ich glaube, mir ist ein interessantes, gut erzähltes Buch gelungen. Ich glaube nicht, dass man es in 40, 50 Jahren noch einmal in die Hand nimmt. Aber ich bin trotzdem echt stolz darauf.
Kabarettist, Schauspieler, jetzt auch Autor. Ist auch kulinarisch wieder etwas von Ihnen zu erwarten? Sie haben die Gastronomie ja im Blut.
... gehabt. Ich habe sie zum Glück rausgewaschen. Ich habe keine derartigen Ambitionen mehr.
Was kommt als Nächstes?
Ende März stehe ich in der Volksoper auf der Bühne. Vielleicht ist es die Lust am Scheitern, die mich anzieht.