Percival Everett: Mit Huck aufm Mississippi
Ernest Hemingway schrieb: „Die ganze moderne amerikanische Literatur stammt von einem Buch von Mark Twain ab, das Huckleberry Finn heißt. Davor gab es nichts. Und seither hat es nichts so Gutes gegeben.“
Das war 1935. Percival Everett, Bestsellerautor und Literaturprofessor aus Georgia, formuliert es nun etwas weniger überschwänglich. Mark Twains Humor und seine Menschlichkeit hätten ihn beeinflusst, lange, bevor er Schriftsteller wurde. Und er würde gerne einmal Mittagessen mit ihm gehen. In Ermangelung der Möglichkeiten (Twain starb 1910) hat Everett dem vielleicht meist zitierten amerikanischen Schriftsteller („Die Nachricht von meinem Tod ist stark übertrieben“) nun eine literarische Reverenz erwiesen.
In seinem jüngsten Roman „James“ erzählt Everett die Geschichte von Huckleberry Finn und dem entlaufenen Sklaven Jim neu. Diesmal aus Jims Perspektive. Oder besser: Aus James’ Perspektive. Denn Everetts Protagonist ist kein leicht minderbemittelter, aber bauernschlauer Sklave, der von Huck aus den Ketten befreit wird. Er ist ein Mann, der sein Schicksal in die Hand nimmt. Er ist James. Und so weigert er sich, die Weißen als „Unterdrücker“ zu bezeichnen, denn das würde voraussetzen, dass er ein „Opfer“ ist. James wählt stattdessen das Wort „Feind“.
Südstaatenenglisch
Seinen Feinden gegenüber weiß er auch, wie er sich zu verhalten hat: Ihnen immer das Gefühl zu geben, dass sie überlegen sind, indem er den einfältigen, gottesfürchtigen Nigger spielt. Dessen Sprache, ein sehr rudimentäres Südstaatenenglisch, das in Grammatik und Aussprache stark vom Standardenglisch abweicht, unterstreichen soll, wie weit er intellektuell unter dem „Master“, bei Everett „Massa“, steht. Sprache steht sowohl bei Twain als auch bei Everett im Mittelpunkt. Bei Letzterem allerdings wesentlich drastischer. Manche Sätze muss man zweimal lesen. Und Everett hat sich für diese Abenteuergeschichte, die im Wesentlichen jener Twains gleicht, einen Dreh einfallen lassen. James ist in Wahrheit ein hochgebildeter Mann, der sich nicht nur perfekt in Wort und Schrift ausdrückt, sondern nächtens mit dem Aufklärer Voltaire Zwiegespräche führt und philosophische Eingebungen aufschreibt (mit einem Bleistiftstummel, für dessen Diebstahl ein anderer Sklave gelyncht wird). Hier der schlichte Sklave Jim, da der belesene James, der sich selbst befreit: Diese Gegensätzlichkeit ist das Skelett dieses ob der Umstände natürlich grausamen, aber auch komischen Romans. Im Laufe der Abenteuer, die die Protagonisten entlang des Mississippi erleben – sie treffen Gauner, Blackface-Sänger und erleben den Beginn des Bürgerkriegs – nutzt sich die Jim-James-Dichotomie allerdings etwas ab. Dass sie das Zeug zur Verfilmung hat, ist jedoch offensichtlich. Soeben wurde Everetts 20 Jahre alter Roman „Ausradiert“ unter dem Titel „American Fiction“ verfilmt und mit einem Oscar ausgezeichnet.