„Die große Versuchung“ heißt der neue Roman des peruanischen Literaturnobelpreisträgers Mario Vargas Llosa und er soll, so schreibt der 88-Jährige im Nachwort, sein Letzter sein. Ihm folgen werde nur noch ein Essay über Sartre, sein „Lehrmeister in jungen Jahren. Es wird das Letzte sein, was ich schreibe.“
In mehr als sechzig Jahren Schreiben hat der Schriftsteller und Politiker (er engagierte sich für die Liberalen) viele Genres ausprobiert, von Satire bis Krimi. Auch die Schauplätze wechselten oft, wenngleich die Mehrzahl seiner Romane in Peru spielt.
So auch diese Geschichte über den mutmaßlich gescheiterten Kulturwissenschafter Toño Azpilcueta, der sein Leben der peruanischen Volksmusik, genauer gesagt dem peruanischen Walzer, Untergattung kreolischer Walzer, gewidmet hat. Der einschlägige Lehrstuhl an der Universität Lima, auf den er als Student gespitzt hatte, wurde geschlossen, fortan schlägt er sich als mäßig erfolgreicher Musikkritiker durch, das Geld für Haus und Kinder bringt jedoch seine Frau heim.
Die von seinem Nachbarn und Freund gesponserte Spurensuche nach dem geheimnisvollen jungen Musiker wird für Toño zur Mission, die ihn in der Mitte des Lebens aus seiner Lethargie reißt. Er macht sich auf die Reise durch Peru, recherchiert, schreibt und schreibt wieder um. Sein Buchprojekt ufert aus, er kommt vom Hundertsten ins Tausendste, von den Inkas zu Cervantes. Erstaunlicherweise erscheint das Buch und hat Erfolg. Seine These, dass die Volksmusik (deren Wurzeln möglicherweise in Österreich liegen) Rassismus bekämpfen und alle vereinen kann, begeistert Lateinamerika. Toño Azpilcuetas persönliche Geister quälen ihn indes weiter und er wird, unfreiwillig, einiges über sich selbst lernen.
Es wird gefrühstückt
„Die große Versuchung“ ist, ebenso wie das Projekt seines Protagonisten, ein Buch, in dem man viel über peruanische Musik, im weiteren Verlauf über das Land generell lernt. Insbesondere in den essayartigen Kapiteln, die von Toño zu stammen scheinen und sich in ihrem etwas ungelenken Habitus von den die Handlung vorantreibenden Kapiteln unterscheiden. Ein schlauer Zug, denn so gelingt Vargas Lllosa ein spannender, mit Liebe und dezent angedeuteter Erotik gespickter Entwicklungsroman und ein kulturhistorischer Essay, der in klugen Fragen zum lateinamerikanischen Kolonialismus gipfelt, zugleich. Außerdem streut er mühelos allerhand landestypische Details ein, die zumindest nicht einschlägig versierte Leser neugierig machen. So wird hier viel gefrühstückt, allen voran Chancay mit Käse aus der Sierra Madre. (Chancay ist nicht nur ein Ort, sondern auch ein Gebäck.)
Nicht zum Frühstück, aber zu allen anderen Gelegenheiten, drängt sich beim Lesen Pisco, das peruanische Nationalgetränk, auf. Und natürlich muss dazu Musik gehört werden. Etwa Carlos Gardel, Óscar Avilés und Chabuca Granda. Alle echt. Bloß den geheimnisvollen jungen Gitarristen Lalo Molfino, den hat Mario Vargas Llosa leider erfunden.