Luca Kieser: "Ich weiß, wie es ist, vor dem Jugendrichter zu stehen"
Der vierzehnjährige Vincent wird erst von Ali und Tarek verprügelt, dann freundet er sich mit ihnen an. Er will dazugehören und aussehen wie sie, weil sie sich über ihn lustig machen: Er sei „so weiß, man sieht ihn nicht in der Sonne“. Vincent greift zur Bräunungscreme, was erwartungsgemäß daneben geht.
Trotzdem nennt er Ali und Tarek bald „Brüder“, raucht mit ihnen Shisha, hängt gemeinsam mit ihnen vor dem Spielautomaten ab. Abends allerdings kehrt er wieder in die gepflegte Einfamilienhauswelt seiner Eltern zurück.
„Pink Elephant“ erzählt die Geschichte dreier latent delinquenter Jugendlicher, von denen einer das Glück hat, aus einem gutbürgerlichen deutschen Ärztehaushalt mit SUV in der Einfahrt zu kommen. Vincent wird, was immer er auch tut, bequem landen. Wohingegen Tarek, dessen Familie aus Syrien stammt, und Ali, dessen Mutter Palästinenserin ist, nicht erst vor dem Jugendrichter mit Vorschussmisstrauen zu kämpfen haben.
Auf den ersten Blick ist „Pink Elephant“ ein Coming-of-Age-Roman aus einer deutschen Vorstadt. Drei Teenager und ein paar dumme Ideen. Eine klassische Freundschaftsgeschichte, in die sich Fragen um Rassismus, Identität und den „weißen Blick“ drängen. Denn die Konsequenzen adoleszenter Dummheit sind nicht für alle gleich.
Luca Kieser, geboren 1992 in Tübingen, hat seinen zweiten Roman einem verstorbenen Jugendfreund gewidmet. Alain starb, als er ungefähr so alt war, wie es die Jugendlichen in „Pink Elephant“ sind. Kieser wollte ihm ein Denkmal setzen.
Zehn Jahre hat Kieser, der heute in Wien lebt, an dieser zum Teil autobiografischen Geschichte gearbeitet. Man merkt ihm an, dass er ihr und ihren Protagonisten gegenüber große Verantwortung empfindet. Nicht zuletzt deshalb hat er dafür sogenannte Sensitivity Reader engagiert, um den den Text aus Betroffenensicht auf Stereotype und Diskriminierung zu prüfen.
„Ich weiß, wie es ist, zu dealen und vor dem Jugendrichter zu stehen. Aber ich weiß nicht, wie es ist, dunkle Hautfarbe zu haben und mit der Angst vor Abschiebung zu leben. Ich glaube, dass es sinnvoll ist, dass man, wenn man sich mit einer Sache nicht gut auskennt, bei jenen nachfragt, die mehr darüber wissen. Ich erfahre keine Diskriminierung und bin mir vielleicht gar nicht bewusst, dass ich selbst manchmal mit einem weißen Blick urteile. Darum geht es ja auch in meinem Buch. Dass man sich eigener Privilegien oft nicht bewusst ist und kaum ein Gefühl dafür hat, wie ungleich sie verteilt sind.“
Kieser hat lange überlegt, ob er diese Geschichte überhaupt schreiben darf und soll. Nicht zuletzt deshalb, weil der Roman rassistische Zuschreibungen reproduziert. „Es ist mir wichtig, dass ich weiß, wo ich verletze und provoziere. Mit dem weißen Blick geht oft eine Fehleinschätzung von sich selbst einher.“
Sensitivity Reader (meist mit dem Zusatz *innen) sowie Triggerwarnungen, die vor belastenden Inhalten schützen sollen, sind heute gang und gäbe im englischsprachigen Verlagswesen und werden zunehmend auch im deutschen Sprachraum eingesetzt. Und immer öfter wird auch in literarischen Texten gegendert. Natürlich auch bei Luca Kieser, wo Teenager Tarek, der gerne zockt, kifft und Bushido hört, im Spital nach „einem Arzt oder einer Ärztin“ fragt.
Das Richtige tun
Kieser hat Sprachkunst studiert und ist nach wie vor mit seinem Philosophiestudium beschäftigt. Schwerpunkt Ethik. Schwappt das in sein Schreiben über? Ist es ihm als Autor, als Künstler, wichtig, ethisch richtig zu handeln? Anders gesagt: ein guter Mensch zu sein? Kieser denkt bei dieser Frage lange nach. Er wirkt, wie viele Autoren seiner Generation, bemüht, das Richtige zu tun. „Frühere Generationen von Schreibenden tun sich damit vielleicht schwer. Manche sagen dann: Deine Figur bist ja nicht du, daher kann sie auch sexistisch sein. Ich sehe das nicht so. Ich glaube, man hat eine Verantwortung für die Figuren, die man sich ausdenkt. Das hat nichts mit Selbstzensur zu tun. Es geht nicht darum, dass man Dinge nicht mehr schreiben darf. Man darf in diesem Land alles schreiben, man muss aber auch mit Widerspruch rechnen.“
Schreiben darf man also alles, aber soll man es auch? Schließlich sind manche der Auffassung, postmigrantische Literatur sei Aufgabe von Schriftstellern mit Migrationshintergrund. Kieser widerspricht. „Ich glaube, wir sind alle Teil dieser Gesellschaft, und auch ich kann und muss vielleicht sogar darüber schreiben, wie es ist, auf eine Schule zu gehen, auf die viele Nicht-Weiße gehen. Es geht immer nur um die Frage: Wie schreibe ich es? Das ist keine Frage der sogenannten Wokeness, sondern des Schreibvermögens.“
Kiesers persönlicher Kompass bei diesem Roman war sein Jugendfreund. Er wollte diese Geschichte so erzählen, dass sie Alain, dem er das Buch gewidmet hat, gefallen hätte. „Ich wollte etwas schreiben, wo er nicht das Gefühl hätte, wieder zum dummen Dealer-Migranten gemacht zu werden.“