Barbara Zemans "Beteigeuze": Unter einem bösen Stern
Irgendwann gegen Mitte des Romans sagt der langmütige Josef zu seiner Freundin: „Sag mal, geht’s noch?“, und spätestens da muss man sagen: „Leider, nein.“
Theresa war barfuß, nur mit dem alten Wintermantel ihrer Tante bekleidet, auf dem Gang unterwegs, hat das Nachbarskind angequatscht und in die Wohnung mitgebracht. Theresa Neges, die Protagonistin von Barbara Zemans neuem Roman, hat eine immer offensichtlicher werdende psychische Störung und wird im Lauf dieser Geschichte nicht gesünder. Doch weil „Beteigeuze“ aus Sicht der Hauptdarstellerin erzählt wird, ist der Roman weniger eine Kranken-, als eine Abenteuergeschichte. Im Mittelpunkt: Ein Riesenstern namens „Beteigeuze“ sowie die Farbe Blau.
Die blauäugige Theresa lebt in einer blau ausgemalten Wohnung in Wien-Leopoldstadt. Sie ist fasziniert vom All, insbesondere vom gleißenden Beteigeuze aus dem Sternbild Orion und bildet sich ein, ihr Großvater sei ein berühmter Astronom gewesen.
Das Blau von ganz oben hat eine Entsprechung ganz unten: Im Stadthallenbad sitzt Theresa gern am Grunde des großen Beckens, schaut den Schwimmern von unten zu und versucht, möglichst lange die Luft anzuhalten. Ein ansatzweises Apnoetauchen wie im Film „Le Grand Bleu“? „Beteigeuze“ ist voll von angedeuteten, tatsächlichen und erfundenen kulturellen Verweisen. Wer will, kann vom Hundertsten ins Tausendste kommen, vom Astronomen Pierre-Simon Laplace bis zur Heiligen Teresa von Ávila.
Der nächste Unfug
Die Sprache dieses inhaltlich ambitionierten Romans, bei dem man nicht immer sofort auf der richtigen Fährte ist, bleibt wohltuend unprätentiös. Stellenweise wird es hier tragisch-komisch, man möchte fast sagen komödiantisch. Etwa, wenn Theresa sich selbst ermahnt, sich dabei mit vollem Namen anspricht und vor dem nächsten Unfug warnt. Oder wenn sie ihrer Mutter am Telefon ausrichten lässt, sie solle „nächstes Jahr“ wieder anrufen. Das Tragischkomische zeichnet auch viele Dialoge aus, die fast schon in sich abgeschlossene kleine Dramolette sind. Etwa die Begegnung mit einem Busfahrer, den Theresa mitten auf der Strecke zum Stehenbleiben nötigt. Auch die Momentaufnahmen aus der Konditorei, in der Theresa arbeitet, sind skurrile, sehr Wienerische Szenen, die durchaus Potenzial zum laut Vorgelesenwerden haben. Zeman, Jahrgang 1981, kann so etwas schreiben, sie hat sowohl Gastgewerbe- als auch Bachmannpreis-Erfahrung.
Vor allem aber ist diese Geschichte einer psychischen Krankheit natürlich furchtbar traurig. Insbesondere die zunehmende Entfremdung vom immer hilfloseren Josef, den Theresa noch vor ihrer Diagnose kennengelernt hat, als sie ein scheinbar normales Leben führte, ist beklemmend.
Die Sterne sind hier übrigens keineswegs harmlose „Sternderln“. Mit Theresas fortschreitender Erkrankung führen sie „etwas im Schilde“, „glotzen vom Himmel runter“ und Weltraumteleskop-Erfinder James Webb verfolgt Theresa in ihren Träumen. Und Riesenstern Beteigeuze? Vielleicht ist er ja auch ein böser Geist, ähnlich Tim Burtons Film-Monster „Beetlejuice“. Der Name ist eine Verballhornung von „Betelgeuse“, dem englischen Namen des Sterns. Womöglich lässt sich im schaurig-komischen „Beetlejuice“ ein entfernter Verwandter dieser vielschichtigen, anspruchsvollen Geschichte erkennen.