Während das Land dieser Tage dank eines verhaltensauffälligen Präsidenten wieder in politischen Turbulenzen ist, erscheint nun das neue Buch der frischgebackenen Literaturnobelpreisträgerin aus Südkorea, die sich in ihrer Arbeit seit Jahrzehnten mit der schwierigen Vergangenheit ihrer Heimat beschäftigt.
„Unmöglicher Abschied“ wird zeitgleich in mehreren Sprachen veröffentlicht, die Aufmerksamkeit ist ungleich größer als bei Han Kangs vorigem Buch. Es liest sich wie die Begründung der Nobelpreisjury, als diese ihre Entscheidung im vergangenen Oktober preisgab: „Intensive Prosa, die sich historischen Traumata stellt und die Zerbrechlichkeit des menschlichen Lebens aufzeigt.“
Zu verstehen, dass es bei Han Kang oft um Südkoreas identitätsprägende, blutige Vergangenheit geht, hilft auch diesmal weiter. Etwa, wenn gleich zu Beginn von einem Acker die Rede ist, auf dem Baumstümpfe wie Grabsteine stehen. Immer wieder träumt die migräne-gebeutelte Ich-Erzählerin Gyeongha diesen Traum von dem friedhofsgleichen Acker voller Baumstumpfgräber. Immer wieder, seit sie ein Buch über das Massaker von Jeju geschrieben hat, in dem koreanische Truppen 1948 mithilfe der amerikanischen Besatzer einen angeblich kommunistischen Aufstand niederschlugen.
Das Trauma des Landes ist für Gyeongha zu ihrem persönlichen geworden. Sie hat so gut wie alle Menschen um sich herum verloren. Als sie jetzt in eine Apartmentwohnung in der Nähe von Seoul zieht, hat sie weder Familie noch Job, um die sie sich kümmern müsste. Sie denkt daran, ihrem Leben ein Ende zu setzen, als eine ehemalige Kollegin sie um Hilfe bittet. Gyeongha eilt zu Inseon ans Krankenbett. Die scheinbar bedürfnislose Frau lebt allein, arbeitet als Fotografin, schien bisher nichts und niemanden zu brauchen. Bis sie sich bei Holzarbeiten zwei Finger abschnitt und zu verbluten drohte.
Gyeongha hatte ihr einst von ihren wiederkehrenden Albträumen von dem Meer der schwarzen Bäume erzählt. Gemeinsam wollten sie in einem Kunstprojekt die Vergangenheit aufarbeiten. Es wurde nichts daraus. Doch Inseon arbeitete weiter an dem von Gyeongha erträumten Baumstammacker. Hatte sie sich womöglich dabei verletzt? Das ist nun aber nicht der Grund, warum sie die Freundin um Hilfe bittet. Sie soll vielmehr in Inseons weit abgelegenes Haus ziehen und ihren einsamen, sprechenden Papagei betreuen, denn einen Umgebungswechsel würde das Tier nicht vertragen. Die Begegnung mit dem Vogel fällt anders aus als erwartet. Tote werden kommen und gehen, Geister und Träume nicht mehr von der Realität zu unterscheiden sein.
In Han Kangs klarer, direkter Sprache klingt diese geheimnisvolle Geschichte wie eine Selbstverständlichkeit. Sie schwätzt nicht, sie vergeudet keine Zeit. Sie erzählt direkt, als würde sie sich persönlich an einen wenden. Trotzdem, manchmal wird’s verwirrend und man muss genau lesen, sonst verliert man den Faden.
In einem Interview sagte Han Kang, dies sei ein Roman über eine „unbändige Liebe“. Und zugleich sei er „wie eine Kerze in den Abgründen der menschlichen Natur“. Han Kang-Fans kennen diese Abgründe aus früheren Romanen, sie werden auch diesen lieben.