Der Neoliberalismus, das erfährt man bei Édouard Louis, ist der Ursprung allen Übels. Somit sind auch Fragen wie „Wer hat meinen Vater umgebracht“ (ein Roman aus dem Jahr 2020) beantwortet. Die ausweglose Tristesse der französischen Unterschicht ist immer Thema bei Édouard Louis, bereits bei seinem Debüt „Das Ende von Eddy“, in dem der damals 20-Jährige von den Schwierigkeiten, als homosexueller Bub in einer homophoben Umgebung aufzuwachsen erzählte; vom Alkoholiker-Vater und der lieblosen Mutter.
Sie, Monique, hat er später in „Die Freiheit einer Frau“ porträtiert. Glaubte sie damals, sich mit dem Umzug aus der nordfranzösischen Kleinstadt nach Paris vom gewalttätigen Vater befreit zu haben, erfahren wir in „Monique bricht aus“: Schlimmer geht immer. Monique ist auf einen Typen hereingefallen, der noch ärger als der Vorgänger ist. Ihr Sohn Édouard (das Buch ist wieder eine Art Autofiktion) hilft ihr, mit Unterstützung seines Freundes Didier. Der Philosoph Didier Eribon hat ebenfalls zuletzt ein Buch über seine Mutter, eine Putzfrau, und deren vergebliche Versuche, ihrer sozialen Klasse zu entfliehen, geschrieben.
Bei Eribon wie bei Louis beschleicht einen der Verdacht, dass sie doch beide eigentlich über sich selbst geschrieben haben. Monique, bildungsfern aufgewachsen, wird mit 55 mithilfe ihres Sohnes, der ihr aus der Ferne via Handy Anweisungen gibt, zum ersten Mal einen Computer aufdrehen. Und später, nachdem sie Stunden beim Friseur und beim Visagisten verbracht hat, darf sie mit dem Sohn in ein Flugzeug steigen. Dieser gehört längst einer anderen, betuchteren sozialen Klasse an. Sein Thema sind aber immer noch, und zwar hauptsächlich, die „Privilegierten“. Selbst deren Flüstern im Theater hört sich anders an.