Der rasende Literaturreporter wird 90. Eine Schreibmaschine, 50 Bücher, unendlich viele Geschichten: Wie es Dietmar Grieser gelang, sich in die Herzen der Österreicher zu schreiben. Und was er seinem Arzt verheimlicht.
Eigentlich eine unglaubliche Geschichte. Ein Zugereister, noch dazu einer aus Deutschland, hat es geschafft, den Wienern ihre Stadt, den Österreichern den Österreicher an sich zu erklären – und damit zum Bestsellerautor zu werden.
Fünfzig Bücher hat Dietmar Grieser seit 1973 geschrieben, jedes Jahr eines, jedes davon ein Riesenerfolg. Biografie und Topografie der österreichischen und der Weltliteratur. Clever recherchiert, gewitzt erzählt, flott getitelt.
Bücher wie „Eine Liebe in Wien“, erschienen im Mai 1989 pünktlich zum Muttertag, fanden reißenden Absatz, und heute noch hört man, wenn man von Grieser spricht, oft den Satz: „Meine Mutter liebt Grieser!“
Was der Arzt nicht weiß
Dietmar Grieser, 1934 in Hannover geboren, aufgewachsen in Oberschlesien, lebt seit 1957 in Wien. (Hannover erwähnt er nicht gern, die Stadt hat ihn nie gebührend geehrt). Nicht ganz so lange, aber gewiss seit vielen Jahrzehnten wohnt Grieser im vierten Stock eines Gründerzeithauses in Wien-Landstraße.
Man sieht dieser Wohnung an, dass in ihr viel gelebtes Leben steckt. CDs stapeln sich (Zarah Leander, Alfred Brendel liegen obenauf), Bücher liegen aufgeschlagen herum. Gerade hat er eine Biografie von Clara Schumann in Arbeit. Auch Belletristik liest er viel. Zuletzt Tonio Schachingers „Echtzeitalter“. „Abgesehen von den Passagen über das Gaming erfrischend“. Grieser verfolgt das literarische Geschehen rege. Das aktuelle, aber naturgemäß hat das vergangene einen besonderen Status.
Die Bücherregale reichen bis zur Decke. Allein die Sammlung von Feuilletonisten. Torberg, Polgar, Weigel, Altenberg, Kisch. Viele Erstausgaben, vieles signiert. Liebling ist der heute fast vergessene deutsche Autor Victor Auburtin. „Er ist mein Säulenheiliger.“
Vom Rotwein weiß der Arzt angeblich auch nichts
Auf sympathische Weise nicht herausgeputzt ist diese Wohnung. Und ein bisserl verraucht. Sein Arzt, glaubt Grieser, weiß nicht, dass er raucht. (Weniger als ein Packerl pro Tag!) Vom Rotwein weiß der Arzt angeblich auch nichts. Grieser trinkt Blaufränkisch. Gewiss auch am kommenden 9. März, wenn er seinen 90. Geburtstag feiert.
Grieser erzählt selbst Petitessen wie diese dermaßen spannend, dass die eingangs angedeutete Frage, wie es ihm als Deutschen gelang, die Herzen der Österreicher zu erobern, beantwortet wäre. Überall Neues aufschnappen, spannend erzählen. „Ich bin halt eine Tratschen!“ (Außerdem war der Grieser, das muss man auch einmal sagen, ein ziemlich fescher Kerl.)
Eine für alle
Fünfzig Jahre Tratsch, getippt in fünfzig Büchern auf der immerselben Schreibmaschine. Einer Olympia. Jährlich gewartet, tut sie ihren zuverlässigen Dienst, ohne je müde zu werden. Auf ihr schrieb er einst das Buch „Vom Schloß Gripsholm zum River Kwai“, das ihn, den damals komplett unbekannten Autor, mit einer unglaublichen Erstauflage von 13.000 Stück in die Bestsellerlisten katapultierte.
Kurz danach dann das erste Wienbuch „Alte Häuser – Große Namen“. „Ein fader Titel, aber das Buch hat trotzdem eingeschlagen. 20.000 Stück wurden sofort aufgelegt (es folgten weitere Auflagen) – und ein Genre erfunden. Griesers Wiener G’schichten.
„Dass ich ein Piefke war, war kein Problem. Im Gegenteil, man hat mir das angerechnet. Die Leute sagten, schau, da kommt dieser Piefke und erzählt uns Geschichten über Wien! Dass ich gerne Geschichten höre und weitererzähle, dass ich eine Tratschen bin, ist wohl das Geheimnis meines Erfolgs.“
Das Genre der gut lesbaren, feuilletonistischen Sachbücher rund um Literatur und Geschichte, der literarischen Reportagen, das Grieser zumindest mit erfunden hat, explodierte später. Grieser blieb einer der erfolgreichsten Vertreter. Die meisten seiner Bücher sind Longseller. Sein jüngsten, „Es muss was Wunderbares sein … über das Salzkammergut und seine Künstler“, liegt nun schon in der zweiten Auflage vor.
Grieser wohnt mit seiner Schreibmaschine. Anderen Menschen oder Haustieren wäre sein rastloses Leben nicht zumutbar. (Einziges Tier im Raum: ein gelb-weißer kniehoher Plastikvogel vom Tandler. Grieser geht gerne zum Tandler). Wenn Grieser nicht auf Recherchereise ist, dann auf Lesereise.
In manchen Jahren hat er es auf 100 Veranstaltungen pro Jahr gebracht, voriges Jahr, mit 89, immerhin auf 25. Sein preußisches Erbteil tritt in dieser Arbeitsdisziplin zutage. Fleißig und emsig ist er. Und ein Morgenmensch. Wie Thomas Mann schon um sieben vor der Schreibmaschine. „Manchmal wundere ich mich selber, wie ich das alles durchgehalten habe.“
Aber auch das, was man „typisch Wienerisch“ nennt, hat Grieser in sich. Das „ein bissl Drumherumreden“. Den Leuten nicht direkt ins Gesicht sagen, was man denkt. Wenn der Wiener sagt, „gehen wir einmal auf einen Kaffee“, sollte man nicht damit rechnen, dass dieses Versprechen jemals eingelöst wird.
Grieser kam einst als Student nach Wien. Aus einem Semester wurde ein Leben. Mittlerweile ist er eingebürgert, wobei die Österreicher-Werdung formal gar nicht so einfach war. Das Amt war misstrauisch, glaubte nicht, dass er das wirklich wollte.
Autobiografisches hat er immer wieder in Büchern erzählt, etwa die Geschichte der Flucht seiner Familie aus Schlesien vor der Roten Armee. Grieser studierte in Münster, sein Professor schlug ihm ein Auslandssemester in Wien vor.
„Er rief: ,Grieser, Sie müssen nach Wien!’ Was blieb mir anderes übrig? Ich kam mit dem Nachtzug um sechs Uhr Früh an. 23 war ich damals. Ich ging vom Westbahnhof die Mariahilfer Straße hinunter in Richtung Innenstadt. Heute sagen viele, Wien sei damals mausgrau gewesen. Für mich war es ein solcher Glanz! Ich kam aus der tiefsten Provinz, wo alles kaputt war. Meine Schulstadt war zu achtzig Prozent zerbombt. Und Wien? Die herrlichen Fassaden und der Blick dahinter, man konnte ja noch in die Höfe gehen, es gab keine Gegensprechanlagen. Es klingt kitschig, aber die Stadt war ein überwältigendes Erlebnis für mich. Dann hier leben und Fuß fassen zu können, von Wien angenommen zu werden. Was für ein Glück!“
(kurier.at, bb)
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Aktualisiert am 03.03.2024, 18:31