Birgit Minichmayr: „Ich war dann einfach zu stolz und zu bockig“
Vor zehn Jahren bekam Birgit Minichmayr eine ROMY – für die Rolle der Adele Spitzeder. Nominiert war der Burgtheater-Star auch als Bertha von Suttner. Und nun ist sie erneut in der Auswahl – als beste Filmschauspielerin. Für ihre Darstellung einer verbiesterten Tochter aus gutem Haus in „Wanda, mein Wunder“ und als Frau des von der Gestapo inhaftierten Notars Josef Bartok in „Schachnovelle“ nach Stefan Zweig.
KURIER: Sie wurden 1977 in Linz geboren, sind auf einem Bauernhof in Pasching aufgewachsen – und sollen sehr gläubig gewesen sein.
Birgit Minichmayr: Ich ging ja auch in eine Klosterschule, zu den Kreuzschwestern in Linz. Das sonntägliche Kirchengehen war in unserer Familie zu absolvieren – egal, ob man wollte oder nicht. Ich war damals aber schon sehr beeindruckt von diesem Ritual. Ob der Vorkommnisse, den vielen Missbrauchsfällen, bin ich aber längst ausgetreten.
Zur Schauspielerei kamen Sie tatsächlich wegen Gründgens’ Faust-Interpretation?
Meine Mutter hatte diverse Theater-Abos – und mein Vater manchmal keine Zeit. Oder er war zu müde. Also bin ich mitgegangen ins Landestheater. Und im BORG hatte ich eine ganz tolle Deutschprofessorin; sie ließ uns den „Faust“ lesen – in Kombination mit dem Hörspiel. Ich war zutiefst getroffen oder besser gesagt: derart fasziniert, wie diese Texte, die beim Lesen so schwer waren, so einfach klingen konnten. Dadurch kam die Leidenschaft für die Literatur und die Bühne auf. Eigentlich wollte ich ja Tänzerin werden, aber ich wusste, dass ich nie so gut sein werden kann, wie ich es gewollt hätte.
Ich dachte, Sie wollten Opernsängerin werden.
Ja, auch.
Ihre Stimme war zu rau?
Das kam erst durchs Weggehen! (Sie grinst.) Damals hatte ich eine glockenhelle Stimme, ich konnte bis zum dreigestrichenen hohen C singen! Aber dann haben mich eben die Bühne und die Literatur am meisten interessiert.
Sie besuchten das Max-Reinhardt-Seminar. Ihre Eltern hatten nichts dagegen?
Mein Vater hätte sich schon einen „sicheren“ Beruf für mich gewünscht. Aber die Zweifel waren bald vom Tisch. Weil Klaus Maria Brandauer mein Lehrer wurde – und ich schon im dritten Studienjahr ans Burgtheater engagiert wurde. Ich hab’ mit 21 mein erstes Geld verdient.
Sie haben die Ausbildung gar nicht abgeschlossen. Tut Ihnen das retrospektiv leid?
Ich hätte gerne die Diplomarbeit geschrieben. Aber ich hatte bereits im zweiten Jahr mein „Debüt“ – in der Schweiz mit einem Robert-Walser-Theaterabend bei Robert Hunger-Bühler. Mir fehlten daher viele Unterrichtsstunden. Ich war dann einfach zu stolz und zu bockig, um neben meinem Engagement am Burgtheater die Fecht-Stunden und anderes nachzuholen.
Nach ein paar Jahren gingen Sie nach Berlin. Warum?
Ich bekam Angst, dass ich das Publikum und auch mich langweilen könnte. Weil ich eben zu jung ans Burgtheater gekommen war. Ich konnte mir nicht vorstellen, mein Leben lang da zu bleiben. Ich wollte einen Tapetenwechsel. Und die Volksbühne war für mich das spannendste Theater. Aber ich spielte meine Rollen am Burgtheater weiter.
Frank Castorf, damals Intendant der Volksbühne, lässt seine Schauspielerinnen gerne in High Heels herumstöckeln. Ist das nicht ein überkommenes Frauenbild?
Castorfs Frauenrollen waren immer sehr potent, sicher kein Tischschmuck! Und ich ziehe gerne Stöckelschuhe an. Ich finde die Frauen bei ihm meist supersexy – und sie haben nichts von einem überholten Frauenbild.
Schauspielerinnen sind ja oft von den Regisseuren abhängig. Mussten Sie je negative Erfahrungen machen?
Nein. Die Frage ist generell, ob man gewollt ist – oder nicht. Und man ist verzweifelt, wenn es nicht gut läuft. Aber ich bin, das ist mir bewusst, auf die Sonnenseite gefallen. Ich konnte immer selbst entscheiden, mit welchen Leuten ich arbeite. Und ich hatte zum Glück nie eine Hand auf einer Körperstelle, wo sie nicht hingehört.
Sie haben mit Luc Bondy gearbeitet, mit René Pollesch – und mit Martin Kusej, dem Sie später ans Residenztheater gefolgt sind. Hätten Sie sich träumen lassen, dass seine „Weibsteufel“-Regie 2008 ein derartiger Erfolg wird?
Nein. Damals stimmten einfach die Zutaten. Wir hatten die Inszenierung in nur 21 Probentagen fertig. Es ging alles unheimlich leicht.
Obwohl Sie und Tobias Moretti auf Holzstämmen jonglieren mussten.
Zu Beginn hieß es, dass wir angeschirrt an einem Sicherheitsseil spielen müssten. Das ging gar nicht. Die Alternative war, dass wir einen Kletterkurs absolvieren. Den haben wir dann auch gemacht. Und ich hätte eigentlich Bergschuhe anziehen müssen. Aber ich wollte, erprobt von den Castorf-Inszenierungen, die Rolle in Stöckelschuhen spielen. Und ich habe mich durchgesetzt. Wir haben den „Weibsteufel“ bereits 150-mal oder so gespielt – und es ist nie was passiert.
Die Inszenierung ist weiter im Repertoire. Könnte irgendwann der Punkt kommen, dass Sie sich zu alt für die Rolle fühlen?
Konditionell fühle ich mich fit genug, aber ich weiß natürlich nicht, ob man mir noch den Kinderwunsch oder die Fruchtbarkeit abnimmt. (Sie grinst schelmisch.)
Sie waren auch die Buhlschaft des Jedermanns bei den Salzburger Festspielen. Warum nur drei Jahre?
Nur? Das ist für eine Buhlschaft nicht so wenig! Mir war klar, dass ich das nur so lange mache, wie Niki Ofczarek der Jedermann ist. Ich fühlte mich nicht wohl mit der Aufmerksamkeit für diese Rolle mit all diesen repräsentativen Verpflichtungen. Heute würde ich anders mit dem Rummel umgehen.
Die Festspiele könnten Sie also wieder gewinnen?
Nein! So interessant war diese Rolle nicht. Irgendwie komisch: Immer wird erwähnt, dass ich die Buhlschaft war – obwohl ich meine Theatererfolge mit ganz anderen Rollen verbinden würde. Es weiß eben jeder, wer die Buhlschaft ist.
Mit welchen? Maria Stuart?
Zum Beispiel. Oder die zwanghafte Melanie in „Komplizen“. Oder die alkoholkranke Gundi in „John Gabriel Borkman“. Oder „Medea“.
Auch wenn Sie viele Film drehen: In erster Linie sind Sie Theaterschauspielerin?
Ich würde nie das eine für das andere austauschen. Zum Glück muss ich mich nicht entscheiden. Oskar Werner hat es so schön gesagt: „Das Theater ist meine Ehefrau, der Film meine Geliebte.“
Mit wem betrügen Sie das Theater als Nächstes?
Ich spiele Maria Lassnig in einem Film von Anja Salomonowitz. Die Dreharbeiten haben gerade in Wien begonnen. Es wird aber kein herkömmliches Bio-Pic, das finde ich sehr reizvoll.
Maria Lassnig wurde 94 …
Ich spiele alle Altersstufen – aber ohne Altersmaske. Maria Lassnig geht wie ein zeitloses Wesen durch ihr Leben. Die Menschen, denen sie begegnet, sind aber so alt, wie sie es damals waren, darunter Arnulf Rainer.
Sie mussten einen Kletterkurs machen. Und nun machen Sie einen Malkurs?
Richtig! Unter anderem bei ihrem ehemaligen Assistenten Hans Werner Poschauko. Meine Erfolgserlebnisse beim Malen sind aber dürftig. Zum Glück muss ich nur so tun als ob. Die Dreharbeiten dauern bis 28. April. Und am 2. Mai fängt Josef Hader mit seiner zweiten Regiearbeit, „Andrea lässt sich scheiden“, an. Darauf freue ich mich sehr!
Sie drehten mit Hader 2008 den Brenner-Krimi der „Der Knochenmann“. Davor, 2006, haben Sie Campino kennengelernt. Wie kam das?
Bei der „Dreigroschenoper“, die Klaus Maria Brandauer im Admiralspalast inszenierte. Daraus ist eine innige Freundschaft entstanden. Wir haben viel über Texte geredet.
Sie haben gemeinsam „Tage wie diese“ geschrieben. Ein riesiger Erfolg!
Dass das so abgehen könnte: Auch das hat keiner kommen sehen.
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