Bettina Masuch: Das Festspielhaus St. Pölten soll kein UFO sein
Die erste Saison von Bettina Masuch als Chefin im Festspielhaus St. Pölten hat einiges, das Nestroy vielleicht „Umständ’“ genannt hätte: Das, was die Kultur derzeit alles umgibt, macht die Situation nicht leichter. Krieg, Krise und Konkurrenz durch neue Kulturformen wie Streaming – die Herausforderungen sind alles andere als klein. Aber „deswegen bin ich überhaupt nicht pessimistisch“, sagt Masuch im KURIER-Gespräch. „Ja, die Zeiten sind schwierig, sind sicher auch schwieriger als noch vor der Pandemie, gar keine Frage.“ Aber: „Wir packen das an.“
„Das“, das ist im Festspielhaus schon traditionell ein breit gefächertes Programm (siehe Infobox am Ende über die Angebote der kommenden Saison), mit dem die unterschiedlichsten Publikumsformen angesprochen werden sollen. Aber gerade auch das Publikum hat sich vielerorts zuletzt von einer neuen Seite gezeigt: Es kauft später Karten – und gezielter.
Merkt sie das auch? „Der Anspruch an Kunst und Kultur hat sich verändert“, bestätigt die Festspielhaus-Leiterin. „Bekannte Namen, bekannte Stoffe funktionieren besser, das spüren wir. Und junge Künstlerinnen und Künstler haben es schwerer.“
Geldfrage
Warum? „Es gibt ein Gefühl: Wenn ich deutlich weniger Geld habe, dann möchte ich wissen, was ist das, was ich für den Ticketpreis kriege. Ich kann das sehr gut nachvollziehen, ich lebe in derselben Welt, ich habe Nachbarn, Familie, denen es genauso geht. Das Publikum sucht Vorstellungen, die eher Energie geben, als sie zu nehmen. Meine Meinung ist, man kann aus der Kunst Kraft schöpfen, gerade in diesen Zeiten.“
Aber bei welchen Vorstellungen das geht, das weiß man nicht vorher, oder? „Es geht vielleicht auch um ein Grundvertrauen des Publikums an die Programmierung eines Hauses“, sagt Masuch. „Mir ist es zudem ganz, ganz wichtig, dass ich mit unserem Publikum in Kommunikation komme und Austausch pflege. Ich mache alle Stückeinführungen selber, ich ersuche die Menschen, mir zu schreiben, ob es ihnen gefallen hat oder nicht.“ Denn sie „möchte nicht, dass das Festspielhaus ein UFO ist, das irgendwo gelandet ist und das nichts mit dem Umfeld und mit den Menschen, die dort leben, zu tun hat. Dann hätte ich meinen Job nicht gut gemacht.“
Apropos Umfeld: Das ist für das Festspielhaus St. Pölten besonders wichtig. Es ist, sagt die künstlerische Leiterin, „ein wunderschönes, sehr neues Theater, das ein bisschen abseits der Innenstadt liegt. Architektonisch ist es konzipiert für Menschen, die eher mit dem Auto anreisen, was mehr über die Zeit aussagt, in der das Haus gebaut wurde, als über unsere Gegenwart.“
Und über das Zielpublikum, schließlich soll das Haus ja Publikum aus ganz Niederösterreich anlocken: „Meine erste Aufgabe ist schon die Menschen, die in St. Pölten und Umgebung leben, hereinzuholen. Und wenn ich Umgebung sage, dann meine ich natürlich Niederösterreich und zähle selbstbewusst Wien mit dazu.“
Wiener Publikum anlocken, da muss man schon eine Fehlstelle im Programm besetzen – welche ist das denn? „Das Festspielhaus präsentiert vor allem Tanz und das auf der großen Bühne, teilweise in Begleitung des Tonkünstler-Orchesters. Wir haben die große Chance, über die Architektur des Hauses diese Kunstform groß zu denken, und sind eine gute Ergänzung zu dem, was in Wien passiert.“ Damit ist das Festspielhaus einzigartig – denn gemeinhin gilt der zeitgenössische Tanz nicht als Publikumsmagnet, oder? „Da muss ich widersprechen“, sagt Masuch. „Es gibt das Vorurteil, dass zeitgenössischer Tanz verkopft ist, intellektuell, kryptisch, dass man das nicht versteht. Ich glaube, dass wir mit unserem Programm zeigen, dass diese Kunstform sehr zugänglich sein kann, dass der zeitgenössische Tanz berühren kann, Geschichten erzählen kann, die sehr nah am Puls der Zeit sind, Geschichten von Menschen für Menschen von heute.“
Politik
Der Austausch findet an einem überaus internationalen Programm entlang statt. Schafft die ÖVP-FPÖ-Koalition da nicht Probleme? Hat die Intendantin Absagen internationaler Künstlerinnen und Künstler bekommen? „Nein. Aber ich habe Nachfragen von unserem Publikum, das sich Sorgen macht, ob wir bestimmte Künstler noch einladen können“, sagt Masuch. „So herausfordernd die Situation ist, ist sie ja nicht einzigartig in Niederösterreich. In vielen europäischen Ländern gibt es diesen Trend. Die Fragen, wie wir als Kulturinstitution damit umgehen, teile ich mit vielen Kolleginnen und Kollegen im europäischen Ausland. Und wir sind uns einig darin, dass man gerade in so einer Zeit Kunst und Kultur mit Haltung machen muss, dass wir Werte verteidigen müssen.“
Wichtig sei: „Wir müssen miteinander in die Diskussion gehen über die Werte, für die wir einstehen. Und im Zweifel müssen wir uns auch darüber streiten. Wenn sich jetzt jeder in seine Bubble zurückzieht, dann überlässt man Ideologien das Feld, die nicht daran interessiert sind, dass Häuser wie unseres weiterbestehen. Das sage ich auch unserem Publikum immer: Ihr müsst bitte wiederkommen!“
Vernetzung: Die kommende Spielzeit steht im Zeichen der Kooperation: Man arbeitet u. a. mit der Kunsthalle Krems, der Tangente St. Pölten, der Jeunesse und dem Tanzquartier Wien zusammen
Programm: Eröffnet wird die Saison von der GöteborgsOperans Danskompani; es folgen u. a. Doris Uhlich, Liquid Loft, Sasha Waltz, Gilberto Gil sowie Ernst Molden, Ursula Strauss und Herbert Pixner
„Tangente“: Von 30. April bis 6. Oktober 2024 findet in St. Pölten die „Tangente“ (als Ersatz für das Kulturhauptstadtjahr) statt. Im Festspielhaus gibt es zur Eröffnung des Festivals u. a. die Oper „Justice“ von Hèctor Parra (Musik) und Fiston Mwanza Mujila (Libretto) mit den Tonkünstlern, inszeniert von Milo Rau; zudem Pierre-Laurent Aimard und Birgit Minichmayr mit Olivier Messiaens „Katalog der Vögel“ und die Indie-Band The Notwist
Kommentare