Running Gag
Tatsächlich ist es Greta Gerwig gelungen, den kontroversiellen Diskurs rund um die spitzbusige Blondine mit der Wespentaille – hinreißend verkörpert von der australischen Schauspielerin Margot Robbie – in all seinen Widersprüchen einzufangen.
Was den einen emanzipatorisches Spielzeug, ist den anderen sexistisches Frauenbild. Als Ruth Handler 1959 die Puppe mit dem Spielzeugkonzern Martell auf den Markt brachte, erlöste sie kleine Mädchen vom ewigen Mutter spielen und brachte eine erwachsene Frau mit eigener Karriere in die Kinderzimmer. Gleichzeitig rief Barbies stereotyp genormtes Erscheinungsbild Feministinnen auf den Plan, die in den 70er-Jahren mit Parolen wie „I am not a Barbie Doll“ protestierten. Dass beide Perspektiven auf die Puppe ihre Berechtigung haben, verarbeitete Greta Gerwig zum Running Gag ihrer umwerfenden Komödie.
Mit ihrer dezidiert weiblichen Blickweise – quasi als Antwort auf den berüchtigten „male gaze“ im Kino – kehrt sie unangestrengt und witzig herrschende Geschlechterverhältnisse um. Barbies wenig beachteter Sidekick Ken (Ryan Gosling) entdeckt zwar die Vorzüge des Patriarchats, muss sich aber in seine Nebenrolle fügen. Barbie wiederum verlässt ihr perfektes Barbie-Land und erkennt, dass in der wirklichen Welt keineswegs die Frauen das Sagen haben, sondern völlig andere Regeln herrschen.
Sie selbst habe als Kind leidenschaftlich mit Puppen – und also auch mit Barbies – gespielt, erzählt die 40-jährige Gerwig in Interviews; ihre Mutter hingegen wäre der Modepuppe immer kritisch gegenüber gestanden.
Gemeinsam mit ihrem Partner, dem Filmregisseur und Drehbuchautor Noah Baumbach, schrieb Gerwig das Drehbuch zu „Barbie“. Es war Margot Robbie, die als treibender Motor des „Barbie“-Projekts Gerwig als Drehbuchautorin und auch als Regisseurin ins Boot holte.
Mit einem Großbudget von 145 Millionen Dollar ist „Barbie“ Gerwigs erster Blockbuster. Bereits mit der oscargekrönten Verfilmung des Emanzipationsbestsellers „Little Women“ (2019) bewies die Kalifornierin ein feministisches Händchen für große Studioproduktionen, wiewohl sich das Budget von 40 Millionen Dollar im Vergleich zu „Barbie“ schmal ausnimmt. Um die Regie übernehmen zu können, trat Gerwig von der Hauptrolle in Mia Hansen-Løves „Bergman Island“ zurück, die von Vicky Krieps – Sisi-Darstellerin in „Corsage“ – übernommen wurde. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Gerwig längst als Regisseurin einen Namen gemacht. Ihr Regiedebüt „Lady Bird“ (2018) – ein lakonisch-komischer Coming-of-Age-Film – löste eine regelrechte Welle der Begeisterung aus und gipfelte in fünf Oscarnominierungen.
Wo bleibt die Liebe?
Auffallend in der Entwicklungsgeschichte von „Barbie“ ist – Spoiler-Alarm! – die Abwesenheit einer Romanze.
Das ist typisch für Greta Gerwig. Schon in ihrem Durchbruchsfilm „Francis Ha“ (2012), den sie mit Noah Baumbach schrieb und in dem sie eine Tänzerin spielte, ließ sie die typische Lovestory weg. Im KURIER-Gespräch meinte Greta Gerwig dazu: „Ich finde es ungeheuerlich, dass Frauen sich in Filmen immer verlieben müssen oder dass man sie nur in Relation zu Männern zeigt. Natürlich ist die Liebe wichtig – aber sie ist bei Weitem nicht die wichtigste Kraft, die Frauen antreibt. Zumindest nicht bei denen, die ich kenne.“
Und natürlich gibt es auch einen „Barbie“-Backlash, der vor allem aus dem rechten Lager kommt und die Puppensatire als „woke“ und „männerfeindlich“ diffamiert.
Richtig verboten hingegen wurde der Film in Vietnam. Nach Meinung der Behörden ist eine Landkarte mit der sogenannten Neun-Striche-Linie zu sehen, mit der China seit Jahrzehnten Ansprüche auf weite Teile des Südchinesischen Meeres erhebt. Das Produktionsstudio Warner Bros. bestreitet jegliche geopolitischen Absichten. Im Libanon wiederum soll „Barbie“ nicht gezeigt werden, weil er angeblich für Homosexualität werbe und ein falsches Bild von der Ehe vermittle. Auch weiten Teilen Pakistans untersagte die Zensurbehörde Kinoaufführungen – aufgrund von „anstößigen Inhalten“.
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