Bachmannpreis: Nerzaufzucht und Steuererklärungen

Ein Bild vom Klagenfurter Wettlesen aus dem Vorjahr
Der erste Tag beim 38. Ingeborg-Bachmann-Preis in Klagenfurt.

Die Zeit des Privaten schien zunächst vorbei: Statt um Kindheit und Haustiere, die in den vergangenen Jahren (zu) oft im Zentrum vieler literarischer Performances standen, begann der diesjährige Bachmannwettbewerb mit Themen wie Steuererklärung und Nerzaufzucht.

Bachmannpreis: Nerzaufzucht und Steuererklärungen
APA19198206-2_03072014 - KLAGENFURT - ÖSTERREICH: Der österreichische Autor Roman Marchel am Donnerstag, 3. Juli 2014, während des Wettlesens um den Ingeborg Bachmann-Preis im Rahmen der 38. Tage der deutschsprachigen Literatur im ORF-Landesstudio in Klagenfurt. FOTO: APA/GERT EGGENBERGER
Am Anfang stand jedoch die privateste aller Geschichten, der Tod. Der Grazer Roman Marchel erzählte in "Die fröhlichen Pferde von Chauvet" von einer alten Frau, die ihren Mann aus Mitleid tötet. Marchel, der bereits mehrere literarische Veröffentlichungen vorweisen kann, wurde von der Jury mehrheitlich positiv bewertet. Einzig Hubert Winkels hatte Einwände, doch auch er fand es "schwer, nicht beeindruckt zu sein".

Der zweite Auftritt, die Lesung eines namenlosen Textes der Deutschen Kerstin Preiwuß, fand weniger Zustimmung. Ihre Debatten über Nerzaufzucht in der DDR wurden wortreich kritisch auseinander genommen.

Aufg’legt

Durchwachsen dann der Tenor auf Tobias Sommer. Der Autor, der bereits zwei Romane veröffentlicht hat, arbeitet im Brotberuf bei der Finanz ("Ein Beruf wie Kafka", stellte ihn Moderator Ankowitsch vor). Sein Text "Steuerstrafakte" handelt von einem Mann, der von so wenig Geld lebt, dass ihm die Steuerbehörde nicht glaubt. "Als Schweizer hat man besonderes Interesse am deutschen Steuersystem", befand Juri Steiner, der Sommer eingeladen hatte. Was den anderen Juroren nicht reichte. "Einfältig gebaut", befand Maike Fessmann, und Daniela Strigl vermisste Humor: Die satirische Ausbaufähigkeit sei allzu naheliegend, "aufg’legt, wie das in Österreich heißt" – Gleichzeitig sei es ein "großes Rätsel, wieso so wenig Witz daraus gewonnen wird". Juryvorsitzender Burkhard Spinnen, lapidar: "Ich hab hier vieles nicht verstanden."

Peinlich

Am Nachmittag wurde es dann wieder sehr privat: Die Österreicherin Gertraud Klemm las einen Auszug aus dem Roman "Ujjagy" über einen Tag im Leben einer Frau, die sich gegen weitere Kinderwünsche ihres Mannes wehrt. Er wurde zwiespältig aufgenommen. "Frustrationslabyrinth der Kleinkinderziehung, hart an der Grenze der Peinlichkeit – worin auch die Stärke liegt" urteilte Meike Fessmann. Hubert Winkels, der Klemm eingeladen hatte, fühlte sich durch diese "Suada" an Thomas Bernhard erinnert: "sehr "österreichisch". Harsch Burkhard Spinnen: "Frauenzeitschrift-Befreiungsprosa".

Der Beitrag der prominentesten Kandidatin machte den Abschluss. Olga Flor las den Romanauszug "Unter Platanen", die Geschichte einer ehemaligen Beziehung, unter der der Subtext ehemals verfeindeter Länder steckt. Auch war die Jury uneins: "Hier steckt auf engem Raum viel drin", fand Strigl. Was Meike Fessmann als "überfüttert" und Arno Dusini als "Wohlstandsprosa" bewertete.

INFOS und LIVESTREAM: bachmannpreis.eu

Am Mittwochabend haben in Klagenfurt die "38. Tage der deutschsprachigen Literatur" begonnen. Erstmals wurde die Lesereihenfolge vor der traditionellen Klagenfurter Rede zur Literatur ausgelost. Juryvorsitzender Burkhard Spinnen erinnerte in seinen Grußworten an den im September vergangenen Jahres gestorbenen Marcel Reich-Ranicki, der "letzte der Gründerväter des Wettbewerbs".

Anschließend wurde ausgelost, den ungeliebten Auftakt am Donnerstagvormittag zog Roman Marchel. Nach ihm ist Kerstin Preiwuß dran, es folgen Tobias Sommer, Gertraud Klemm und Olga Flor. Am Freitag beginnt Anne-Kathrin Heier, nach ihr kommen Birgit Pölzl und Senthuran Varatharajah. Den Nachmittag bestreiten die beiden Schweizer Teilnehmer Michael Fehr und Romana Ganzoni. Am Samstag gibt es aufgrund des krankheitsbedingten Ausfalls von Karen Köhler nur drei Lesungen, als erste ist Katharina Gericke an der Reihe, gefolgt von Tex Rubinowitz, den Abschluss macht Georg Petz.

Wegen der Erkrankung Köhlers war überlegt worden, ob man ihr eventuell eine Lesung via Internet ermöglichen könnte. Die Regeln des Wettbewerbs erfordern aber die persönliche Anwesenheit, daher musste diese Variante fallen gelassen werden. Die Vertreter ihres Verlages reagierten spontan und organisierten für Donnerstagnachmittag eine "Solidaritäts-Lesung" für die Autorin. Die Wettbewerbserzählung der Autorin "Il Comandante" wird im Cafe Lendhafen (16.00 Uhr) öffentlich vorgelesen. Es ist ein Auszug aus einem Roman, der im Herbst erscheinen wird.

Haderlap "im Licht der Sprache"

Bachmannpreis: Nerzaufzucht und Steuererklärungen
APA19191998-2_02072014 - KLAGENFURT - ÖSTERREICH: Die österreichische Autorin und Bachmann-Preisträgerin Maja Haderlap am Mittwoch, 02. Juli 2014, im Rahmen der Eröffnung der "38. Tage der Deutschsprachigen Literatur" in Klagenfurt. FOTO: APA/GERT EGGENBERGER
Die Kärntner Autorin Maja Haderlap schloss die Eröffnung mit der traditionellen Klagenfurter Rede zur Literatur ab. Haderlap, diePreisträgerin von 2011, befasste sich in ihrer Rede mit mehrsprachigen Lebenssituationen und das Phänomen des literarischen Sprachwechsels.

Sie wolle versuchen, "von einer Peripherie aus, von der deutsch-slowenischen Sprachgrenze, die für Kärnten prägend ist", darüber nachzudenken. In den vergangenen drei Jahren hätten drei Autorinnen den Bachmann-Preis gewonnen, deren Muttersprache nicht Deutsch ist. Ganze Wissenschaftszweige hätten sich dieses Themas angenommen, eine wahre Flut an Etikettierungen versuche das Phänomen zu erfassen. "Fast scheint es, als wären die in eine Sprache eingewanderten Autoren das Produkt einer internationalen Transaktion, herausgerissen aus ihren sozialen, kulturellen, sprachlichen Verankerungen und an neue Sprachufer gespült." Dabei, so die Autorin, könnten die Gründe, die zu einem Sprachwechsel der Autorinnen und Autoren führen würden, unterschiedlicher nicht sein. "Am Ausgangspunkt steht viel zu oft die Flucht vor politischer Verfolgung oder Krieg, die Flucht aus Armut und sozialer Misere, ein Studium, eine neue Arbeit, die Liebe mit ihren nachhaltigen Bindungskräften, eine mehrsprachige Lebenssituation."

Die ständig sich wiederholenden Fragen nach der Identität der Autoren würden aber auch einen Hinweis darauf geben, dass sich hier möglicherweise ein "Wunsch nach Abgrenzung" bemerkbar mache, nach einer Markierung des angestammten literarischen Territoriums. Sie habe fast das Gefühl, sich in einer Ruhe vor dem Sturm zu befinden, "in dem man den dazugekommenen Schriftstellerinnen entgegenrufen möchte, sie sollten sich auf ihre Geschichten und Bemühungen nicht allzu viel einbilden, schließlich gebe es noch die angestammten Autoren, denen die Zuflucht-Sprache eigentlich gehöre."

Sprachwechsel

Ihre Erfahrungen nach dem Gewinn des Bachmann-Preises hätten ihre Einschätzung bestätigt, dass ein Sprachwechsel "ein äußerst schwieriger Prozess ist", notgedrungen verbunden mit kulturellen und persönlichen Konflikten. Haderlap ist slowenischer Muttersprache, ihren Roman "Engel des Vergessens" hat sie auf Deutsch geschrieben. Darüber seien ihr viele Fragen gestellt worden, etwa welcher Kultur sie sich zugehörig fühle. "Die Situationen glichen einer fortdauernden Grenzkontrolle." In Kärnten sei die Sprachfrage noch dazu eine ideologische, politische Kategorie gewesen. Sie habe schon als Kind nicht verstanden, warum es besser sein sollte, einsprachig zu sein. Auf Slowenisch zu schreiben, habe sie in den achtziger Jahren auch deshalb getan, um das Zurückweichen des Slowenischen in Kärnten aufzuhalten. Das Schreiben auf Deutsch wiederum habe schließlich "einen Weg aus der Enge der fortwährenden nationalen und sozialen Zuschreibungen" bedeutet.

Bachmannpreis: Nerzaufzucht und Steuererklärungen
APA19191920-2_02072014 - KLAGENFURT - ÖSTERREICH: Die österreichische Autorin und Bachmann-Preisträgerin Maja Haderlap am Mittwoch, 02. Juli 2014, im Rahmen der Eröffnung der "38. Tage der Deutschsprachigen Literatur" in Klagenfurt. FOTO: APA/GERT EGGENBERGER
Haderlap ging dann auch auf den Begriff des "Schreiben zwischen den Sprachen" ein. Dies klinge auf den ersten Blick einleuchtend, könne aber das Phänomen nicht erfassen: "Man befindet sich, solange man schreibt, nie außerhalb einer Sprache und ihrer Traditionen." Am Ende zähle aber, wie man mit seinen Identitäten umgehe. An die Stelle von Herkunft und Biografie sollte das literarische Werk treten, denn "es ist der geschriebene Text, der zählt".

Allenthalben geäußerte Thesen, die Sprachwechsel der Autorinnen und Autoren seien Ausdruck der Globalisierung, weist Haderlap zurück. Die Sprache habe ihren Ort, betont sie, der Ausgangspunkt jeder Geschichte liege im Topographischen, ein abgewandeltes Bachmann-Zitat aus der Erzählung "Drei Wege zum See", wo es am Beginn heißt: "Der Ursprung dieser Geschichte liegt im Topographischen."

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