Abgesehen davon gab’s auch inhaltliche Debatten. Eschmamps Text „Ist Realität selbst da, wo sie nicht hingehört?“ wurde zwiespältig aufgenommen. Es handle sich um einen „klassischen Text fantastischer Literatur“ urteilte Strässle, der darin aber auch „einigen philosophischen Quatsch“ ortete. Und sprachliche Merkwürdigkeiten. „Kann man sich aufrichtig mit Sonnencreme einschmieren?“ Auch Mithu Sanyal war hin- und hergerissen. „Die Figuren haben keinen Bezug zur Welt.“ Philipp Tingler hatte Schwierigkeiten mit der Syntax und fand das Ende plakativ, lobte aber gelungene Bilder und die Sprünge ins „Surreale“. Klaus Kastberger sprach von der Rolle „sprachimmanenter Prozesse“ und hatte Probleme mit der Beistrichsetzung: „Ich hatte oft das Gefühl: Wer hat diesen Text geschrieben? Eine KI?“ Mara Delius fand diese Unterstellung „problematisch“. Brigitte Schwens-Harrant sah viel Reizvolles in dem Text, erlebte am Schluss aber eine Leseenttäuschung. „Eine Moral von der Geschicht’ steht am Schluss, darin liegt ein Problem.“
Mit der Einladung von Johanna Sebauer war Klaus Kastberger ein Wagnis eingegangen: Ein dezidiert unterhaltsamer Text, das ist ungewöhnlich beim Bachmann-Preis. Die Rechnung ging auf.
Die Empörungsspirale
Mithu Sanyal schwärmte von dem „wahnsinnig gut geschriebenen Text“ namens „Das Gurkerl“. Mara Delius fand Form und Aufbau „extrem elegant“. Der Text, der eine typisch heutige Empörungsspirale wegen einer Nichtigkeit wie einem Essiggurkerl abbildet, sei „hochaktuell“ und „brillant“. In dieselbe Kerbe schlug Thomas Strässle und selbst Philipp Tingler fand es gelungen, wie hier ein „volkstümlicher Ton mit einer extrem feinen Beobachtung verbunden“ werde. Klaus Kastberger outete sich wenig überraschend als „absoluter Fan des Gurkerls“ und gab zuletzt noch einige technische Hinweise zur richtigen Einlage eines Gurkerls in eine Semmel.
Was bewerten wir hier?
Weniger harmonisch verlief die Diskussion um den Text „Es schlechter ausdrücken wollen. Oder: Ba,Da“ von Miedya Mahmod, Spoken Word-Artist aus dem Ruhrgebiet. Mahmod las auf Einladung von Mithu Sanyal, die von der „intrinsischen Polyphonie“ des Textes begeistert war. Strässle sah viele Themen darin verpackt, Schwens-Harrant vermutete den Grund, warum ihr nicht jedes Wort im Text geläufig war, in der darin angesprochenen Heimatsuche.
Philipp Tingler hielt es für problematisch für die Vergleichbarkeit von Texten, wenn es einen derartigen Unterschied mache, ob man sie vorträgt oder liest. Kastberger, gar nicht einverstanden: „Dieser Text erwischt sein Publikum unmittelbar!“ Strässler: „Was bewerten wir hier eigentlich? Einen Text? Einen Vortrag?“ Sanyal,: „Man muss solche Textsorten nicht mögen, aber sie sind gerechtfertigt“.
Zuletzt las die aus Slowenien stammende, in Wien lebende Musikerin Tamara Stajner. Die Jury lobte ihren Text „Luft nach unten“ für seine hohe emotionale Dichte. Sanyal mochte die „Wut“ darin, Laura De Weck hob die Sichtbarkeit der Frauenposition hervor. Mara Delius fand ihn formal wie inhaltlich „extrem interessant“ und Philipp Tingler war von der gut umgesetzten emotionalen Dringlichkeit beeindruckt. Schwens-Harrant beeindruckte die „Wucht“, mit der von der Geschichte eines Landes erzählt werde.
Sonntag, 11 Uhr, wird der Sieger des Bachmannpreises 2024 bekannt gegeben.