Bachmann-Preis: Blut, Schweiß und Tränen

APAKMA07 - 25062009 - KLAGENFURT - OESTERREICH: ZU APA 302 KI - Der Auto Philipp Weiss (Mitte) verspeisst am Donnerstag, 25. Juni 2009, nach seiner Lesung das Textblatt. Die Jury-Mitglieder Burkard Spinner und Clarissa Stadler verfolgen die Szene. APA-FOTO: GERT EGGENBERGER
Die Skandal- und Skandälchenchronik des nicht immer unumstrittenen Wettlesens.

Und schon wieder Kärnten. Kaum hat man sich mit der neuen Regierung ein positiveres Image erarbeitet, tauchen neue Zores auf. Diesmal sind sie nicht der Landespolitik geschuldet, sondern kommen aus Wien.

Seit der ORF die Möglichkeit in den Raum gestellt hat, der renommierte Literaturwettbewerb aus Klagenfurt könnte Sparzwängen zum Opfer fallen, ist die Aufregung groß. Künstler und Feuilletonisten sind sich einig: Das geht gar nicht! Sogar ein Wodka-Produzent aus dem Waldviertel bot an, einzuspringen. ORF-Chef Alexander Wrabetz zeigte sich überrascht darüber, dass der Kultur-Veranstaltung derart viel Interesse zuteil wurde.

Dabei gab es das Wortpaar "Skandal" und "Bachmann-Preis" von Beginn des Wettlesens an. Blut, Schweiß und Tränen wurden in der 36-jährigen Geschichte vergossen – buchstäblich.

Bachmann-Preis: Blut, Schweiß und Tränen
Jungautor Rainald Goetz ritzte sich 1983 während seines Vortrags mit einer Rasierklinge die Stirn auf, las blutverschmiert weiter – und gewann nichts.

Der Schweizer Schriftsteller Urs Allemann trug 1991 die Wunschfantasie eines Pädophilen namens "Babyficker" vor. Er gewann trotz heftiger Kritik an seinem Text den Preis des Landes Kärnten. Die FPÖ-Kultursprecherin Kriemhild Trattnig griff daraufhin die Jury des Wettbewerbs öffentlich an, nannte Allemanns Text die "größte preisgekrönte Schweinerei" und fantasierte von "der tolldreisten Verkommenheit des Autors".

Harmlos nimmt sich im Vergleich dazu die Performance von Philipp Weiss aus, der nach seiner Lesung 2009 sein Manuskript aufaß. Weder die Aktion noch der Text beeindruckten, Juror Paul Jandl zeigte sich von der "Zwangsoriginalität" genervt: "Der Text will klüger und origineller sein, als er imstande ist zu leisten".

Eine harmlose Kritik im Vergleich zu jener, die sich eine Autorin zur Eröffnung des Preises 1977 anhören musste: Karin Struck wurde von Juror Marcel Reich-Ranicki mitgeteilt, ihr Text sei "ein Verbrechen".

Kaputt in Klagenfurt

Heute ist sich das Feuilleton einig: Der Preis muss gerettet werden. 1977 war das Wettlesen umstritten. Das begann bereits im Vorfeld, als das Gerücht kursierte, der Preisträger stünde schon vor Beginn der Veranstaltung fest. Den eingeladenen Autoren wurden Briefe geschickt, in denen versichert wurde, dass das nicht stimme.

Das mediale Echo war wenig berauschend. "Den Schriftstellern und ihren Produkten schadet das Klagenfurter Dreitagerennen um den fetten Scheck auf jeden Fall. Ein würdeloses Wettlesen, bei dem eine auf der Strecke blieb – die Literatur – und einer profitierte – der Suhrkamp-Verlag. Drei Pferdchen aus dem Suhrkamp-Stall (Jonke, Fröhlich, Laederach) als Bestplazierte, ein Pferdchen (Struck) sensationell gestürzt – Stallbesitzer Unseld wird sich gratulieren dürfen", schrieb Sigrid Löffler, in ihrem Artikel „Kaputt in Klagenfurt“, im profil am 28. Juni 1977.

"Pferdchen" Gert Jonke (er starb 2009) war übrigens der erste Gewinner und wurde später zu einem der größten Lyriker, Dramatiker und Erzähler Österreichs.

Auch Ulrich Greiner zog in derFrankfurter Allgemeine Zeitungein durchwachsenes Resümee: Der Wettbewerb sei "ein theatralisches Ereignis, mit Höhepunkten, spannenden Augenblicken und rhetorischen Glanzleistungen, aber auch mit absoluten Tiefpunkten, unerfreulichen Auftritten und inkompetentem Gerede".

Ob er damit Juror Marcel Reich-Ranicki meinte? Der nahm sich kein Blatt vor den Mund. Autorin Karin Struck schleuderte er entgegen: "Wen interessiert schon, was die Frau denkt, was sie fühlt, während sie menstruiert?" Struck lief weinend fort.

Kritik und Marktwert

Doch gerade die heftige Kritik könnte das Interesse am Bewerb gesteigert haben. Schon 1978 wurde die Lesearena als hochrangiger Literaturpreis bewertet und bekam einen Marktwert, den die Verlage für ihr Marketing benutzen.

"Im ersten Jahr war er ein Experiment, im zweiten Tradition, im dritten eine Institution", resümierte Hans Weigel, der mit Gertrud Fussenegger, Peter Härtling, Manes Sperber, Friedrich Torberg und den Gründern Ernst Willner und Humbert Fink in der ersten 13-köpfigen Jury des Bewerbs saß.

Heute geht es gemäßigter zu. Die gefürchteten Aussagen des literarischen Scharfrichters Reich-Ranicki haben zur Änderung des Verfahrens geführt. Die Juroren kennen die Texte im Voraus, die Autoren werden schonender behandelt.

Skandale hat es schon lang keine mehr gegeben. Das Aufregendste war noch Autor Peter Licht, der 2007 nur verhüllt, von hinten oder gar nicht gezeigt werden wollte.

Bei den „Tagen der deutschsprachigen Literatur“ (4. bis 6. Juli) ist heuer mit Burgschauspieler Joachim Meyerhoff ein Bestseller-Autor eingeladen. Seine beiden Bücher „Alle Toten fliegen hoch“ und „Wann wird es endlich so, wie es nie war?“ (Kiepenheuer & Witsch) verkaufen sich wie die warmen Semmeln. Österreich wird diesmal – es ist die 37. Veranstaltung – von zwei Schriftstellerinnen vertreten. Zum einen von der 27-jährigen Grazerin Cordula Simon, deren Debütroman „Der potemkinsche Hund“ (Picus Verlag) 2012 Beachtung fand.

Aus Bludenz kommt Nadine Kegele. Sie ist 33 und debütierte im Czernin Verlag mit dem Buch „Annalieder“. Insgesamt lesen 14 Autoren, 3sat überträgt live.

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