Ausstellung im Jüdischen Museum Wien: Reise ans Ende der Kindheit

Ausstellung im Jüdischen Museum Wien: Reise ans Ende der Kindheit
„Jugend ohne Heimat. Kindertransporte aus Wien“ (bis 15. Mai) – eine berührende Ausstellung über das Schicksal der Geretteten und Zurückgebliebenen.

Ohne Eltern und ohne Familie verließen sie ihre Heimat: Jüdische Kinder auf der Flucht. Sie entgingen dem Holocaust. Vor allem in Großbritannien begann für sie ein neues Leben.

Als der erste von insgesamt 43 Kindertransporten am 10. Dezember 1938 Wien verließ, waren bereits mehr als 10.000 Kinder zur Auswanderung angemeldet. Bis zum Kriegsausbruch im Herbst 1939 konnten allerdings nur 3.200 unbegleitet ins sichere Ausland fliehen. Für sie waren diese „Züge ins Leben“ meist die Rettung vor dem sicheren Tod.

Im Museum Judenplatz erzählt die Schau „Jugend ohne Heimat“, angelehnt an Ödön von Horváths Romantitel „Jugend ohne Gott“, vom oft zufälligen Überleben der Kinder und ihrem Leben in einem fremden Land, aber auch von den Daheimgebliebenen in einer Heimat, die unter dem Nazi-Regime plötzlich die Hölle war.

Ausstellung im Jüdischen Museum Wien: Reise ans Ende der Kindheit

Tragisch der Fall von Leo Steiner (1923–1941), der nicht gerettet werden konnte, weil sein potenzieller Bürge gerade auf Urlaub war. Er wurde 1941 – mit den Eltern deportiert – bei einer Massenerschießung ermordet.

Ilse Brüll (1926–1942) war bereits mit einem Kindertransport nach Holland gelangt, als sie durch die deutsche Besetzung 1941 nach Auschwitz deportiert wurde.

Berührend auch das Schicksal der getrennten Zwillinge Helga und Ilse Aichinger: Bis zum Wiedersehen in London vergingen acht Jahre der Ungewissheit, der Hoffnungen und des Leids.

Deren Buch „Ich schreib für Dich und jedes Wort aus Liebe“ zeichnet das Bild einer Jugendlichen im Exil und vermittelt die Erfahrungen der unfreiwillig Gebliebenen Ilse Aichinger, die sagte: „Man überlebt nicht alles, was man überlebt.“

Ausstellung im Jüdischen Museum Wien: Reise ans Ende der Kindheit

Die braune Schachtel

Den Kuratorinnen Sabine Bergler und Caitlin Gura-Redl war es ein Anliegen, anhand von Dokumenten, Fotos, Tagebüchern, Briefen und Videos „nicht nur die Sicht der Kinder, sondern auch jene der Eltern und der Fürsorger darzustellen.“

JMW-Direktorin Danielle Spera kann „über ganz viele in der Ausstellung porträtierte Menschen erzählen“ und verweist auf eine braune Schachtel. Die war vollgefüllt mit Mädchensachen: einer Miniatur-Sitzgruppe für Puppen aus Holz, einem Heft voller Sammelmarken, Büchern, Fotos und Spielsachen. Die Eltern von Lilly Bial hatten sie im Mai 1942 für ihre Tochter gepackt, nachdem die 13-Jährige 1939 mit dem letzten Kindertransport nach England entkommen war. Sie sollte ihr nachgeschickt werden.

Doch dann wurden Lillys Eltern ermordet. Die Schachtel geriet in Vergessenheit. Es dauerte Jahrzehnte, bis sie 2004 ihre erst vom JMW mühsam ausgeforschte Adressatin erreichte. „Es war für sie überwältigend“, so Spera, „nach so langer Zeit Fotos ihrer Eltern und ihrer Klassenkameraden wieder zu sehen. Und sie wollte, dass wir ihre Geschichte weiter erzählen. Was wir tun.“

www.jmw.at

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