Judentum zum Anfassen: Teenager reden über ihren Alltag

Judentum zum Anfassen: Teenager reden über ihren Alltag
Beim Schulprojekt „Likrat“ beantworten junge Juden die Fragen Gleichaltriger.

„Ich hab mir einen Juden ganz anders vorgestellt. Du bist eigentlich genau so wie ich“, hören die Teenager der jüdischen Initiative Likrat oft bei ihren Workshops in Schulen. Die 19-jährige Eden erzählt seit fünf Jahren anderen Schülern über jüdische Feiertage wie den Versöhnungstag Jom Kippur – der kommende Woche stattfindet –, koscheres Essen und ihren Alltag als Jüdin in Wien. „Viele lernen in der Schule über den Holocaust und haben zu modernem Judentum keinen Bezug. Wir sind die ersten Juden, die sie sehen. Deswegen stellen uns auch viele Jugendliche persönliche Fragen. Isst du koscher? Gehst du abends aus? Und dann stellen wir fest, dass manche in dieselben Lokale gehen.“

Das Team aus 50 Jugendlichen hat bisher 6.000 Schüler erreicht und wird kommende Woche mit dem Leon-Zelman-Preis ausgezeichnet. Der Shoah-Überlebende hatte sich sein Leben lang für Verständigung mit der Jugend eingesetzt, etwa als Zeitzeuge.

Moderne Juden

Organisator Benni Gilkarov, der Jugendleiter der Israelitischen Kultusgemeinde, sieht viel Bedarf für solche Dialog-Workshops: „Wir werden manchmal geholt, wenn es in einer Schule antisemitische Beschimpfungen oder Schmierereien gibt. Oder wenn etwa engagierte Geschichtslehrer einen stärkeren Bezug zur aktuellen Zeit herstellen wollen.“

In den Büchern und Medien werden oft orthodoxe Juden dargestellt, die auch als solche erkennbar sind. Zu jungen säkularen Juden gibt es keinen Bezug. Eden: „Manche Burschen bei uns tragen eine Kippa und andere nicht, danach werden wir oft gefragt. Dann erklären wir, dass jeder für sich selbst entscheidet, welche Regeln er oder sie einhält. Es gibt die Religion und es gibt die individuelle Umsetzung.“

In den Workshops erzählen die Jugendlichen daher allgemein über das Judentum sowie über ihre persönliche Situation. Die jungen Vortragenden werden dafür in einem Kurs geschult. Gilkarov: „Sie bekommen das notwendige Wissen über die Religion und auch die Geschichte vermittelt. Außerdem lernen sie, wie sie in den Gesprächen gut zurechtkommen, selbst wenn sie mit heiklen Fragen konfrontiert oder provoziert werden.

Vorurteile

Eden: „Oft geht es um den Nahostkonflikt. Da bemühen wir uns, dass man beide Seiten versteht. Oft geht es auch um Vorurteile. Wir werden immer wieder gefragt, ob Juden wirklich keine Steuern zahlen. Das ist ja absurd!“ Was war die eigenartigste Frage? „In einer Wiener Eliteschule wurde ich gefragt, ob es stimmt, dass wir christliches Blut verwenden.“

Thema ist auch Antisemitismus, so Eden: „Vor den Workshops sammeln wir Fragekarten ein und da sind manchmal Hakenkreuze draufgeschmiert oder die Frage, warum Hitler nicht alle Juden umgebracht hat. Dann rede ich über das Thema, warum jemand so etwas schreibt, ohne zu fragen, wer es war. Wir werden auch gefragt, ob wir selbst Antisemitismus erlebt haben. Manche, die nicht als Juden erkennbar sind, waren nie damit konfrontiert. Aber einer unserer Burschen trägt Kippa und Schläfenlocken.“ Zu dem sage wöchentlich jemand „Scheiß Jude!“

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