Eine Bühne für Jesus und seine Onkels in der Gemäldegalerie
Altmeistergemälde zu betrachten, gleicht einer endlosen Schnitzeljagd: Immer wieder lässt sich von Neuem entdecken, welche Bedeutungen und Beziehungen sich in Bildern verbergen. Dabei verstecken sich die harten Nüsse in den Details - die religiösen oder mythologischen Erzählungen bilden meist ein relativ überschaubares Repertoire.
Man braucht aber nicht so zu tun, als könnte man den Schlüssel zur Dekodierung der Bilder einfach so aus dem Ärmel schütteln. Und so törnt das Altmeistergenre viele Menschen ab, während andere sich lustvoll ins Rätseln stürzen. Dass das nicht nur studierte Kunsthistoriker sind, zeigen (zugegebenermaßen unwissenschaftliche) Blockbuster-Erfolge wie Dan Browns „Da Vinci Code“: Das Buch und der Film bauten bekanntermaßen auf der Idee auf, dass Jesus Nachkommen hatte und dass das Wissen darum, von der Kirche verdrängt, durch geheime Zeichen über Jahrhunderte weitergegeben worden sei.
Oma hatte drei Männer
Die Idee, dass der Heiland auch zahlreiche Cousins sowie eine Großmutter besaß, die nicht weniger als drei Mal verheiratet war, ist allerdings gar kein „Sakrileg“: In der Zeit um 1500 galt die Vorstellung als durchaus fromm, genährt von vielen (nicht biblischen) Legenden um die Heilige Anna, die Mutter Mariens. Bilder der „Heiligen Sippe“, die neben der Gottesmutter und dem Jesuskind eben auch noch die Großmutter und den weiteren Verwandtschaftskreis zeigen, boten den Gläubigen damals ein Identifikationspotenzial für den eigenen gottgefälligen Lebenswandel.
Ein solches Bild, das der Maler Lucas Cranach um 1510 malte, befindet sich in der Gemäldegalerie der Akademie der bildenden Künste in Wien. Bis Februar 2025 steht es im Fokus zweier Säle, die zugleich den Auftakt zur neu aufgestellten Sammlungspräsentation der noch immer viel zu wenig besuchten Gemäldegalerie bilden.
Der Konzeptkünstler Klaus Scherübel hat Cranachs Gemälde für die Ausstellung buchstäblich „zerlegt“: Sind es im Originalgemälde nicht weniger als 17 Personen, die einen seltsam verschachtelten, an eine Theaterkulisse erinnernden Raum bevölkern, so ist Scherübels darauf basierende Installation menschenleer. Die Wände, eine Treppe, eine Mauer mit einer Nische wurden vom Künstler lebensgroß nachgebaut, der mit Wappen versehene Torbogen, der im Gemälde die Szene rahmt, lehnt hier nebenan. Nummern vernetzen die Teile mit Erklärtexten an der Wand.
Wer in dem Saal an so genannte „immersive“ Ausstellungen oder Selfie-Museen denkt, die ihrem Publikum unseriöserweise suggerieren, dass Kunstbetrachtung eh auch als bloße Augenmassage ganz gut funktioniert, ist bei Scherübel freilich auf dem Holzweg: Hier wollen die Puzzlesteine zusammengesetzt werden, es gilt, Bedeutungsebenen zu erkennen und zuzuordnen.
Cranach malte das Bild schließlich anlässlich seiner eigenen Hochzeit und stellte sich selbst und den Schwiegervater in der Rolle von Jesus Stiefonkeln dar. Das Bild diente auch Cranachs Selbstvermarktung – agierte der Künstler doch äußerst situationselastisch und arbeitete sowohl für katholische Fürsten wie auch für den Reformator Martin Luther.
Bei aller Komplexität funktioniert das Arrangement doch hervorragend als Kunstvermittlung – die Fokussierung und Präzision macht Staunen und weckt die Lust am Dahinter. Man kann natürlich auch einfach durch die Galerie bummeln und ihrem Hauptwerk, Hieronymus Boschs Weltgerichtstriptychon, wieder mal einen Besuch abstatten. An dessen Deutung kiefeln kluge Menschen auch schon seit Jahrhunderten.
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